Nicht nur Sonne satt auf den Philippinen

Philippinen
Familie Schlenker am Strand von Dumaguete auf den Philippinen. – Foto: Enric Boixadós

Schicksalsgebend war die Einladung zu einer Hochzeit auf den Philippinen. Dort lernte Jörg Schlenker aus Zwickau die Freundin der Braut kennen, verliebte sich und blieb. Ein Hochzeitsplaner regelte alles weitere: Die kirchliche Heirat mit reichlich Publikum und anschließend Hochzeitsessen mit Spiel und Spaß in privater Umgebung. Ein Jahr später kam Tochter Isabella auf die Welt und das Familienglück war perfekt. Jetzt wartet die Kleine sehnsüchtig auf eine Schwester, die im Mai zur Welt kommen wird. Denn ein Brüderchen hätte sie nur halb so glücklich gemacht.

Die Philippinen sind mit 84 Prozent der Landmasse nicht ganz so groß wie Deutschland. Dafür haben sie fast 40.000 Kilometer Küste und Strände. Knapp die Hälfte der 115,5 Millionen Einwohner lebt in den großen Städten des Archipels im Südchinesischen Meer. Doch wie sieht der Alltag einer Familie in einem Land aus, das durch steigende Inflation, hohe Arbeitslosigkeit, korrupte Politiker und ein hohes Gewaltpotential gekennzeichnet ist? Der Handel mit Waffen ist ein lukratives Geschäft, jede zwanzigste Person besitzt eine Waffe. Die vielen, in der Mehrheit asiatischen, Touristen bekommen vom all dem nur wenig mit, denn die Philippinen sind durch ihre Naturschönheiten und den vielfältigen Ausflugs- und Sportmöglichkeiten ein Paradies für Rucksack-Reisende und Pauschal-Urlauber. Hinzu kommen Hotels und Ressorts, die überaus serviceorientiert sind. Philippinisches Personal ist freundlich, hilfsbereit und liest seinen Gästen jeden Wunsch von den Augen ab.

Heile Welt und krasser Alltag

Philippinen
Evelyn und Töchterchen Isabella fühlen sich auf den Philippinen wohl. – Foto: Enric Boixadós

„Normalerweise haben die Familien hier vier bis fünf Kinder“, sagt Jörg Schlenker. Ehefrau Evelyns vier Geschwister dagegen haben jeweils nur ein Kind als Attribut an ein Leben, das immer teurer wird „Ich bin die erste in der Familie, die zwei Kinder haben wird“, lächelt sie. Ihre Brüder konnten sich keine kirchliche Hochzeit leisten. Die Kirche erlaube keine Verhütung und die Anti-Baby-Pille gibt es nur auf Rezept vom Arzt. Das sei dann auch teurer als die illegalen Pillen, die es auf dem Markt zu kaufen gibt und die kaum taugen. Und sterilisierte Männer dürfen ihre Ehe nicht vor Gott schließen.

Überhaupt sei eine katholische Hochzeit sehr kostspielig. Zwei Heiratsseminare müssten zudem absolviert werden. Für eine standesamtliche Heirat sei man mit einem Seminar dabei. „Der Priester hat uns darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, alle Familienmitglieder und Freunde einzuladen, denn das stärke den Zusammenhalt. Egal, wie teuer es ist.“ Auch die Überschuldung sei im Inselstaat ein großes Problem. „Jeder hier hat Schulden, mit der Rückzahlung nimmt man es nicht so genau“, ergänzt der 59-jährige Deutsche. „Doch das gehört zum Leben hier dazu, man macht sich deswegen nicht verrückt. Da sind die Menschen viel sorgloser als in Deutschland, man will halt einfach glücklich sein.“

Auslandsverwandte als Anker

Auch für Isabella und ihre Cousine Faith Scarlett ist der Familienzusammenhalt wichtig. – Foto: Enric Boixadós

Für die Filipinos sei das Leben in den Städten für Familien am besten. Denn dort gibt es mehr Jobs als auf dem Land, man lebt in Mehrfamilienhäusern zur Miete oder kann sich ein eigenes kleines Haus leisten. Bauernfamilien (Monatsgehalt: 7.000 Pesos, ca. 120 Euro) leben dagegen in Holz- oder Bambushäusern und haben nur begrenzte Einkommensmöglichkeiten. Die besten Jobs sind die als Beamte oder Regierungsangestellte (Monatsgehalt: bis zu 20.000 Pesos, ca. 345 Euro).

