Spätestens, wenn der weite Blick den Horizont des hellblauen Meeres bei Étretat in der Normandie berührt, spürt man die zauberhafte Magie dieses Ortes. So muss dieser hinreisende Moment auch den Künstler Claude Monet einst erfasst haben, da er wieder und wieder seine Staffelei aufstellte, um die großartige Schönheit dieser Region für immer und ewig festzuhalten.
Stolz und ehrfürchtig ragen die weißen Kreidefelsen von Étretat bis zu 80 Meter in den Himmel. Kühle Winde und wilde Stürme nagten und nagen an den verletzlichen Gesteinen. Doch nur so konnten die brachialen Felsenbögen entstehen, die das so malerische und beeindruckende Bild abgeben. Millionen und Abermillionen von, oft weißen und glänzenden, Kieselsteinen im Meer bieten zumindest einen kleinen Schutz gegen die wuchtige Brandung des Atlantiks. Gräser und grüne Sträucher bedecken die kargen Felsen oben, Blumen ragen in die Höhe. Eine grandiose Komposition von Farben. Das blaue Meer, die bei Sonne strahlend weißen Kreidefelsen und das Grün der Flora. Vollendet mit dem strahlenden Blau des Himmels.
Selbst die Anreise bezaubert
Viele Besucher von Étretat reisen von Le Havre an, das mit dem zweitgrößten Hafens Frankreichs aufwarten kann. Dort sagen die Einheimischen, dass die Kreidefelsen an der Atlantikküste am Ende der Welt beginnen. Das Ende der Welt, nur eine Autostunde entfernt. Im Land der Liebhaber des berühmten Baguettes wundert es nicht, dass die Fahrt an gelben Weizen- und Roggenfeldern vorbei geht. Roter Klatschmohn sorgt für romantische Farbtupfer in den Äckern. Die Franzosen essen eh viel Brot, also muss auch genügend Mehl für das beliebte Lebensmittel produziert werden.
Im Juni erscheint eine andere Farbe auf den Feldern. Der blaue Flachs steht in voller Blüte. Dieser wird bei ausreichender Reife aus dem Boden herausgerissen, getrocknet, so dass die unbrauchbaren Fasern abfallen, und dann ab August eingesammelt und verarbeitet für Leinen, das blaue Gold der Normandie. Die abwechslungsreiche Fahrt führt an grünen Weiden und Obstplantagen vorbei. Äpfel und Kühe sind die zwei Symbole dieser landwirtschaftlich geprägten Region.
Normandie wie im Bilderbuch
„Mit der Milch macht man Butter und mit der Butter Butterkekse,“ kichert Christelle, die hellblonde, französische Reiseleiterin, die die Gäste im Bus betreut. Dann erzählt sie weiter „Sehr beliebt sind hier auch die Salzbutter und Karamell aus Salzbutter. Oder aber auch eine Creme aus der Kuhmilch für Fleisch, Gemüse und Muscheln. Muscheln, das schwarze Gold der Normandie. Und wussten sie, für Camembert darf nur die Milch der normandischen Kühen benutzt werden – sonst ist es einfach nur Käse.“ Dann kichert sie in ihrem französischen Charme weiter, „Die Kühe hier haben Sonnenbrillen, schauen sie doch, helle Kühe mit schwarzen Augenringen.“ Und die neugierigen Reisenden versuchen einen schnellen Blick auf die berühmten Kühe zu erhaschen.
Im Land des Cidres, Calvados und Camembert wundert es nicht, dass immer wieder weitläufige, niedrige Apfelplantagen erscheinen. Auch kleine und größere Wälder unterbrechen die abwechslungsreiche Landschaft. Die vielen Bäume halten die Erde feucht und schützen vor Wind und Wetter. Christelle zeigt mit ihrem schlanken Arm in ein Wäldchen hinein. „Schauen sie doch, hier gibt es viele Rehööö, Füchsöö, Fröschöö, oh, ganz viele verschiedene Tieröö.“ Und die Gäste im Bus können ein kleines Schmunzeln bezüglich der entzückenden Aussprache von Christelle nicht vermeiden. Nach einem Blick auf ein uraltes Haus mit Strohdach wird die weitläufige Hochebene verlassen in Richtung Küste.
