Geballte Frauenpower aus dem Tessin

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Zu den Blickfängen im Tessin gehört die Ruine des Castello di Morcote. – Foto: Ticino Turismo /parisiva.ch

Für viele ist das Tessin das schönste Fleckchen auf der Welt. Die rund 130.000 Tessinerinnen und Tessiner können jährlich über 2.000 Sonnenstunden genießen. Die südlichste Region der Schweiz bietet nicht nur grüne Hügel, Weinberge, Geschichte und Kultur, sondern neben einer atemberaubenden Landschaft auch mutige Unternehmerinnen, die sich ihren Lebenstraum erfüllen.

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Das Tessin von der schönsten Seite. – Foto: Silvano Zeiter

Erinnern Sie sich an die Produkte von Bally – Schuhe, Jacken, Pullover, Hosen? Klassische Linien in edlem Design. Die ästhetischen Trends bekommen mit der hauseigenen Bally Foundation ein neues Gesicht. In Lugano arbeitet die Stiftung mit kreativen und visionären Künstlern zusammen, um Forschung und innovative Ideen über den Bereich der Mode hinaus voranzubringen. Sie setzt auf Themen wie Kunst und Kultur, Nachhaltigkeit und Digitalisierung und orientiert sich dabei am Zeitgeist.

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Beliebter Treff für frische, regionale Produkte aus dem Tessin: der Mercato Bellinzona. – Foto: Luca Crivelli

„Durch Ausstellungen, Künstlerresidenzen und eine Reihe von Veranstaltungen geben wir diesen Schwerpunkten Raum. Mit speziellen Forschungsprojekten wollen wir Bereiche der neuen Technologien in Bezug auf Kunst und Kreativität erforschen“, sagt Vittoria Matarrese, Direktorin der Stiftung in der Villa Heleneum direkt am Luganersee. Stellvertreterin Caterina Donati freut sich über die wachsende Anzahl der Besucherinnen und Besucher. „Letztes Jahr fanden rund 8000 Gäste den Weg zu uns, dieses Jahr rechnen wir mit 10.000.“

Peter Alexanders geliebtes Morcote

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Überaus prachtvoll: die Villa dei Cedri. -Foto: Sabine Ludwig

Praktisch sind die Gästekarten, die Hotels im Tessin ausgeben und von Ticino Turismo, dem ortsansässigen Tourismusverband, gesponsert werden. Urlauber können damit rund um die Uhr alle öffentlichen Transportmittel des bezaubernden Kantons benutzen. Warum also nicht mal einen Apéro an der Uferpromenade von Morcote genießen?  Schon Peter Alexander wohnte hier und ließ sich von der charmanten Architektur des Dorfes mit seinen traditionellen Arkaden inspirieren. Die glücklichsten Jahre seines Lebens hätte er in dem kleinen Seeort verbracht. Den etwas Älteren  dürften seine Shows noch in guter Erinnerung sein. Wer sonst sorgte in den 1960er und 1970er Jahren für leere Straßen und volle Sofas vor der heimischen Flimmerkiste?

Verantwortung der Natur gegenüber: Carole Haensler ist Direktorin der Villa dei Cedri und widmet sich Umweltschutz, der direkt in Kunst übergeht. -Foto: Sabine Ludwig

Im 30 Autokilometer entfernten Bellinzona ist der Besuch der Villa dei Cedri ein Muss. Auch hier geht es um Innovation und Verantwortung der Natur gegenüber. Das Museum ist in einem Gebäude von 1920 untergebracht. „Wir präsentieren mit unseren Ausstellungen die Kunst des Tessins, der Lombardei und der Schweiz ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, erklärt Direktorin Carole Haensler. Die gebürtige Elsässerin ist zugleich auch Präsidentin des Verbandes der Schweizer Museen. „In der Regel haben wir hier zwei bis drei Ausstellungen jährlich.“

Burg mit Welterbe-Status

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Engagiert und mit Leidenschaft präsentiert Guide Claudia Maspoli-Blatter ihre Heimat. – Foto: Sabine Ludwig

Gästeführerin Claudia Maspoli-Blatter wartet vor dem Museum. Ein Besuch der prächtigen Burg von Bellinzona, der Fortezza, darf schließlich nicht fehlen. Von oben hat man eine wundervolle Aussicht auf die Umgebung und erfährt, dass die Festung von Mailänder Herzögen erbaut wurde und sich ihre volle Pracht im 15. Jahrhundert entfaltete. Bis zu 2.500 Soldaten konnten hier beherbergt werden, die das Herzogtum Mailand immer wieder vor den Angriffen der Eidgenossen schützten.

