Kazimierz und Podgórze – Krakaus jüdische Seite

Kazimierz
Die jüdische Geschichte von Krakau wird beim Gang durch Kazimierz und Podgórze hautnah erlebbar. – Foto Karsten-Thilo Raab

Steven Spielberg sei Dank. Mit seinem Kinoklassiker „Schindlers Liste“ lenkte er 1993 international nicht nur den Fokus auf ein bewegendes Kapitel der Schreckensherrschaft der Nazis, sondern rückte auch Kazimierz (Deutsch: Kasimir) im wahrsten Sinne des Wortes verstärkt ins Bild. Denn weite Teile der Außenaufnahmen des Blockbusters über die Geschichte und den Wandel des Fabrikanten Oskar Schindler zum Retter zahlreicher Juden entstanden in den Straßen und Hinterhöfen des einstigen jüdischen Viertels von Krakau.

Gemessen an den Besucherströmen steht das am Ufer der Weichsel gelegene Kazimierz deutlich im Schatten der bisweilen stark überlaufenen Krakauer Altstadt rund um den Rynek Glowney, dem prächtigen Marktplatz, und der Wawel mit der imposanten Königsburg und dem berühmten Dom. Gleichwohl gilt der Besuch von Kazimierz und des benachbarten Stadtteils Podgórze längst mehr als nur ein offener Geheimtipp.

Vom Arbeiterviertel zum Ghetto

Kazimierz
Schnuckelige Cafés und Restaurants finden sich an vielen Ecken in Kazimierz. – Foto Karsten-Thilo Raab

Einst war das bis 1800 selbständige Kazimierz eine Insel, die durch einen Seitenarm der Weichsel von Krakau getrennt war. Bis zum Zweiten Weltkrieg befand sich hier das Jüdische Viertel. Nach der Besetzung Polens durch die Truppen des NS-Regimes wurden die Juden zunächst auf die andere Seite der Weichsel in den zum Ghetto umgestalteten Stadtteil Podgórze umgesiedelt. Dort mussten sich die jüdischen Bewohner der Willkür und Gewalt der Nazi-Schergen beugen, bevor die meisten von ihnen in Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden.

An der ulica Szeroka finden sich zahlreiche prachtvolle Bauten. – Foto Karsten-Thilo Raab

Noch heute erinnern zahllose runtergekommen und abgeblätterte Fassaden an die schlimmen Schicksalsjahre und verleihen Kazimierz einen Hauch von Nostalgie gepaart mit einer spürbaren Melancholie. Ab Ende 1980er Jahre – und insbesondere auch nach der Premiere von „Schindlers Liste“ – siedelten sich wieder vermehrt Juden aus anderen Teilen Polens, aus Israel und den USA hier an. Und es entstanden viele nette kleine Geschäfte, Kneipen und Restaurants.

Der traurigste aller Friedhöfe

Ein besonderer Ort: der Neue Jüdische Friedhof, der Nowy Cmentarz Zydowski. – Foto Karsten-Thilo Raab

Gleichwohl kann und will Kazimierz die dunklen Schatten der Vergangenheit nicht verleugnen. Sichtbar werden diese beispielsweise beim Besuch des Neuen Jüdischen Friedhofs. Der 1880 eröffnete Nowy Cmentarz Zydowski, wie der Gottesacker auf Polnisch heißt, gilt als der traurigste Friedhof der Stadt. Auch wenn hier täglich Hunderte Besucher herkommen, ist kaum jemand darunter, der eine Kerze für einen der Toten entzündet oder gemäß jüdischer Tradition einen Stein auf einer Grabplatte ablegt. Denn Teil der traurigen Wahrheit ist, dass die Angehörigen der Toten nahezu allesamt selber Opfer des Holocaust wurden. Stummer Zeuge der Grausamkeiten der NS-Zeit ist auch die Friedhofsmauer, die in weiten Teilen aus zerstörten Gräbern und Grabplatten zusammengesetzt wurde.

Nur wenige Angehörige statten den Grabstätten auf dem Neuen Jüdischen Friedhof einen Besuch ab. – Foto Karsten-Thilo Raab

Eine solche Mauer findet sich auch an der Remuh-Synagoge. Die dortige Wand aus zerstörten Grabstätten wird nicht selten als „zweite Klagemauer“ tituliert. Juden aus aller Welt kommen hierher, um den Toten zu gedenken. Eine Besonderheit der Synagoge, die auf eine gut 450-jährige Geschichte blickt, ist zudem der Grabstein des Rabbis Moses Isserles. Dieser soll, wenn man populären Legenden Glauben schenken darf, mit einem Fluch belegt sein. Diesem sei es auch zu verdanken, dass die Nazis den Grabstein weder raubten noch zerstörten. Heute gilt er als einer der wichtigsten Pilgerziele für Juden außerhalb von Israel.

ulica Szeroka als pulsierende Lebensader

Eine Friedhofsmauer aus Garbsteinen auf dem Neuen Jüdischen Friedhof. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nur einen Steinwurf entfernt von der Remuh-Synagoge findet sich mit dem Restaurant Szeroka Nr. 1 ein charmantes Kuriosum: Mehrere uralte, schmale Ladenlokale wurden zu einem Lokal umgebaut. Die Schaufenster und Teile der Trennwände blieben dabei erhalten und sorgen für eine ganz besondere Atmosphäre.

