Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig es eigentlich braucht, um kiloweise Glückshormone auszuschütten. So im Norden von Wales auf der Llŷn-Halbinsel. Der Anblick der weiten Bucht, der sanften Hügel und der Irischen See lässt in Sekundenschnelle den wolkenbehangenen Himmel vergessen. Gesteigert wird das Glücksgefühl noch, als am nördlichen Ende der sichelförmigen Bucht von Porthdinllaen eines der faszinierndsten Pubs des Landes erreicht ist:
Das Ty Coch Inn wurde sogar jüngst zu einer der zehn schönsten Strandbars der Welt gekürt, obwohl es streng genommen keine solche ist. Vielmehr liegt die populäre Kneipe durch eine Mauer geschützt etwas oberhalb des weitläufigen Sandstrandes. Und doch stimmen Bier- und Cocktail-Liebhaber hier mit den Füßen ab, pilgern in Scharen zu dem entlegenen Pub.
Längster Küstenwanderweg der Welt
Auf der Landzunge etwas oberhalb duckt sich der malerische Golfplatz von Nefyn in der weitläufigen Dünen- und Hügellandschaft. Die speziellen Windverhältnisse stellen die Spieler vor besondere Herausforderungen, während unten am Strand mit dem Wales Coastal Path, der mit 1.400 Kilometern längste Küstenwanderweg der Welt, verläuft.
Wer diesem für ein paar Kilometer folgt, gelangt zum einem besonderen Kleinod namens Nant Gwrtheyrn. Das kleine Dörfchen liegt in einer tief eingeschnittenen Schlucht an der Irischen See im Schatten von fast 400 Metern hoch aufragenden Bergen. Dort, wo ab Mitte des 19. Jahrhunderts für gut neun Jahrzehnte Steine abgebaut wurden, stoßen viele heute auf schwere verbale Brocken. Denn seit 1982 wird in Nant Gwrtheyrn versucht, interessierten Erwachsenen aus aller Herren Ländern die Besonderheiten der alles andere als einfachen walisischen Sprache näher zu bringen.
Arbeiteridylle am Klippenrand
„Im 18. Jahrhundert waren die Industriemetropolen in England händeringend auf der Suche nach Baumaterial. Insbesondere aus Manchester und Liverpool wurden die Fühler ins benachbarte Wales ausgestreckt“, so Mathew Penri, einer von drei Lehrkräften im sogenannten National Language Centre. Im Jahre 1860 eröffneten in Nant Gwrtheyrn, so der 26-jährige weiter, gleich drei Steinbrüche, in denen Granit als Straßenbelag abgebaut wurde.
Für die Arbeiter wurden zwei Häuserreihen hochgezogen. Auch eine Kapelle und ein Geschäft fehlten nicht. Als Anfang des 20. Jahrhunderts das Kopfsteinpflaster mehr und mehr dem Teer als Straßenbelag weichen musste, wurde gleichzeitig das Ende der Steinbrüche eingeläutet. Die Arbeiter und ihre Familien verließen Nant Gwrtheyrn und die Siedlung verfiel in einen Dornröschenschlaf, ehe hier ab Ende 1970er Jahre umfangreiche Umbau- und Renovierungsarbeiten für das Sprachzentrum begannen.
Beeindruckendes Welterbe in Caernarfon
Die Kapelle und das einstige Haus des Steinbruchchefs, das den Namen „Y Plas“ trägt, wurden zu Unterrichtsräumen, die Wohnhäuser zu Unterkünften, so dass hier ab 1982 erste Walisisch-Kurse abgehalten werden konnten. Die Schlafstätten in Nant Gwrtheyrn, das jährlich allein 50.000 Tagesgäste zählt, stehen allen offen. Und so legen nicht wenige, die auf dem Wales Coastal Path unterwegs sind, hier ein Nachtlager abseits allen Trubels ein.
Überaus lohnend ist auch ein Abstecher nach Caernarfon. Die 10.000-Seelen-Gemeinde an der Meerenge von Menai fühlt sich spürbar königlich. Nicht nur, weil das weithin sichtbare Castle im Herzen der malerischen Altstadt als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO steht, sondern weil im Hof der trutzigen Festung der britische Thronfolger Charles im Jahre 1969 zum „Prinz of Wales“ gekrönt wurde.
Wo Charles zum Prince of Wales wurde
Bis heute sind die Windsors dem Städtchen eng verbunden und statten Caernarfon regelmäßig einen Besuch ab. Daher wurde die im 13. Jahrhundert errichtete Festung mit ihren neun Türmen und stolzen Zinnen sogar durch einen gläsernen Balkon erweitert, von dem aus die Blaublütigen dem Volke auf dem zentralen Castle Square zuwinken können.