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Überaus beeindruckend ist die Festung von Bellinzona. – Foto: Sabin Ludwig

Maspoli-Blatter weist auf die Bedeutung der Burg für die Region hin: „Im Jahr 2000 hat die UNESCO die Festung zum Weltkulturerbe ernannt.“ Letztendlich sei die Anlage mit den drei Burgen, der Stadt- sowie einer Verteidigungsmauer, die das gesamte Tal gegen Norden absperrte, ein strategisch wichtiger Ort für die Überquerung der Alpen. „Sie ist das einzige Beispiel mittelalterlicher Militärarchitektur dieser Art in Europa“, ergänzt Maspoli-Blatter.

Keltern mit Leidenschaft

Gaby Gianini hat sich der Weinherstellung verschrieben. – Foto: Sabine Ludwig

So viel Kultur macht durstig. Zur Kunst des Reisens gehört auch, die besten Weine des Tessins zu genießen. Die Fahrt geht zurück nach Morcote und dann hoch hinauf zur Traumaussicht über den Luganersee. Genau hier, an diesem paradiesischen Fleckchen Erde, liegt das Weingut Castello di Morcote von Gaby Gianini. „Bereits als ich 2008 das Weingut übernommen habe, war mir klar, dass ich auf Bioanbau umstellen will“, begründet sie ihre Entscheidung, heute einen der außergewöhnlichsten Weine des Tessins zu produzieren.

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Der frühere Kuhstall dient heute als Weinkeller. – Foto: Sabine Ludwig

Gemäß der Philosophie nach Rudolf Steiner ging sie noch einen Schritt weiter: „Seit drei Jahren produzieren wir biodynamisch.“ Der Gedanke dahinter sei der Umgang mit Erde und Pflanzen und die tägliche Entscheidung zum Wohle des Rebberges. Wie mutig Gaby Gianini war, zeigt ihre Familiengeschichte: Großvater Massimo hatte das Weingut Anfang des 20. Jahrhunderts gekauft. Zusätzlich betrieb er Landwirtschaft. Gianinis Vater jedoch konnte sich ein Leben als Winzer nicht vorstellen und verpachtete den Weinberg.

Verbindung zu einem magischen Ort

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Das Weingut erhebt sich malerisch über den Luganersee. – Foto: Sabine Ludwig

Als junge Frau hat sich auch Gaby Gianini nicht für Weinbau interessiert, zog das Leben in Mailand und Lausanne dem in der Natur vor. Schließlich erfuhr sie, dass ihr Vater das heimische Gut verkaufen wollte und reagierte schockiert: „Ich hatte immer eine Verbindung zu diesem magischen Ort. Ihn wegzugeben, kam für mich nicht in Frage.“ Aus dieser schicksalhaften Konstellation und gegen den Willen ihrer Familie entstand allmählich eines der schönsten Weingüter im Tessin. Der frühere Kuhstall beherbergt heute die Barrique-Fässer, auf denen genau vermerkt ist, woher das Holz stammt. Daneben stehen mannshohe Ton-Amphoren. „Darin lagert unser Chardonnay. Wir wollen fruchtige, frische Weine keltern, nicht schwere und holzige. Wir wollen Eleganz.“