Familien, die Angehörige im Ausland haben, geht es am besten. Denn die werden regelmäßig finanziell unterstützt. Evelyns Schwester beispielsweise lebt mit Mann und Kind in Dänemark und hilft der Familie zuhause. Oder es gibt eine hohe Anzahl an Filipinas, die in Hongkong und Singapur als Hausangestellte leben. „In den teuren Einkaufszentren, die es in jeder Stadt gibt, kaufen nur die ein, die von Auslandsverwandten unterstützt werden“, sagt der Klimatechnik-Ingenieur, der heute als Kundendienstberater für einen deutschen Verlag in Dumaguete in der südlichen Region Negros Oriental arbeitet.

Dirty Kitchen

Evelyn Schlenker und ihre Mutter bereiten das Essen zu. – Foto: Enric Boixadós

Seit Juni 2023 hat Evelyns Schwägerin Eliziel einen Job als Hausangestellte in Hongkong. Jetzt hat sie einen neuen Arbeitsvertrag im Kosovo. Für drei Jahre wird sie nicht auf die Philippinen zurückkommen. „Natürlich ist es schwer für uns, sie so lange nicht zu sehen. Aber es sind Opfer, die wir für die Zukunft der Familie erbringen, besonders für die unserer Tochter Faith Scarlett“, sagt Ehemann Norberto Japa. Während die Siebenjährige im Wohnzimmer mit ihrer Cousine Isabella spielt, bereiten Evelyn und ihre Mutter Eufemia das Abendessen zu. Denn heute trifft sich, wie so oft, die Familie, zum Abendessen. Ihr Stellenwert ist in dem südpazifischen Inselreich hoch angesiedelt.

„Ich habe erst mit 35 Jahren geheiratet“, sagt Evelyn als Älteste ihrer Geschwister. „Das ist sehr selten hier. Für mich war es sehr wichtig, Mutter zu werden.“ Sie deutet auf Isabella und lächelt dankbar. „Wir waren sehr glücklich, als Evelyn heiratete“, betont die Mutter und blickt vom Herd auf. Beide Frauen nutzen heute die Kochstelle vor dem Haus. Eine Küche, wie wir sie kennen, gibt es im Inneren. „Die Äußere nennen wir Dirty Kitchen, da wird gekocht und gebrutzelt, die gibt es in fast jedem Haushalt“, erklärt Ehemann Jörg.

Kuverts mit Geld

Gemeinsames Abendessen mit der Familie .- Foto: Enric Boixadós

Die siebenjährige Faith Scarlett muss bald ins Bett, da morgen wieder Schule ist. „Jedes Schulkind einer einkommensschwachen Familie wird von der Regierung mit rund 3.000 Pesos (ca. 52 Euro) für Lernmaterial und Schuluniform unterstützt“, fügt Evelyn hinzu. „Man muss diese Ausgaben jedoch mit Quittungen belegen.“ Seit der Amtszeit des früheren umstrittenen Präsidenten Rodrigo Duterte sind alle öffentlichen Schulen – von der Grundschule bis zum College – kostenlos. Nur Privatschulen, wie die katholische Don Bosco-Schule, kosten im Jahr rund 1.000 Euro Gebühren. Es gibt eine Krankenversicherung, die sich längst nicht alle leisten können. Vorsorgeuntersuchungen, Arztbesuche und Krankenhauskosten müssen aber privat gezahlt werden.