„In Wales finden sich genau 641 Burgen und Burgruinen“, weiß Guide Rob Lewis Jones zu berichten, während mit Conwy eine weitere Perle im Norden von Wales erreicht ist. Neben dem gleichnamigen Castle aus dem 13. Jahrhundert, das ebenfalls zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt, wird das mittelalterliche Marktstädtchen von einer 1,5 Kilometer langen Stadtmauer mit insgesamt 21 Türmen dominiert.
Das kleinste Haus Großbritanniens
Einen augenfälligen Kontrast zu den geschichtsträchtigen Gemäuern bildet ein knallrotes Häuschen am Hafen, das als schmalstes Haus in Großbritannien gilt. Der gezeitenabhängige Hafen, eine spektakuläre Hängebrücke von Thomas Telford aus dem frühen 19. Jahrhundert und die Nähe zu den Bergen von Snowdonia sind weitere Pfunde, mit denen Conwy wuchern kann.
Ein wenig angsteinflößend wirken nur die laut kreischenden Möwen, die zu fliegenden Riesen mutiert zu sein scheinen und überaus gut im Futter sind. Die „Don’t feed seagulls“-Schilder werden hier scheinbar beflissentlich ignoriert. Dafür sorgen in der High Street einige Bäume, die durch das sogenannte Guerilla Knitting mit einem Strickkleid verschönert wurden, für besondere Blickfänge.
Toskana-Flair in der Tremadog Bay
Eine völlig andere Welt eröffnet sich wenige Kilometer weiter in Portmeirion, wo der exzentrische Visionär Clough William-Ellis (1883-1978) zwischen 1925 und 1976 seine eigene kleine Welt geschaffen hatte: einen verspielten Ort mit bonbonfarbenen Fassaden, Türmchen, Säulengängen, Kirchen, Kuppeln, Statuen und einem liebevoll angelegten Garten. Vieles ist echt, manches aber einfach nur schöner Schein.
Über Portmeirion schwebt ein Hauch der Toskana mit einem Hang zum Disneyland. Zu den vielen kuriosen Bauwerken gehören der Bell Tower of Campanile, die Buddha Statue aus Ingrid Bergmanns Film „Die Herberge zur 6. Glückseligkeit“, der Pantheon, eine klassische Kolonnade, die William Reeve 1760 für den Arnos Court in Bristol errichtet hatte, ein „falscher“ Leuchtturm und ein viktorianischer Hundefriedhof, der noch immer Benutzung ist.
Lebenstraum von Clough William-Ellis
„William-Ellis wollte beweisen, dass er an einem der schönsten Flecken dieser Erde etwas ebenso Schönes schaffen konnte, ohne dieser Ort zu zerstören“, berichtet Meurig Jones, Standortleiter von Portmeirion, voller Ehrfurcht über die Entstehung dieses ehrgeizigen Projektes, das ein bisschen an eine Filmkulisse erinnert. Und in der Tat wurde auf dem 7.000 Hektar großen Areal an der Tremadog Bay ab 1966 die britische TV-Kultserie „The Prisoner„, die in Deutschland unter dem Titel „Nummer 6“ über den Bildschirm flimmerte, abgedreht.
Auf die Frage, warum er diesen ungewöhnlichen Mix aus Baustilen und Epochen im Norden von Wales errichten ließ, soll Clough Williams-Ellis Zeit seines Lebens immer wieder gebetsmühlenartig geantwortet haben: „Weil es mein Traum war!“
Fehlen noch 639 Burgen…
Einen eben solchen verwirklichte in unmittelbarer Nachbarschaft zum Portmeirion Village im Jahre 1850 auch der Abgeordnete David Williams. Er ließ sich mit Castell Deudraeth ein viktorianisches Schloss errichten, das heute als Luxushotel und Nobelrestaurant dient.
„So hübsch auch anzusehen ist, gehört es wirklich nicht zu den 641 Burgen und Burgruinen in Wales“, lacht Rob Lewis Jones, wohl wissend, dass noch 639 weitere Castle darauf warten, entdeckt zu werden…
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Der Buchtipp: Unnützes Reisewissen
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Ein Sammelsurium, das für die Macher von Quizshows ein perfekte Vorbereitung garantiert; eine Sammlung, die gleichermaßen zum Staunen, zum Kopfschütteln und mitunter zum Lachen einlädt und die für jede Menge Gesprächsstoff sorgt. Und sei es, weil man Mitreisende, Freunde und Bekannte mit vermeintlich unnützem Reisewissen konfrontiert. Dies kann hier und da nerven, sorgt aber immer für launige Unterhaltung. Denn für alle, die gerne mal mit weniger bekanntem Wissen über Reiseziele auftrumpfen möchten, findet sich in dem Buch aus dem Westflügel Verlag entsprechender Input mit mehr als 800 (!)erstaunlichen Fakten, die weit über die Beschreibung eines Urlaubsortes hinausgehen. Ein Buch, das einem im positiven Sinne nicht loslässt und ganz nebenbei ein Wissen vermittelt, das man nicht unbedingt benötigt, das aber jede Menge Spaß garantiert.
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Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.