Der Degustationsraum ist äußerst einladend. – Foto Sabine Ludwig

Jene findet sich auch im modernen Degustationsraum mit der passenden Sitzgruppe vor dem offenen Kamin. Wandert der Blick vom Feuer zum Fenster hin breitet sich 500 Höhenmeter weiter unten der Luganersee aus. Önologin Benedetta Molteni ist seit der vierten Ernte mit im Team und hat bereits Erfahrungen auf angesehenen Weingütern gesammelt. Die Gäste erleben Weingenuss pur und haben die Wahl zwischen klangvollen Namen wie Castello di Morcote Bianco, Riserva, Fuoco, Bianca Maria, Chardonnay Amphora, Favola, Il Moro oder Rubino. Wer möchte, kann auch den hauseigenen Grappa probieren. „Mein Vater war schon immer von Weinen begeistert. Die übrige Familie jedoch nicht“, sagt Molteni zwischen den Weinproben. „Ich wollte entweder Landwirtschaft oder Weinbau studieren. Letztendlich inspirierte mich mein Vater für Letzteres.“

Eselrufe und Burgruine

Die Produktion umfasst bis zu 60.000 Flaschen jährlich. – Foto: Sabine Ludwig

Zum Weingut, das jährlich nicht mehr als 50 – 60.000 Flaschen produziert, gehören auch noch ein paar Esel und die idyllische Burgruine Castello di Morcote. Gerade im Sommer sei sie die perfekte Party-Location oder ideal für Hochzeiten. Verlässt man das Weingut zu Fuß erreicht man nach gut zehn Minuten das hauseigene Boutique-Hotel Relais Castello di Morcote. Managerin Maria Martha Iacachury zeigt die unterschiedlichen, mit viel Liebe zum Detail eingerichteten Zimmer.

Die Käserin Rita Laudatio hat sich erst spät ihren Lebenswunsch erfüllt. – Foto: Sabine Ludwig

„Der perfekte Ort, um zu relaxen. Hier ist es viel ruhiger als im unteren Teil des Dorfes und die Aussicht auf den Luganersee bezaubert.“ Die gebürtige Argentinierin zeigt auf die feudale Badewanne mitten in der Suite im obersten Stock, von der aus sich See und gegenüberliegende Berghänge bewundern lassen. „Für das perfekte romantische Wochenende!“, lächelt sie.

Käse und mehr aus dem Tessin

Der Rohmilchkäse aus dem Tessin ist echte Handarbeit. – Foto: Sabine Ludwig

Schon mal was von Zincarlin-Käse gehört? Der pikante Rohmilchkäse wurde im 19. Jahrhundert in fast jeder Familie im nahen Muggiotal produziert. Fast wäre dieses kulinarische Erbe für immer verschwunden, hätte es nicht Frauen wie Marialuce Valtulini gegeben. Die 74-Jährige hat das Rezept von ihrer Mutter übernommen. Dazu gehört, die pyramidenförmigen Laibe täglich mit Weißwein zu waschen. Mittlerweile hat sich der Zincarlin zu einem Slow-Food-Preisträger etabliert. Der Abstecher nach Salorino lohnt, denn nur hier können Interessierte den Reifeprozess in jahrhundertealten, natürlichen Felsenkellern erleben.

Die Zincarlin-Käse-Macherin Marialuce Valtulini. Einfach mal probieren! – Foto: Sabine Ludwig

Rita Laudato aus Chiasso hat eine Nachtschicht hinter sich. Seit 1 Uhr morgens bereitet die Käserin mehrere Hundert Liter Milch auf, die nachts aus der Molkerei geliefert werden. Sie produziert rund 15 eigene Käsesorten und auch Mousse, Joghurt und andere Leckereien laktosefrei und ohne Ei. Oft arbeitet sie von kurz nach Mitternacht bis 20 Uhr abends, um alles zu schaffen. Die Käserei ist ihr Herzenswunsch, erst im Alter von 45 Jahren hat sie mit der Ausbildung begonnen. Vorher hat sie als Buchhalterin, Goldschmiedin und Anstreicherin gearbeitet. Jetzt hat die 57-jährige Schweizerin ihre Erfüllung gefunden: „Ich komme normalerweise mit vier Stunden Schlaf aus!“


Die Recherche fand auf Einladung/mit Unterstützung von Schweiz Tourismus statt.

Sabine Ludwig

ist deutsche Journalistin und Reiseautorin. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und war als Kriegsberichterstatterin in Afghanistan, Südsudan, Irak und Mali. In ihrer Freizeit widmet sie sich neben diversen Sportarten ihrem Blog sl4lifestyle.com und ihrem Hund Brad. - Foto: Nicola Mesken