Prachtvolle Häuser finden sich an der ulica Szeroka in Kazimierz. – Foto Karsten-Thilo Raab

Überhaupt ist die ulica Szeroka, eine platzähnliche Straße im Herzen von Kazimierz, längst zu einer pulsierenden Lebensader des Viertels geworden. In schmucken, pastellfarbenen Häusern drängen sich beliebte Kneipen und Restaurants dicht an dicht. Müßig zu erwähnen, dass hier allabendlich Klezmer-Musik erklingt.

Eine der markanten Bauwerke in in Kazimierz ist die Alte Synagoge, die heute als Museum dient. – Foto Karsten-Thilo Raab

Eines der markantesten Bauwerke an der Prachtstraße ist die Alte Synagoge. Errichtet im 16. Jahrhundert im Stile der Renaissance, beheimatet sie heute das sehenswerte Museum zur jüdischen Geschichte (Muzeum Judaistyczne).

Feierlaune und Riesen-Baguettes

Die Remuh-Synagoge gehört zu den besonderen Kleinoden in diesem Teil von Krakau. – Foto Karsten-Thilo Raab

So beliebt die ulica Szeroka auch ist, so sehr läuft ihr der Plac Nowy, der Neue Platz, den Rang ab. Tagsüber bieten hier Markthändler ihre Lebensmittel, Blumen und Kleidungsstücke feil, abends herrscht dann auf dem Platz und in den umliegenden Kneipen prächtige Feierlaune. Das zwölfeckige Rondell in der Mitte des Plac Nowy wurde lange als Markthalle genutzt. Längst dominiert hier aber eine schmackhafte polnische Fastfood-Variante: Ringsherum bereiten kleine Buden für kleines Geld das beliebte Zapiekanki zu. Dahinter verbirgt sich ein riesiges Stück Baguette, das nach Wunsch und Geschmack üppig belegt und mit Käse überbacken wird.

Beliebter Snack in Krakau – das Zapiekanki. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nach altem polnischem Brauch musst die Stärkung natürlich mit einem kräftigen Schlückchen heruntergespült werden. Da bietet sich der Besuch im „Pijalnia Wódki i Piwa“ förmlich an, sind doch in der Kneipe mit den kommunistischen Zeitungsartikeln an den Wänden vornehmlich Wodka und Bier Ausschank.

Die Helden des Ghettos

Einer von 70 Stühlen auf dem Platz der Helden des Ghettos im Stadtteil Podgórze. – Foto Karsten-Thilo Raab

Ein Muss ist daneben fraglos ein Abstecher auf die andere Weichsel-Seite nach Podgórze. Über die Kładka Bernatka, eine 2010 eröffnete Fußgängerbrücke, geht es in das Stadtviertel, dass das Hitler-Regime in den 1940er Jahren in das berüchtigte Ghetto umwandeln ließ. In dem einstigen Arbeiterviertel wurden allein rund 16.000 Juden aus Kazimierz kaserniert, bevor die meisten von ihnen willkürlich misshandelt und anschließend in Auschwitz, Birkenau oder Plaszów deportiert und dort ermordet wurden.

Der Platz der Helden des Ghettos gehört zu den vielen geschichtsträchtigen Orten in Krakau. – Foto Karsten-Thilo Raab

Auf dem Plac Bohaterów Getta, dem Platz der Helden des Ghettos, erinnern 33 große und 37 kleine Stühle daran, dass genau von hier Tausende Juden in die umliegenden Konzentrationslager verfrachtet wurden. Die Stühle sollen dabei jene Möbelstücke symbolisieren, die von den Nazis auf dem Platz gesammelt wurden, während die Besitzer längst auf dem Weg in eines der Vernichtungslager waren.

Ein Apotheker mit Herz und Mut

An vielen Fassade in Podgórze nagt der Zahn der Zeit. – Foto Karsten-Thilo Raab

Ein weiterer geschichtsträchtiger Ort am Plac Bohaterów Getta ist die Apoteka Pod Orlem, in der heute ein kleines Museum in Gedenken an einen der Helden der Nazi-Zeit eingerichtet ist. Tadeusz Pankiewicz, Inhaber der „Adler-Apotheke“, versorgte die jüdischen Ghetto-Bewohner nicht nur mit Medikamenten, sondern half ihnen, wenn immer möglich auch mit Lebensmitteln aus. Zudem gewährte Pankiewicz nicht wenigen jüdischen Mitmenschen Zuflucht vor drohenden Verschleppungen, indem er sie in seinen Räumlichkeiten vor den Nazis versteckte.

