Über dem Mississippi-Delta fliegt ein riesiger Schwarm Wildgänse am hohen Himmel. Darunter ein weites, flaches Land mit fruchtbarer Erde. Mit seinen Millionen weißer Baumwoll-Tupfer sieht es aus wie ein gewaltiges impressionistisches Gemälde. Von hier, von diesen endlosen Feldern unter der glühenden Sonne der amerikanischen Südstaaten kommt der Blues. Und über diesen Highway da vorne hat er sich aufgemacht, die Welt zu erobern.
Der „Blues Highway No. 61” ist jene Reisestraße zwischen New Orleans und Chicago, über die vor 100 Jahren Afro-Amerikaner gen Norden zogen. Weggelockt aus dem Elend ins Gelobte Land. Man reiste, so weit die Dollars reichten. Dann arbeitete man – als Sklaven auf den Baumwoll-Plantagen oder beim Deichbau, dann zog man weiter.
Traurigkeit und Stimmung aus der Kehle
„Es waren Landschaften wie diese und die harte Arbeit der Schwarzen, die den Blues entstehen ließen“, erfährt die Besuchergruppe. „Abends, vor oder auf den wackeligen Terrassen ihrer Holzhütten oder in dunklen Kneipen griffen sie zur Gitarre und sangen ihre Traurigkeit und Stimmung aus der Kehle“, erzählt Blues-Kenner Butch im „Doe’s“, einem urigen Lokal mitten im schwarzen Viertel der Kleinstadt Greenville.
Butch hat Luther Allison und B.B. King noch live gehört, sein Favorit aber ist Alvin Young-blood. „Du schließt die Augen und denkst, es spielt Charly Patton, der King of the Delta Blues“, schwärmt er später in der „Blues Bar“. Dort steht Gittarist Mickey Rogers, der schon mit Jimmy Hendrix spielte, auf der Bühne. Seine Melodien sind so mächtig und satt, sie „haben“ den Blues. Wie einst die Legenden Son Thomas, Muddy Waters, B.B. King „ihn“ hatten und deshalb auf dem „Walk of Fame“ für Blues-Sänger aus dem Delta verewigt sind. In diesem kleinen Ort am Mississippi!
Wo jeder Flecken Erde Musik hat…
Wir folgen dem Ol‘ Man River flussaufwärts auf dem Highway 61 von Natchez bis Memphis, wo jeder Flecken Erde Musik ist. Fast hätten wir es übersehen, das legendäre „Cross-road-Schild 61/49“ in Clarksdale. Dort, wo der Blues-Pionier Robert Johnson seine Seele an den Teufel „verkauft“ haben soll, der ihm dafür den „Blues“ gab. Es ist ein so unscheinbarer Ort im Coahoma-County. Doch hier wurde Musikgeschichte geschrieben. Mit Männern wie Rufus Thomas, Howlin‘ Wolf, John Lee Hooker – unsterbliche Götter des Blues.
Clarksdale pflegt diese Erinnerung. Gegenüber vom hochinteressanten Delta-Blues Museum gründete der berühmte Hollywoodschauspieler Morgan Freeman den „Ground Zero Club“ – für jeden auf dem Globus, der eine tiefe Liebe zum Blues hat. „Blues braucht Bierflaschen, Kippen auf dem Boden, verschmierte Wände und bröckelnden Putz. Wir dürfen nie vergessen, woher wir kommen“, erklärt Faktotum Puttin das Club-Ambiente.
Memphis als Pflichtstation
Tennessee ist für jeden USA-Reisenden natürlich Memphis. Die Stadt liegt in einer weiten Flussschleife des Mississippi. Schwalben jagen dicht übers Wasser und an den Ufern blühen Magnolien. Nicht von ungefähr schmückt sie sich im Namenszug mit einer Gitarre, nennt sich ebenso „Heimat des Blues“. Auch die Country-Musik entstand in dieser Gegend.
Schließlich und endlich wurde im Sun-Studio, einem winzigen Gebäude in einem nach Abbruch riechenden Viertel, in den 1950er Jahren der Rock ´n´ Roll aus der Taufe gehoben. Von Jonny Cash, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Ray Orbison, aber vor allem von „the one and only“ Elvis Aaron Presley. Mit seinem Song „That’s All Right Mama“, den er als Geburtstagsgeschenk für seine Mutter hier aufnahm, begann seine Weltkarriere.
Graceland als Pilgerstätte
Auch mehr als 30 Jahre nach seinem Tod geht von ihm eine ungeheure Faszination aus. Um die 700 000 Besucher kommen jährlich nach „Graceland“, wo sie einen Voyeursblick ins Innenleben dieses so unglücklichen Helden werfen können. Der Sound ist absolut super im Musikstudio seiner fast rührend plüschigen Südstaatenvilla. Der King bringt’s auch heute noch: Bei „It’s now or never“ rieselt’s einem nur so den Rücken ´runter…
„Schön“ in unserem Sinne ist Memphis sicher nicht. Vicksburg oder Natchez, die älteste Siedlung am Unterlauf des Stromes, sind ohne Zweifel reizvoller. Selbst die Beale Street, ehemals die „schwarze“ Hauptstraße, mit seinen Kneipen versprüht nur abends im Schein der bunten Lichter Flair. Dann wird der Blues lebendig. Aus jeder Tür dringt mitreißende Musik von Live-Bands. Schräge Typen und fein gekleidete Touristen vermischen sich zu einer Fangemeinde, die nur eins will: Blues at it‘s best!
Einstiger Tummelplatz der Millionäre
Ol‘ Man River – leise dümpeln die alten Schaufelraddampfer an seinen Ufern. Fest vertäut, denn fast alle wurden längst in Casinos umgewandelt. Die nennen sich dann „Delta Queen“ oder „Natchez“ nach dem verträumten Ort, der in Zeiten des Baumwollbooms die meisten Millionäre Amerikas zählte. Dort zuckeln heute geschmückte Pferdekutschen durch „downtown“.
Vorbei an eleganten Stadthäusern mit weißen Säulen und blühenden Azaleen in den Vorgärten – Südstaatenflair mit weißen Schaukelstühlen auf den Veranden. Von unermesslichem Reichtum künden noch hunderte „Antebellum“-Häuser mit dem Charme „Vom Winde verweht“. Eins immer größer und schöner als das andere. In vielen können Gäste ihr müdes Haupt auf Himmelbetten legen mit Blick auf riesige Magnolienbäume.
Wissenswertes in Kurzform
Information: www.visittheusa.de/state/tennessee
Küche: Crab Cakes, She-Crab Soup, Grits, kreolische Currys u.a.; Cocktail „Mint julep“ mit Minze, Durban-Whisky.
Unterkunft: Antebellum-Villen ab 115 Dollar/DZ/F. Clarksdale: Originelle Lofts über dem „Ground Zero“- Club ca. 80 Dollar/DZ; das legendäre Riverside-Hotel ab 40 Dollar/DZ; in Memphis: „Heartbreak Hotel“ mit Elvis-Platten im Zimmer ab 60 Dollar/DZ.
Literatur: „Mc Cormick Book Inn“ in Greenville hat wundervolle Bücher von Autoren dieser Gegend: T. Williams, W. Faulkner, Endora Westly u.a.
Katharina Büttel
lebt und arbeitet als freie Reisejournalistin in Berlin. Über 30 Jahre reist sie für ihre Reportagen und Fotos um die Welt – seit vielen Jahren veröffentlicht sie auch im Mortimer-Reisemagazin.