Wenn es merkwürdig anmutet, dass Lkw permanent auf der Überholspur sind, könnte Linksverkehr eine amüsante Erklärung dafür sein. Knapp zwei Stunden dauert es von Dublin nach Belfast. Unterwegs gibt es Hinweisschilder mit bekannten Namen zu entdecken. Drogheda? Nein, hier geht es nicht zur Schaffarm von Mary Carson oder zu Ralph de Bricassart.
„Das ist das Anwesen von Autor McCullough Cousin. Es lieferte den Namen für den Drehort der Dornenvögel“, lässt der Taxifahrer durchblicken. Auch zieht im County Londonderry die Heimat von Nobelpreisträger Seamus Heaney am Reisenden vorüber.
Brontë Homeland? „Geburtsort von Pfarrer Brontë, Vater der berühmten Brontë Schwestern“, weiß der Chauffeur. Er gibt damit auch gleich die Gelegenheit, sich mit dem nordirischen Dialekt anzufreunden. Sagt er „Dunno“ meint er „don´t know. Sagt er „nofinn“, bedeutet das „nothing“. Ansonsten schaut er gerne aus dem Fenster – „a o te wanda“ eben.
Wahrhaftig: Sie ist schon sehr außergewöhnlich, die Architektur-Mixture mit der Belfast aufwartet. In den ersten Minuten erinnert sie unweigerlich an Frank Goosen, der von seiner geliebten Heimatstadt Bochum sagt: „Boah, schön is´ dat nich“. Doch muss der Hauptstadt von Nordirland zugute gehalten werden, dass sie fast 30 Jahre Zentrum des Nordirlandkonflikts war.
Von 1969 bis 1998 war es sicherlich kaum möglich, in die Zukunft zu planen und in die Stadtplanung zu investieren. Deshalb trumpft die City heute mit einem spröden, trashigen Charme. Sie will einfach entdeckt werden, die Geheimnisvolle, die Geburtsort von Van Morrison und der Titanic ist.
Okay: Ab durch die Mitte, begleitet vom Ohrwurm „Destination anywhere“ der Commitments. Durchs „Cathedral Quarter“, das in den vergangenen zehn Jahren eine gute Finanzspritze erhielt. Vorbei an der Albert Clock, dem kleinen „Big Ben“. Am Abend trumpft dazu die City Hall mit ihren bizarren Farbvariationen.
Apropos Abend: Der empfiehlt sich natürlich für einen Crashwalk – auf ein Guinness – durch die kleinen dunklen Pubs. Achtung: Ende Oktober glänzen da reichlich Skelette und Spinnweben in allen Ecken. Dann liegt Halloween nicht nur in der Luft. Es steht nicht vor, sondern direkt in der Tür. Genauso wie der verkleidete Spiderman, der am Stadtbus hängt, der in dieser Zeit natürlich „Ghost Bus“ heißt. Die Pubs sind voll, der Boden klebt, Live-Bands sorgen für Stimmung. Die Iren sind freundlich und entspannt: „Hoi gois, no prob…“.
„Take a black taxi-driver“, lautet die Empfehlung im Hotel. Warum der Stadtführer allerdings farbig sein soll, erschließt sich zunächst kaum. Der erheiterte, blasse Insulaner, der am nächsten Morgen vor der Tür steht, liefert dazu gerne die Erklärung. Die Unruhen in den 1970er Jahren verursachten, dass der öffentliche Nahverkehr zusammen brach. Die schwarzen Taxen dagegen trauten sich sowohl in katholische als auch protestantische Gebiete.
Heute bieten sie Rundfahrten an. Billy Burns stoppt gerne an einem Kuriosum aus den „Yetis“ mit denen er die 1980er Jahren meint. Die „International Peace Wall“ mit vielerlei politischen Bekenntnissen ist schon „ein Widerspruch in sich“, betont er schmunzelnd.
Fix noch einen Abstecher zum St. George’s Market. Auch hier lässt Halloween grüßen. Die Ketchup-Händlerin trägt eine Blut verschmierte Wunde im Gesicht, eine andere rote Teufelshörner. Den Teeverkäufer ziert ein Dolch auf dem Kopf. Zwischen frischen Austern und salzigem Seeweizen, zuckersüßen Fudges und rotem Grünkohl wird es Zeit für ein Bier. Das „Spitting Lama Beer“ schmeckt vorzüglich zum „chumb“, zum Kartoffelpürree mit viel Butter und Frühlingszwiebeln.
Abenteuerlich nach Feuer riecht es in Ulster. Hier im Volkspark warten zu dieser Jahreszeit Geister, Hexen und Dämonen auf ihre Beute. Denn: Halloween hat seinen Ursprung in Nordirland. Die irischen Auswanderer nahmen es mit nach Übersee. Ebenso den damit verbundenen Glauben aus vorchristlicher, keltischer Zeit, der besagte, dass es Sinn macht, sich bis zur Unkenntlichkeit zu maskieren, um die bösen Geister zu vertreiben. Komplette Schulklassen kommen hierher, um in einer amüsanten Horror-Show, Nervenkitzel und das Fürchten zu erlernen.
Londonderry, die zweitgrößte Stadt Nordirlands, die sich 1984 von seinem London im Namen verabschiedete, entwickelte sich als Derry in den letzten 30 Jahren zum „Hot Spot“ des irischen Halloween-Spektakels. Die Werbung heißt „Visit (legen)-Derry“ zum „Out of the World Event“. Dafür bekommen die Kids sogar schulfrei.
Blutverschmierte Gesichter, Zuckerwatte-Spinnweben, Augäpfel aus Schokki oder abgeschnittene Finger – natürlich Gummi-Imitate – bringen den Gast schon in der Hotel-Lobby zum Staunen. Der Marathon zur Feier des Tages heißt hier „Zombie-Run“. Tatsächlich sind die Läufer – für einen guten Zweck – auch fürchterlich verkleidet. Am Abend vor dem 31. Oktober erwacht das bunte, artistische Leben in der einzigen Stadtmauer Irlands mit viel Spektakel und Tamtam, Seiltänzerinnen, Gaudimaxen und Gauglern.
Am nächsten Tag steht ein abendlicher Umzug auf dem Programm. Da geht die Post ab, ähnlich wie beim Kölner Karneval. Wenn auch eine Nummer kleiner. Klar wird dabei das eine und auch andere Guinness verhaftet. Am Tresen erklärt Garwin, ein Vollblut-Derryianer, dass sie in Belfast etwas neidisch darauf sind, dass Derry sich zu so einer schönen Destination entwickelt hat. Er werde oft gefragt, wie das gelungen ist. Seine verschmitzte Antwort: „Wir sind im Dialog miteinander“. Alles klar, so wird´s gemacht. Gut zu wissen: „Okay, gois, no prob…“.
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Ulla Wolanewitz
lebt und fühlt sich wohl im Münsterland, arbeitet von dort als Autorin, Reise-, Kultur- und Lokaljournalistin. Sie liebt die Begegnungen mit Land und Leuten, spürt dabei interessante Themen auf und nimmt ihre Leserschaft in ihren Stories gerne mit auf die Reise.