Ältere Menschen wie Evelyns Mutter, die keine Rente erhalten, bekommen vom Staat 12.000 Pesos (rund 207 Euro) jährlich für ihren Lebensunterhalt. Rentnerinnen und Rentner erhalten ein monatliches Minimum von 2.000 Pesos (ca. 35 Euro), welches sich jährlich erhöht. Normal ist auch, dass Politiker bei Wahlen Kuverts mit Geldscheinen an die potentiellen Wähler ausgeben. „In der Hoffnung, man wählt sie“, ergänzt Evelyn. „Doch eine Garantie ist das natürlich nicht für sie!“

Ehe-Anulierung statt Scheidung

Familie Schlenker vor Kathedrale – Foto: Enric Boixadós

Das Essen ist fertig, und die Familie sitzt gemeinsam am Tisch. Doch was passiert, wenn Ehen auseinander brechen? „Es gibt keine Scheidung, sondern nur eine Annullierung der Ehe, die nicht zum Zahlen von Unterhalt verpflichtet. Der nächsten Heirat steht damit nichts im Wege“, ergänzt die 40-Jährige, „Denn mit einer Annullierung ist man wieder Single.“ Und wenn es doch mal zum Ehebruch kommt, kann der betrogene Partner/die betrogene Partnerin die Polizei rufen. Wenn die Untreuen dann „in flagranti“ ertappt werden, kann dieser Tatbestand – je nach Schwere – mit zwei bis sechs Jahren Gefängnis bestraft werden.

Der Tod eines Familienmitgliedes zieht immer mehrtägige Trauerfeierlichkeiten nach sich. Rund 95 Prozent der Verstorbenen werden beerdigt, nur ein kleiner Anteil wird verbrannt. Nach dem Ableben folgt eine neuntägige Trauerzeit, während der eine kontinuierliche Totenwache, bestehend aus Familie, Freunden und Nachbarn, gehalten wird. Als Wertschätzung dafür gibt es Kaffee zum Wachbleiben und Snacks. Und auf die Familienmitglieder aus Übersee wird natürlich gewartet, denn die sollen sich auch verabschieden können. Für alle, die an der Beerdigung teilnehmen, wird eine Mahlzeit gekocht. Am Grab selbst gibt es dann noch Schnittchen und Getränke. „Das ist alles sehr kostspielig für die Familie“, betont Evelyn. Die Trauerfarben sind weiß und schwarz, aber heutzutage überwiegt vor allem die weiße Farbe.

Familienzusammenhalt

Philippinen
Auch abseits der Strände bestechen die Philippinen mit faszinierenden Landschaften.

Jörg Schlenker lebt mittlerweile seit fast sechs Jahren auf den Philippinen. Am Anfang hat ihn die Unpünktlichkeit genervt: „Wenn ein Handwerker sagt, er kommt morgen, dann weiß man eben nicht, welches Jahr er meint“, schmunzelt der blonde Deutsche. Doch hilfsbereit sind die Filipinos alle. Früher arbeitete Schlenker für Firmen im Bereich Kälte- und Klimatechnik sowie in der Projektplanung in Zentralamerika und der Ukraine. Eine eigene Firma hatte er in Deutschland. Doch waren sowohl Aufträge wie auch die Kundenmoral in den Wendejahren schwierig bis nicht kalkulierbar. Nun gibt es andere Prioritäten: Das Häuschen alsbald abzahlen, eine Solaranlage aufs Dach bauen und an eine gute Ausbildung für die Kinder denken. Später vielleicht auch mal ein Auto kaufen, doch mit dem Moped oder den dreirädrigen Taxis, genannt Tricycles, kommt man genau so gut voran, und es ist billiger.

„Meine Familie ist immer für uns da“, sagt Evelyn. „Hier bleiben die alten Menschen in den meisten Fällen zuhause. Ich würde jederzeit meine Schwiegereltern aufnehmen, solange sie das möchten.“ Überhaupt sei hier der Zusammenhalt ein anderer als wie Jörg Schlenker ihn aus der Heimat kenne. Seinen Lebensabend möchte er auf den Philippinen verbringen. „Mit meiner deutschen und der kleinen philippinischen Rente haben wir hier ein schönes Leben“, zieht er Fazit.