Crossbones Churchyard – Londons vergessener Friedhof

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So ungewöhnlich wie der Friedhof selber ist die Erinnerungskultur auf dem Crossbones Churchyard. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Willkommen im Süden der britischen Hauptstadt London, wo sich ein ebenso besonderer wie geheimnisvoller Ort verbirgt – der Crossbones Churchyard. Gekennzeichnet ist der Friedhof in der Nähe des beliebten Borough Market durch seine unkonventionelle Geschichte und sein eigenartiges Aussehen. Anstatt traditioneller Grabsteine finden sich hier bunte Schmuckstücke, Spielzeug, Fotos und andere persönliche Gegenstände, die an die Verstorbenen erinnern.

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Der Totenkult aus Mexiko lässt auf dem Crossbones Churchyard ebenfalls grüßen. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Dabei reicht die Geschichte des Friedhofs, der heute als ein Ort der Erinnerung und des Gedenkens fungiert, bis ins Mittelalter zurück. Ursprünglich war das schmuddelige Stück Land auf der Südseite der Themse als Begräbnisstätte für Prostituierte bekannt, die im nahegelegenen Vergnügungsviertel Southwark ihre Liebesdienste feilboten.

Mit bischöflichem Segen

Stöcke in symbolischen Särgen erinnern an die vielen unbekannten Toten. – Foto Karsten-Thilo Raab

Viele dieser Frauen, die oft unter schwierigen Bedingungen lebten und arbeiteten, fanden zumeist anonym auf dem Friedhof, der auch als „Winchester Geese Cemetery“ bekannt war, ihre letzte Ruhestätte. Bei der Namensgebung für die Begräbnisstätte stand die Diözese Winchester Pate, die ungeachtet religiöser Fragen, den „Borsteinschwalben“ bereitwillig gestattete, in den Bordellen von Southwark ihre Körper anzubieten. Der Bischof von Winchester ignorierte den Frevel offenbar nur allzu gern, schließlich spülte das „horizontale Gewerbe“ zusammen mit dem ebenfalls geduldeten Glücksspiel jede Menge Geld in die Kasse des Kirchenvertreters.

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Ein ungewöhnlicher Blickfang ist der künstlerisch gestaltete Schädel auf dem Crossbones Churchyard. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Obwohl die verstorbenen Überreste dieses doch speziellen Klientels über Jahrzehnte aus Platzgründen übereinander gestapelt wurden, war Mitte des 19. Jahrhunderts die Kapazität restlos erschöpft. Im Jahr 1853 wurde der Friedhof, auf dem mehr 15.000 der Ärmsten der Armen eine letzte Ruhestätte fanden, wegen Überfüllung geschlossen. Das Gros der Verstorbenen wurde auf den Friedhof von Brookwood in Surrey umgebettet.

Gedenkstätte für 15.000 Unbekannte

Auf vielfältige Art soll an das schwere Schicksal der leichten Damen erinnert werden. – Foto: Karsten-Thilo Raab

In der Folge geriet der Crossbones Churchyard beziehungsweise das, was von ihm übrig geblieben war, zunehmend in Vergessenheit und mit ihm die Geschichte der bemitleidenswerten Frauen. Schließlich wurde das Areal komplett überbaut. Es sollte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dauern, ehe der Friedhof eher zufällig wiederentdeckt wurde. Bei neuerlichen Bauarbeiten stieß man auf menschliche Überreste und Grabsteine, die darauf hinwiesen, dass es sich um einen historischen Friedhof handelte.

Die unzählige Bänder am Zaun symbolisieren die unbekannten Toten. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Seit seiner Wiederentdeckung hat sich der Crossbones Churchyard zu einem Ort des Gedenkens entwickelt. Eine Gruppe engagierter Freiwilliger hat begonnen, sich um den Friedhof zu kümmern und ihn als Gedenkstätte für die Frauen zu nutzen, die dort begraben liegen.

Jährliche Gedenkfeier

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Auch ein Grabhügel aus Austern-Schalen findet sich auf dem Crossbones Churchyard. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Nach und nach stellte sich heraus, dass der Friedhof unweit des Bahnhofs London Bridge Station nicht nur die Überreste von Prostituierten, sondern auch von anderen Randgruppen der Gesellschaft, darunter Kinder, Verbrecher, Obdachlose und unbekannte Personen beherbergt.

Auch an einer für einen Friedhof ungewöhnlichen Bildsprache mangelt es nicht. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Jedes Jahr am 23. November findet eine Gedenkfeier statt, bei der Blumen und Kerzen auf den symbolischen Gräbern niedergelegt werden. Unabhängig davon finden das ganze Jahr über Heerscharen von Menschen den Weg zum Crossbones Churchyard, um den Verstorbenen Respekt zu zollen.

Ort voller Geschichte und Geschichten

Eine Gedenktafel erzählt in wenigen Worten die Geschichte des Crossbones Churchyards. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Der Friedhof selber finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Es gibt regelmäßig Führungen, bei denen Besucher mehr über die Geschichte des Friedhofs erfahren können. Darüber hinaus werden regelmäßig Veranstaltungen wie Konzerte und Kunstausstellungen organisiert, um Geld für diesen besonderer Ort zu sammeln. Einen Ort voller Geschichte und Kultur, der auf unkonventionelle und liebevolle Weise gepflegt wird.

Der Friedhof erhebt keinen Eintritt, finanziert sich aber ausschließlich über Spenden. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Informationen: Crossbones Graveyard & Garden of Remembrance, Union St, London SE1 1TA, England, Telefon: 0044 20-7403 3393, www.crossbones.org.uk.

Buchtipps -und -ideen

Als ausgewiesener Großbritannien-Experte hat Karsten-Thilo Raab zahlreiche Bücher über das Vereinigte Königreich erstellt. Zu den Klassikern gehören unter anderem der 160 Seiten starke Reiseführer Polyglott on tour England (ISBN 978-3-8464-0419-5), der Reiseführer London für eine Hand voll Euro (ISBN 978-3-939408-03-1) sowie die augenzwinkernde wie lehrreiche Schmunzel-Staun-Fiebel Brite schön! (ISBN 978-3-939408-31-4).