Aufgrund seiner Lage im Norden Europas ist Norwegen nicht gerade von der Sonne verwöhnt, auch wenn diese in den Sommermonaten nicht untergehen mag. Gleichwohl überrascht es wenig, dass das skandinavische Königreich nicht gerade im Ruf steht, eine Hochburg der Weinerzeugung zu sein. Zu lang sind die Winter, zu kurz die Sommer, um die dafür notwendigen Trauben gedeihen zu lassen. Umso erstaunlicher mutet daher die Vielfalt an, die Johan Setnes auf seinem Weinhof, dem Vinegården Tuen in Åndalsnes in Fjordnorwegen, vorhält. Europas wohl nördlichster Winzer entpuppt sich als wahrer Meister seiner Zunft, als erfindungsreicher noch dazu. Aus Mangel an geeigneten Trauben kreiert der studierte Germanistik-Lektor Weine aus allen möglichen Zutaten. Dabei bedient er sich an dem, was die Natur in diesem Teil des norwegischen Königreichs hergibt.
„Machst Du das wirklich alles alleine?“, reiben sich nicht wenige Besucher ungläubig die Augen, wenn Johan einen Blick in den ersten seiner insgesamt 16 Weinkeller gewährt. Über 4.000 fein versiegelte Flaschen liegen wohl sortiert in Regalen, die er selbst gezimmert hat – in Gewölben mit gemütlichen Sitzecken, die er selbst gemauert hat. Rentierfelle als Sitzunterlage sorgen für angenehmen Komfort und Wärme unter dem Allerwertesten.
„Ja, alles selbst gemacht“, verrät der Nordmann, dessen große und einzige Passion die Weinherstellung ist. Statt Deutsch zu unterrichten, referiert er lieber in Weinseminaren über seine eigenen, ungewöhnlichen Wein- und Likörkreationen. „Die Seminare geben mir Energie, füllen meine Batterien auf.“ schmunzelt der sportliche 60-jährige mit dem schütteren Haar.
Als ob es nicht schon überraschend genug sei, mitten in den Fjorden Norwegens Wein herzustellen, sind die Zutaten von Johans Weinen auch noch alles andere als gewöhnlich.
„Zur Begrüßung reiche ich euch einen Aperitif, voll mit Mineralien, die der Körper braucht“, strahlt Johan Setnes voller Stolz. Ob wir raten können, was wir da trinken, will er mit einem Blick in die Runde wissen. Schwer zu sagen, es ist ein verhältnismäßig herber Wein, etwas dickflüssiger als gewohnt und mit einem ungewöhnlichen, leicht bitteren Nachgeschmack.
„Das, meine Damen und Herren, war Bjørkevin, Birkenwein. Um diesen herzustellen, schnitze ich Birken an und sammle den Saft, der aus der Rinde läuft“, so Setnes weiter. Anschließend serviert er einen Løvetanvin, einen Löwenzahnwein, Jahrgang 1994. Hergestellt ist dieser Wein lediglich aus der goldenen Blüte dieses vermeintlichen Unkrauts.
„Den Löwenzahn habe ich selber gepflückt. Die Zutaten sind ökologisch wertvoll und ich serviere den Wein gerne als Dessertwein, weil er so vollmundig und süß schmeckt“, fährt der Experte aus Fjordnorweger fort. Weil er auf dieses Produkt besonders stolz ist, nennt er es bescheiden „Königswein“ und hat sogar Norwegens Kronprinzessin Mette-Marit, als sie weiland dem Weinhof einen Besuch abstatte, ein Fläschchen davon als Präsent mitgegeben.
Fleißig lobt Setnes die Vorzüge der weiteren Weine: Moltewein, der aus den orangegelben, wolkenförmigen Beeren mit dem herben Geschmack, die nur in den skandinavischen Ländern wachsen, hergestellt wird. „Dieser Wein ist 18 Jahre alt und passt perfekt zu Vannillecreme“, schwärmt Johan und ergänzt: „Hagebuttenwein ist gut gegen Erkältungen. Er ist voll mit Antioxidanten und ich genehmige mir als Prophylaxe in der Erkältungszeit ab und an mal ein Gläschen davon.“ Dass er dem eigenen Wein durchaus zugeneigt ist, sieht man dem drahtigen Sportler ansonsten allerdings nicht an.
„Ich stelle Wein aus allem her, was mir die norwegische Natur bietet und was nicht giftig ist“, erklärt der passionierte Winzer. Aronia, eine Vogelbeerart, ist der einzige Rohstoff, den er nicht selber züchtet oder in der Natur finden kann. Und die Erdbeeren kauft er auf dem Markt, gibt Johan zu. Warum er diese neben seinen Birnen, Äpfeln, Löwenzähnen und Moltebeeren nicht auch selber züchtet oder als Walderdbeeren sammelt, wollen die neugierigen Weinseminaristen wissen. „Mein Tag hat auch nur 24 Stunden“, antwortet der Lektor verschmitzt.
