„Wir waren in den letzten Jahren in Spanien unterwegs, aber diesmal möchten wir den Jakobsweg in Polen erwandern.“ Solche und ähnliche Anfragen von Interessierten hat Emil Mendyk in den vergangenen Monaten sehr häufig am Telefon gehört und in Mails gelesen. „Corona führte dazu, dass viele Pilger ihre Routen änderten“, sagt er. „Anders als in Spanien, wo in den vergangenen Jahren jeweils mehrere Hunderttausend Wanderer auf dem Jakobsweg unterwegs waren, kann man auf dem mehr als 5.000 Kilometer langen Wegenetz in Polen noch für sich sein.“ Doch auch dort erklingt immer häufiger der internationale Pilgergruß „Buen Camino“.
Emil Mendyk ist Vorsitzender des Vereins der Freunde des Jakobswegs in Polen, der sich dort um rund die Hälfte des Netzes von Jakobswegen kümmert. Andere Teile werden von lokalen und regionalen Initiativen betreut. Zahlreiche ehrenamtliche Helfer sorgen dafür, dass die Wege gepflegt werden. Mit Hilfe von regionalen Fördermitteln konnte allein im vergangenen Jahr auf rund 600 Kilometer Länge die Beschilderung erneuert werden. Außerdem hat der Verein die Wege digital erfasst und ins Internet gestellt. So können Interessierte auf zwei mehrsprachigen Websites den Verlauf der Strecke anschauen und finden dort Informationen über die Streckenbeschaffenheit, Sehenswürdigkeiten oder Unterkünfte. E-Books mit detaillierten Beschreibungen gibt es bisher nur in polnischer Sprache.
Das gesamte Netz der Jakobswege umfasst Strecken von mehr als 5.000 Kilometer, meist führen sie über Feld- und Waldwege, seltener über wenig befahrene Nebenstraßen. Drei große Hauptwege durchqueren Polen. Ganz im Norden verläuft der Pommersche Jakobsweg vom russischen Kaliningrad (Königsberg) kommend über Gdańsk (Danzig) entlang der Ostsee und über das Seebad Świnoujście (Swinemünde) oder die Hafenstadt Szczecin (Stettin) weiter nach Mecklenburg-Vorpommern.
Eine zweite Hauptroute verläuft von Litauen kommend durch Masuren, über die Städte Toruń (Thorn) und Poznań (Posen) und weiter durch die Woiwodschaft Niederschlesien nach Görlitz. Diese Route vereint sich wenige Kilometer von Görlitz mit dem Pilgerpfad entlang der historischen „Via Regia”. Der kommt aus Richtung L’viv (Lemberg) in der Ukraine und führt über Kraków (Krakau) und Wrocław (Breslau) Richtung Westen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Zubringer. Letztlich haben alle Wege die Kathedrale im nordspanischen Santiago de Compostela zum Ziel, wo sich in einem Schrein die Gebeine des Apostels Jakobus befinden sollen.
Gelegentlich begleitet Emil Mendyk, der hauptberuflich als Reiseführer in seiner Heimat Niederschlesien arbeitet, auch kleinere Gruppen auf Abschnitten des Jakobswegs, meist sind es aber individuelle Pilger, die sich auf den Weg machen, sich von dem Symbol der gelben Jakobsmuschel auf blauem Grund leiten lassen, die innere Einkehr oder auch eine persönliche Herausforderung suchen. Unterwegs können sie in Jugendherbergen, auf Ferienbauernhöfen oder in kleinen Pensionen übernachten. Übernachtungsmöglichkeiten in Klöstern oder in Pfarrgemeinden gebe es in Polen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch wenig, meint Emil Mendyk. „Dort ist man bisher eher auf größere Wallfahrten eingestellt.“ Individuelle Pilgertouren seien eher selten, würden aber seit einigen Jahren immer populärer. Auch von deutschen Gästen erhält Mendyk immer mehr Anfragen
Wer auf einem Teil des großen Netzes an Jakobswegen in Polen pilgern möchte, hat die Qual der Wahl. Die Routen entlang der Ostseeküste und durch Masuren zeichneten sich durch die Schönheit und den Abwechslungsreichtum der Landschaft aus. Auf der Via regia von Krakau nach Görlitz gelange man zu zahlreichen Sehenswürdigkeiten und habe ein dichtes Netz an Übernachtungsplätzen. Mendyk empfiehlt Interessierten, sich auf der Website seines Vereins vor der Reise anzumelden und sich einen Pilgerpass zu besorgen. Dort können nicht nur die Stationen der Reise dokumentiert werden, der Pass bietet auch Einlass in manche kirchliche Einrichtungen und gibt den Pilgern zudem ein Stück Sicherheit auf der Reise. So erinnert er sich an einen Pilger, der unterwegs seinen Fotoapparat vergessen hatte. Durch die aufgenommen Fotos und mit Hilfe der Anmeldung konnte der Besitzer ermittelt werden. Weitere Informationen unter www.camino.net.pl, www.camino-europe.eu und www.polen.travel.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.