Étretat, das alte Fischerdorf
Étretat kündigt sich mit einem ersten Parkplatz an. Christelle erklärt mit ihrem obligatorischen Schmunzeln im Gesicht, „je später man ankommt, desto weiter draußen muss man parken.“ Irgendwie müssen die gut drei Millionen Besucher in dem kleinen, mit nur 1.500 Einwohnern zählenden Dörfchen auch gehandelt werden. Die engen Sträßchen und bunten Gässchen sind nicht für so viele Menschen gedacht gewesen. Das kleine Dörfchen war das Zuhause für Seeleute und Fischer. Ganze neun Monate mussten früher Mütter mit ihren Kindern alleine zu Hause klarkommen, wenn ihre Männer auf großer Fahrt waren, um die beliebten Kabeljau zu fangen. Da halfen alle sich gegenseitig – ansonsten war das Überleben schwierig.
Ab dem Jahre 1840 änderte sich das Bild des kleinen Fischerdörfchens massiv. Die ersten, mutigen Badegäste entdeckten diesen bezaubernden Ort. Hinzu kamen Wanderer, Sportler und Ausflügler, die das Meer mit Bötchen eroberten. Inzwischen finden sogar passionierte Golfspieler einen Platz, um ihrem Hobby nachzugehen. Restaurants, Souvenirläden, Bäckereien und gefragte Eisdielen prägen das Bild des Ortes. Der Weg zur Küste ist einfach zu finden. Immer geradeaus mit dem Besucherstrom.
Der Blick auf die Kreidefelsen
Der erste Blick, wurde das Meer endlich erreicht, schweift unmittelbar an den blauen Horizont. Die unendliche Weite am Ärmelkanal fasziniert immer aufs Neue. Doch dann gehen die Augen nach rechts oder nach links und die Kreidefelsen beeindrucken mit ihrer Größe und Eleganz. Wohl jeder, der diesen Ort besucht, macht sich fast unweigerlich auf, die berühmten Felsen zu erklimmen. Der rechte Weg nach oben gilt als steiler und anstrengender. So machen sich viele zuerst auf gen links, um die Treppen und Wege hoch zu laufen. Kleine Plätzchen laden zu einer entspannenden Pause ein. Dann endlich, der kurze Aufstieg wird belohnt.
So eröffnet sich nach rechts der grandiose Blick auf das liebliche Étretat und den Kreidefelsen, der den Ort wie schützend einrahmt. In der Ferne oben auf den Felsen noch erkennbar die Kirche Notre-Dame d’Étretat, die im 12. und 13. Jahrhundert erbaut wurde. Schweift der Blick nach links ragt ein weiterer, riesiger Bogen aus Kalkstein aus dem blauen Meer. Demütig betrachten die Besucher die Felsen, die seit 80 Millionen Jahren Eruption durch Sturm, Regen, Sonne ganz natürlich entstanden sind. Seit den 1960er Jahren wird der Zerfall immer schneller und stärker. Bis dahin fielen den Naturgewalten circa 60 Zentimeter des porösen Kalksteins Jahr für Jahr zum Opfer. Heute sind es bis zu einem Meter, den sich die Natur mit Wucht zurückholt.
Strandfeeling auf Kieselsteinen
Dass sich Étretat auch zu einem Badeörtchen entwickelt hat, liegt sicherlich an der spektakulären Kulisse. Der mit hellen Kalkkieselsteinen übersähte Strand lädt nicht unbedingt zu langen, ausschweifenden Barfußwanderungen ein. Und doch sind es gerade diese Kiesel, die die zerbrechlichen Felsen an der Alabasterküste schützen. Zuerst verlieren die Felsen ihr Gestein, das sich dann im Laufe unendlicher Zeiten durch die niemals endenden Strömungen des Meeres zu den Kieselsteinen formt.
