Mailand – Weichteiltango in der Kathedrale des Kommerzes

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Am Rande der Innenstadt liegt mit dem Castello Sforzesco der größte Museumskomplex in Mailand. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Angesichts der unglaublichen Menschenmassen liegt fast der Verdacht nahe, hier gäbe es etwas umsonst. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Kleidungsstücke und modischen Accessoires, die hier feilgeboten werden, wandern für zum Teil astronomische Summen über die Ladentheke. 1.000 Euro für ein Paar Schuhe, 850 Euro für ein winziges Handtäschchen, 1.500 Euro für ein Kostüm bilden da oft schon das untere Preissegment. Keine Frage, für die einen ist Shoppen in Mailand der schiere Wahnsinn, für die anderen der Modehimmel auf Erden. Die Designerstücke in den Ladenauslagen sind alles andere als von der Stange, bestechen zum Teil durch eigenwillige Muster, freche Farbkombinationen und gewagte Schnitte. Aber gerade das ist es wohl auch, was die Hauptstadt der Lombardei seit Jahr und Tag zu einem Mekka der Modejünger avancieren lässt.

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Berühmte Landmarke und eines der prachtvollsten Gebäude der Stadt: der Mailänder Dom. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Zu ihren Pilgerrouten gehören die Straßen im so genannten „Quadrilatero della moda“. Umrahmt wird das mondäne „Viereck der Mode“ von vier Straßen: Entlang der Via Monte Napoleone, Via Alessandro Manzoni, Via della Spiga und Corso Venezia präsentieren alle namhaften Stylisten der Welt ihre zum Teil überaus ungewöhnlichen Kollektionen. Selbst wer dem Diktat der führenden Modedesigner nicht unterliegt, wird beim „Windowshopping“ seine helle Freude haben. Denn die aufwendig gestalteten Schaufenster sind voll von (mehr oder weniger) faszinierenden Hinguckern.

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Die Schaufenster im „Viereck der Mode“ sind zumeist aufwendig dekoriert. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Während Modebewusste mit dem nötigen Kleingeld in Italiens zweitgrößter Stadt also mühelos auf ihre Kosten kommen, gibt es nicht wenige, die im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie vergeblich um Einlass bitten. Denn hinter den Mauern des UNESCO-Weltkulturerbes, genauer gesagt an der Nordwand des Refektoriums, des Speisesaals, findet sich einer der wohl berühmtesten Kunstschätze der Welt: das von Leonardo da Vincis zwischen 1494 bis 1498 geschaffene Gemälde „Das Abendmahl“. Das mehr als vier Meter hohe und mehr als neun Meter lange Bild zeigt Jesus mit den zwölf Aposteln, unmittelbar nachdem dieser ihnen beim letzten gemeinsamen Essen am Vorabend seiner Kreuzigung sagte: „Einer von euch wird mich verraten.“

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Ein wenig verrückt, bisweilen extrem schrill sind einige der angebotenen Designerklamotten. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Das Bild gilt als Meilenstein der Renaissance. Ein Meilenstein, der spätestens seit Erscheinen von Dan Browns berühmtem Bibel-Thriller „Sakrileg“ im Jahre 2003 selber eine wahre Renaissance erfährt. Denn jeder, der nach Mailand kommt, will „Das Abendmahl“ sehen. Doch dieser Blick ist weiß Gott nicht allen vergönnt. Ohne Reservierung läuft hier gar nichts.

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Überaus prachtvoll: das Museo Civico di Storia Naturale. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Wie, Sie haben keine Eintrittskarten vorbestellt?“, fragt die freundliche Signora an der Kasse, um dann hinterher zu schieben, dass für die nächsten acht Wochen alle Tickets bereits fest vergeben seien. Entsprechend groß ist die Enttäuschung. Doch die Dame an der Kasse hat offenbar kein Herz aus Stein. Im Gegenteil. Sie scheint eine Mischung aus Sympathie und Mitleid zu verspüren. Sie blättert ein wenig in der Besucherliste, beugt sich dann leicht vor und flüstert dezent: „Heute Nachmittag haben sich mehrere Gruppen angesagt – wenn die deutlich kleiner ausfallen, als geplant, kann ich vielleicht etwas machen. Kommen Sie um 14 Uhr noch einmal vorbei und melden sich direkt bei mir“, sagt die neue Lieblingsitalienerin und zwinkert diskret mit dem Auge.

