Bloomsday – im Zickzackkurs durch Dublin

„Wird sich jemand dieses Datums erinnern?“, schrieb James Joyce 1924 in sein Notizbuch. Gemeint ist der 16. Juni 1904, der gern als längster Tag der Literaturgeschichte bezeichnet wird. Jener Tag an dem der irische Schriftsteller seine erste Verabredung mit Nora Barnacle, seiner späteren Ehefrau hatte. Jener Tag, den alljährlich Hunderte von Joyce-Liebhabern zum Anlass nehmen, um auf den Spuren von Leopold Bloom durch die Straßen von Dublin zu ziehen. Bloom, der bei der Namensgebung dieses inoffiziellen Feiertages Pate stand, ist der Protagonist in Ulysses, dem wohl bedeutendstem Werk aus der Feder von James Joyce. In enger Anlehnung an die Romanvorlage machen sich alljährlich am sogenannten „Bloomsday“ Joyce-Jünger aus aller Herren Länder in Kleidung aus der vorletzten Jahrhundertwende auf den Weg durch die irische Kapitale. Der Rundgang wird in dem Meisterwerk, das 1920 erstmals in der New Yorker Literaturzeitschrift „Little Review“ abgedruckt wurde, so detailliert beschrieben, dass man, wie Joyce einmal sagte, die Stadt nach diesen Angaben wieder aufbauen könnte, sollte sie einmal zerstört werden.

In Ulysses stehen 18 Stunden im Leben des Anzeigenverkäufers Leopold Bloom im Blickpunkt. Die umtriebige Hauptfigur kauft Zitronenseife, wohnt einer Beerdigung bei, füttert Möwen, wird von einem Antisemiten verfolgt und muss manches andere über sich ergehen lassen, bevor er erschöpft neben seiner Frau Molly ins Bett fällt. Wohl nur wirklich wahre Fans beginnen „ihren“ Feiertag genau so, wie es das Protokoll vorschreibt: Sie eifern Leopold Bloom schon zum Frühstück nach und lassen sich gegrillte Hammelnieren munden. Viele weichen in diesem Punkt gern einmal von der Romanvorlage ab und beginnen stattdessen direkt die kleine Rundreise am Wohnhaus von Leopold Bloom. Das ursprüngliche Backsteinhaus ist längst abgerissen worden. Lediglich eine Bronzetafel erinnert noch in der Eccles Street Nummer 7 an eine der berühmtesten Adressen der Literaturgeschichte.

Von hier führt die Tour zur St. George’s Church in der Temple Street. Allerdings dürfte der Romanliebhaber das Gotteshaus kaum wieder erkennen. Denn 1996 sind hier ein Theater und ein Nachtclub eingezogen. Nur einen Katzensprung entfernt liegt die St. Francis Xavier’s Chapel. Weiter geht es vorbei am Rotunda Hospital zur O´Connell Street mit ihrem markanten Postgebäude und dann über den Liffey zum Ballast House. Die nächsten Stationen sind die Westmoreland Street, Harrison’s Restaurant, die Thomas Moore Statue, das altehrwürdige Trinity College und Grafton Street, deren Treiben noch immer so geschäftig anmutet, wie in Ulysses beschrieben. In Davy Byrne’s Pub in der Duke Street hat Leopold Bloom zum Lunch ein Glas Burgunder und ein Gorgonzola-Sandwich mit Senfflöckchen zu sich genommen. Und genau dies, steht selbstredend am 16. Juni auch auf dem Speiseplan der Joyce-Jünger. Die gemütliche Kneipe ist übrigens noch aus einem anderen Grund berühmt: Hier tagte 1922 die erste provisorische irische Regierung.

Der kurzweilige Rundgang durch Dublin beinhaltet darüber hinaus den Besuch des Lesesaals der National Library ebenso wie das Schlendern über den Merrion Square, vorbei an dem Haus, in dem Oscar Wilde seine Kindheit verbrachte. Nicht fehlen darf auch ein Streifzug durch die Westland Row, wo Bloom bei der Post eine Nachricht seiner heimlichen Brieffreundin Martha Clifford abholt. Dort, wo im Roman das Post Office angesiedelt war, ist nun ein Kiosk zu finden. Um den Liebesbrief in Ruhe zu lesen, legt er unter der Eisenbahnbrücke in der Cumberland Street eine Pause ein. Und noch immer umgibt den Ort eine geheimnisvolle Aura. Sodann begibt er sich durch einen Hintergang in die schmucklose All Hallows Church.

In das Tagesprogramm von Leopold Bloom gehört zudem eine Verabredung in Sanymount mit alten Freunden im Haus des verstorbenen Paddy Dignam. Gemeinsam fahren sie mit einer Kutsche quer durch Dublin zum Friedhof Glasnevin, wo unter anderem Schriftsteller Brendan Behan seine letzte Ruhestätte fand. Und so nimmt der Tag seinen Lauf. Kreuz und quer durch Dublin hinterlässt Leopold Bloom seine Spuren: er trifft den Geliebten seiner Frau vor dem Nationalmuseum, besucht ein Freudenhaus, trinkt hier und da einen Cider oder Wein und nimmt ein türkisches Bad.

Alle Stationen dieses Gewaltmarschs lassen sich schon aus zeitlichen Gründen nicht während eines Tages bewältigen. Andere lassen sich nicht mehr nachvollziehen, weil die Orte im Laufe der Zeit ein völlig neues Gesicht bekommen haben. So beispielsweise der Ausflug in die Dublin Bay. Statt der bloomschen Aussicht unter den Rock der jungen Gerty fällt der Blick nun auf ein Kraftwerk am Ring’s End.

Wann dieser ausgelebte Tribut an das berühmte Meisterwerk von James Joyce begann, weiß niemand so genau. Vermutlich 1922, als das Epos in Paris erstmals als Buch veröffentlicht wurde. 1962 will das Pub The Bailey, das auch in den Roman miteinbezogen ist, den Bloomsday erstmalig ausgerufen haben. Wie auch immer der Bloomsday begannen hat, fest steht Joyceans, wie sich die Joyce-Anhänger nennen, feiern das Romanereignis alljährlich eine Woche lang mit Lesungen und anderen literarischen Darbietungen, die in der Zickzack-Tour durch Dublin am 16. Juni ihren Höhepunkt finden.

Informationen: Irland Information, Gutleutstraße 32, 60329 Frankfurt, Telefon 069-66800950, www.entdeckeirland.de

Dublin Tourism, Suffolk Street, Dublin 2, Telefon 00353-1-605774, www.visitdublin.com

Tipp: Baileys Pub ist am 15. und 16. Juni Gastgeber für einen touristischen Bloomsdays.  Das Programm beginnt mit einem schauspielerischen Empfang im Fitzwilliam Hotel, einem Frühstück á la Leopold Bloom im The Bailey, führt zu Lesungen und in den James Joyce Tower und mit einer Pferdekutsche vom Sandymount Strand zurück nach Dublin. Die passenden Kostüme fürs Joyceanische Spiel können ausgeliehen werden. Weitere Informationen unter www.bloomsdayatthebailey.com.

Buchtipps: Ulrike Katrin Peters, Karsten-Thilo Raab: Oh, diese Iren, Conrad Stein Verlag, ISBN 978-3-86686-804-5. Das Buch ist im Buchhandel oder direkt beim Conrad Stein Verlag erhältlich.

Karsten-Thilo Raab: Irland und Nordirland, Morstadt Verlag, ISBN 978-3-88571-325-8. Erhältlich ist der Titel unter www.morstadt-verlag.de oder im Buchhandel.

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