Heute ist es strengstens verboten, die verführerischen hellen, mit schwarzem Feuerstein durchzogenen Kiesel als Mitbringsel in die eigene Tasche verschwinden zu lassen. Es ist ja auch irgendwie einleuchtend. Nimmt nur jeder der drei Millionen Besucher pro Jahr einen Stein mit, würde sich die so notwendige Befestigung dramatisch verringern. So haben Polizisten in Zivil ein wachsames Auge auf die glatten Kiesel. Und dann kann hier ganz schnell aus Steinen mit drohenden Knöllchen richtig „Kohle“ gemacht werden.
Étretat, ein Dörfchen mit Charme
Am kleinen Pier lässt es sich herrlich Bummeln, die spektakuläre Aussicht aufnehmen und die Zeit genießen. Doch vorsichtig vor den neugierigen und immer hungrigen Möwen. Hinterlistig und schnell versuchen diese, den einen oder anderen Leckerbissen zu stibitzen. Selbst das beliebte und fast schon obligatorische Eis auf die Hand mit Salzbutter und Karamell ist hier vor den diebischen Vögeln nicht wirklich sicher.
Der kleine Ort selbst ist schnell erkundet. Ein kleiner Rundweg ums Dorf ist in kaum mehr 15 Minuten bequem geschafft. Lohnenswert ist der Besuch der aus Holz gefertigten Markthalle mit ihren entzückenden kleinen Ladenzeilen. Hier lässt sich so mancher Schnickschnack erwerben. Sehr beliebt sind dabei fraglos alle jene Souvenirs, die die berühmten Kreidefelsen, am liebsten von Claude Monet gezeichnet, abbilden. Eine schöne Erinnerung an längst vergangene Zeiten.
Mit Claude Monet an der Staffelei
Und der große französische Künstler Claude Monet liebte Étretat. Er bannte die ihn fesselnde Küste bei jedem Wetter auf seine Leinwand. Beinahe wäre Monet hier einst sogar ertrunken, als er versuchter, die stürmische See zu malen. Mitsamt seiner Staffelei wurde der Künstler fast vom Meer verschluckt. Doch alles ging gerade noch einmal gut und es entstand im Laufe der Jahre die großartige Serie von mehr als 80 Gemälden während seiner Aufenthalte ab dem Jahre 1868.
Noch heute verspüren die vielen Besucher die magische Stimmung, die damals Claude Monet und viele andere Künstler verzaubert hat. Niemand kann aufhören, die Felsenküste zu beobachten. Je nach Licht, Wetter oder Jahreszeit verändern sich die Farben und die Stimmung. Selbst bei Regen und Nebel. Mystisch ragen die steilen Küstenfelsen empor. So wie es früher bei den Fischern war und so wie Monet sein Étretat damals gesehen hat.
Tipp: Mit dem Bus von Le Havre nach Étretat
Von Le Havre fährt ein Linienbus stündlich nach Étretat und zurück. Dieser hält fast am Eingang der Ortschaft und erspart die teuren Parkkosten und einen eventuell langen Fußmarsch vom Parkplatz ins Dorf.
Tipp: Auf dem Wasserweg nach Étretat
Étretat liegt auch auf der Route einer achttägigen Flusskreuzfahrt auf der Seine Comtesse zwischen der französischen Hauptstadt Paris und Le Havre und zurück, die nicko cruises von März bis Oktober ab 1.298 Euro pro Person anbietet.
Das Flusskreuzfahrtschiff ist 114,3 Meter lang, 11,4 Meter breit und bietet Platz für maximal 150 Passagiere. Die Kabinen sind zwischen elf und 14 Quadratmetern groß. Statt des roten Teppichs verleiht der ganz in Rot gehaltene Rumpf der Seine Comtesse eine fürstliche Note. Das Flusskreuzfahrtschiff macht seinem Namen alle Ehre und ist ein perfektes Schiff, um Paris und die bezaubernde Normandie – auch Dank der aufmerksamen und sehr freundlichen Crew – perfekt zu erkunden. Weitere Informationen unter www.nicko-cruises.de.
Die Recherche fand auf Einladung / mit Unterstützung von nicko cruises statt.
Susanne Timmann
lebt im Rheinland, ist aber in der Welt zuhause. Seit 2022 fungiert sie als stellvertretende Chefredakteurin des Mortimer Reisemagazins, für das sie Beiträge in Wort und (Bewegt-) Bild über Destinationen weltweit verfasst.