Ein Bild mit Magnetwirkung: „Das Abendmahl“ von Leonarda da Vinci

Gesagt, getan. Nach einer ausgedehnten Pizza-Pasta-Pause geht es zurück zum Kloster Santa Maria delle Grazie. Und die liebste Italienerin von allen hat Wort gehalten. Sie macht das Unmögliche möglich. Es folgt ein kurzer Freudentaumel nebst Dankesworten, ehe einem das mit Tempera-Farben gemalte Meisterwerk von Universalgenie da Vinci schier sprachlos macht. „Das Abendmahl“ hat eine magnetische Anziehungskraft, besticht durch eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Raumperspektive, in der die Emotionen der Jünger optisch zu tragen kommen.

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Der Stolz der Stadt und Pilgerstätte für Tausende von Touristen: der Mailänder Dom. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Nicht minder genial mutet der berühmte Mailänder Dom an. Die drittgrößte (katholische) Kirche der Welt wurde ab dem 14. Jahrhundert aus hellem Marmor an der zentralen Piazza del Duomo im gotischen Stil erbaut (und erst 1965 endgültig fertig gestellt). Nicht weniger als 4.000 Statuen zieren die reich geschmückten Spitzen des mächtigen Gotteshauses. Den höchsten Punkt des Doms markiert mit 108,5 Metern eine goldene Madonnenstatue.

Die Galleria Vittorio Emanuele II gilt nicht von ungefähr als „Kathedrale des Kommerz“. (Foto Karsten-Thilo Raab)

An der Nordseite des Domvorplatzes schließt sich mit der Galleria Vittorio Emanuele II nicht nur die älteste überdachte, sondern auch eine der wohl nobelsten Einkaufspassagen der Welt an. Die Portale der 200 Meter langen „Kathedrale des Kommerzes“ erinnern optisch an Triumphbögen. Der von Giuseppe Mengoni entworfene und 1877 eröffnete Prachtbau ist mit 47 Meter hohen Glaskuppeln und einem imposanten Glasdach ausgestattet.

Immer lustig: das Stier-Ritual in der Galleria Vittorio Emanuele II. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Konkurrenz erhalten die Auslagen der Nobelgeschäfte durch eines der vielen wunderbaren Bodenmosaike. Gemeint ist jenes, das das Stadtwappen von Turin ziert – einer Metropole, mit der Mailand seit Jahr und Tag eine Hassliebe verbindet. Das Wappentier der Turiner ist ein Stier. Beliebte Übung, bei Mailändern und Besuchern aus aller Welt ist es, dem Stier auf die Hoden zu treten. Mit dem Fuß auf den Weichteilen des Rindviehs soll man sich dann dreimal um die eigene Achse drehen, was Glück bringen soll.

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Das Castello Sforzesco verbindet die Innenstadt mit dem Parco Sempione. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Ob dem so ist, lässt sich auch nach einem Selbsttest nicht mit Bestimmtheit sagen. Wohl aber, dass dem Wappentier das „Füsseln“ beim „Weichteiltango“ nicht sonderlich bekommt. Denn dort, wo einst die Manneskraft des Stieres lag, klafft nun ein faustgroßes Loch, das den Fersen der Glückssuchenden zu verdanken ist. Auf jeden Fall empfiehlt sich das Glücksritual für alle, die in der Vergabelotterie für die Eintrittskarten zu da Vinci Abendmahl kein Glück hatten.

Trutzig wirken die mächtigen Mauern des Castello Sforzesco. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Die Galleria Vittorio Emanuele II führt quasi als Verbindungsachse vom Dom zum nächsten berühmten Gebäude in Mailand, die Scala. Das 1778 eingeweihte Opernhaus an der Piazza della Scala wirkt von außen eher unscheinbar und wenig spektakulär, gilt aber als einer der feinsten Klangkörper auf dem Erdball.

Ungewöhnliche Kunstwerke sind im Parco Sempione zu finden. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Deutlich älter, aber nicht weniger beeindruckend ist das Castello Sforzesco. Der Renaissance-Bau aus dem 15. Jahrhundert beheimatet den größten Museumskomplex der Stadt mit nicht weniger als neun Museen und Kunstgalerien. Die Burg der einstigen Herrscherfamilien von Mailand grenzt nach Südosten an die weitläufige Fußgängerzone und geht in nordwestlicher Richtung in den Parco Sempione, eine der grünen Lungen der Stadt über.

Blick vom Parco Sempione auf den Arce della Pace. (Foto Karsten-Thilo Raab)

In dem weitläufigen Park befindet sich auch der Torre Branca. Von der Aussichtsplattform des 108,6 Meter hohen Stahlturms bieten sich famose An- und Aussichten einer faszinierenden Stadt, die weit mehr zu bieten hat, als aufregende Mode

Beliebtes Transportmittel sind nach wie vor die alten, klapperigen Mailänder Straßenbahnen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Weitere Informationen unter www.turismo.milano.it.

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