Insbesondere nach Steven Spielbergs Kinoklassiker geriet ie Schindler Fabrik stark in den Fokus. – Foto Karsten-Thilo Raab

Weitaus berühmter ist – nicht zuletzt auch wegen des Spielberg-Films – Oskar Schindler. Seine einstige Fabrik liegt nur wenige Gehminuten entfernt in der ulica Lipowa. Schindler, lange ein überzeugter Nationalsozialist, war zunächst nur bemüht, mit seiner Emailwarenfabrik möglichst viel Geld am und im Krieg zu verdienen. Je weiter das Grauen des Zweiten Weltkrieges Gestalt annahm, umso mehr wandelte er sich und wurden schließlich zum Retter von mehr als 1.000, zumeist jüdischen Mitbürgern.

Ausstellung mit Tiefgang

Die Schindlers Fabrik im Stadtteil Podgórze erzählz heute die Geschichte Krakaus unter dem Joch der Nazis. – Foto Karsten-Thilo Raab

1944 wurde die Fabrik kriegsbedingt verlagert, was dazu führt, dass kaum noch etwas von der ursprünglichen Einrichtung erhalten sind. Heute erzählt die Schindler Fabrik (Fabryka Schindlera) als Museum interaktiv und multimedial die Geschichte Krakaus unter dem Joch der nationalsozialistischen Herrschaft. Eine beeindruckende Ausstellung, die einen Besuch in Kazimierz und Podgórze perfekt abrundet, und nicht nur Zartbesaiteten mächtig unter die Haut geht.

Wissenswertes zu Krakau

Gedenken an die jüdischen Arbeiter in Schindlers Fabrik. – Foto Karsten-Thilo Raab

Informationen: http://krakow.travel/de; www.krakow.jewish.org.pl (jüdische Gemeinde in Krakau)

Währung: Zahlungsmittel ist der Polnische Zloty. Ein Zloty entspricht etwa 0,23 Euro; ein Euro entspricht etwa 4,38 Zloty.

Sehenswertes

Nur wenige Originalteile sind heute noch in Schindlers Fabrik zu sehen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Museum Schindler Fabrik (Fabryka Schindlera), Lipowa 4, 30-702 Krakau, Telefon: 0048-12-2571017, www.muzeumkrakowa.pl. Der Eintritt beträgt 24 Zloty, ermäßigt 18 Zloty. Aufgrund der hohen Nachfrage sollten Tickets unbedingt rechtzeitig im Vorfeld der Reise online gebucht werden.

Alte Synagoge, 24 Szeroka Street, 31-053 Krakau, Telefon 0048-12-4220962, www.muzeumkrakowa.pl. Eintritt 11 Zloty, ermäßigt 8 Zloty.

Jüdischer Vorspeisenteller im Restaurant Hamsa. – Foto Karsten-Thilo Raab

Adler Apotheke, 18 Bohaterów Getta Square, 30-547 Krakau, Telefon 0048-12-656-5625, www.muzeumkrakowa.pl. Eintritt 32 Zloty, ermäßigt 24 Zloty.

Das leibliche Wohl

Essen & Trinken: Hamsa, 2 Szeroka Street / 41 Miodowa Street, 31-053 Krakau, Polen, Telefon +48-515-150145, http://hamsa.pl/en. Exzellentes Restaurant mit moderner jüdischer Küche. Geöffnet montags bis freitags 10 bis 23 Uhr, samstags und sonntags 9 bis 23 Uhr.

Kazimierz
Das beliebte jüdische Restaurant Hamsa in Kazimierz. – Foto Karsten-Thilo Raab

Restaurant Szeroka 1, Szeroka 1, Krakau 33-332, Polen, Telefon +48-12-4212117, http://szeroka1.com Jüdische Speisen werden hier täglich ab 10 Uhr serviert.

Pijalnia Wódki i Piwa, plac Nowy 7, 33-332 Krakau, Polen, Telefon +48-530-847782, http://pwip.com.pl. Bier und Wodka fließen in der beliebten Kneipe in Strömen.

Sich betten

Auch in den Souvenirgeschäften wird ein Teil jüdischer Kultur feilgeboten. – Foto Karsten-Thilo Raab

Übernachten: Hotel Kazimierz II, ul. Starowiślna 60, 31-035 Krakau, Telefon 0048-12-4268070, www.hk.com.pl. Drei-Sterne-Hotel ohne viel Luxus inmitten von Kazimierz.

Hotel Lavender, ul. Długa 49 Małopolskie, 31-147 Krakau, Telefon 0048-885030205, http://hotellavender.pl. Stylisches, modernes Drei-Sterne-Haus in zentraler Lage.