Dass man aus Früchten berauschende Getränke herstellt, geht in Norwegen übrigens auf eine alte Tradition zurück. Geistliche forderten schon vor Jahrhunderten die Gläubigen auf, eigenen Wein herzustellen, um in dieser Hinsicht etwas unabhängiger von der Kirche in Rom zu sein. In den Anfängen der nordischen Weinproduktion bildete häufig „krekkling“, die schwarze Krähenbeere, den Rohstoff. Dieser Tradition fühlt sich Johan Setnes immer noch verpflichtet und schenkt herb-süßen krekklingvin zum Probieren aus.
Wie man auf so eine ungewöhnliche Idee kommt, der vermutlich nördlichste Winzer Europas zu werden, wollen wir zum Abschluss des lehrreichen, im wahrsten Sinne des Wortes geschmackvollen und aufschlussreichen Abends wissen: „Vor vielen, vielen Jahren habe ich in einem Osloer Restaurant ein Glas Wein bestellt und bekam etwas serviert, dass seltsame Trübstoffe im Glas zurückließ und nicht nur unappetitlich aussah, sondern auch nicht gut schmeckte. Da habe ich beschlossen: Das kann ich besser“, erklärt Setnes seinen Entschluss, unter die Winzer zu gehen. Und dass, obwohl er auch nicht im Entferntesten in einem Weinanbaugebiet lebt.
„Seit ich alle meine drei Träume verwirklicht habe, habe ich nicht nur 25 Kilo abgenommen, ich war auch seit über 25 Jahren nicht mehr krank. Meine drei Träume waren: Meine Fußballmannschaft zum Sieg führen, eine tolle Frau heiraten, selber Wein herstellen“, ergänzt er voller Inbrunst.
Käuflich erwerben kann man die Köstlichkeiten übrigens leider nicht – das norwegische Gesetz hat Setnes nicht auf seiner Seite. Darüber ärgert er sich aber nicht. Nein, er wundert sich nur: „Die norwegischen Supermarktregale sind voll gestopft mit „rus-brus“, mit Rausch-Brause. Diese enthält E-Farbstoffe, Unmengen Zucker und einen viel höheren Alkoholgehalt als meine natürlich produzierten Weine sowie kein einziges Mineral und keine Antioxidanten – aber das darf frei verkauft werden… “
Informationen: Vinegården Tuen, Johan Setnes, N-6310 Veblungsnes, Telefon 0047-(0)71222353, Mobil 0047-(0)99539603, johan-setnes@c2i.net, www.tuenvin.net
Informationen zur Region Romsdal: www.romsdalsalpene.com
Anreise: Flug bis Molde mit Norwegian (www.norwegian.no) oder SAS (www.flysas.com), dann Taxi oder Bus, ca. 90 Minuten inklusive Fähre.
Essen: Hotel Aak, Isfjordsvegen, Åndalsnes, Telefon 0047-(0)91819981, www.hotelaak.no. Hier speiste und nächtigte schon der Opa von Winston Churchill! Gekocht wird, was die Umgebung an hochwertigen Rohwaren hergibt, noch dazu mit Leidenschaft und auf Sterneniveau – leider nur auf Voranmeldung.
Übernachten: Grand Hotel Bellevue, Åndalgt. 5, 6300 Åndalsnes, Telefon 0047-(0)71227500, www.grandhotel.no, Mitten im Zentrum von Åndalsnes gelegen, mit herrlichem Blick auf den Romsdalsfjord oder das atemberaubende Gebirge. Doppelzimmer ab 800 NOK pro Nacht.
Villa Vengetind, Øvre Åsen, N- 6320 Isfjorden, Telefon 0047-(0)92897947, http://romsdal-adventure.com. Sehr persönlich in einem liebevoll renovierten Holzhaus von anno dazumal wohnt man hier. Kein Hotel, aber auch keine Jugendherberge – irgendetwas dazwischen. Sagenumwoben sind die Tapas Buffets der jungen Wirtin Renate. Auf Wunsch organisiert ihr Ehemann Thommy Radtouren durch die atemberaubende Landschaft. Übernachtung mit Vollpension wird ab 800 NOK pro Tag und Person angeboten.
Literaturtipp: Ulrike Katrin Peters & Karsten-Thilo Raab: Oh, diese Norweger, Conrad Stein Verlag, ISBN 978-3-86686-803-8. Erhältlich ist der Titel, der auf augenzwinkernde Art und Weise Skurriles und Wissenswertes über die Norweger vermittelt, im Buchhandel oder direkt beim Conrad Stein Verlag.
Mortimer
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