Das Geschrei der Möwen in Schottland macht einem unweigerlich bewusst, wie nahe das Meer ist. Auch wenn beim Gang durch die historische Altstadt nichts von maritimem Flair zu spüren ist. Knapp drei Kilometer Luftlinie trennen Old Aberdeen vom gut fünf Kilometer langen Sandstrand und der Nordsee. Hier legt Schottlands drittgrößte Stadt gleichzeitig ein altes und junges Gesicht in Form von historischen Gebäuden und Tausenden von Studenten an den Tag.
Das Gros der Prachtbauten in dem von Kopfsteinpflaster durchzogenen Viertel am Ufer des Don stammt aus dem 17. Jahrhundert. Herzstück des denkmalgeschützten Viertels bildet der alt-ehrwürdige Gebäudekomplex der 1495 gegründeten Universität rund um das renommierte King’s College. Nur einen Steinwurf entfernt erhebt sich die St. Machar’s Cathedral, die gemeinhin als Wiege der Stadt gilt.
Keltische Kapelle als Geburtsstätte
„Das genaue Gründungsdatum von Aberdeen ist nicht bekannt. Aber es ist überliefert, dass der heilige Machar hier im Jahre 580 nach Christus eine Kapelle errichtet haben soll, was als Geburtsstunde der Stadt gilt“, weiß George Stewart zu berichten.
Sogleich ergänzt der eher klein gewachsene Tourguide im klassischen Schottenrock, dass das heutige Gotteshaus erst ab dem 12. Jahrhundert errichtet wurde – eben an jener Stelle, wo dereinst das keltische Kirchlein stand. Der Ort sei dabei, so George weiter, nicht zufällig gewählt, sondern liege unweit einer Flussbiegung, deren Form an den Griff eines Bischofsstabs erinnere.
Mittelalterliches Kleinod
Tatsächlich ist es nur ein kurzer Weg durch den angrenzenden Seaton Park ans Ufer des River Don, wo sich mit der zwölf Meter langen Brig o’Balgownie ein Kleinod aus Sandstein und Granit befindet. Die prächtige mittelalterliche Brücke wurde im Jahre 1320 auf Befehl des damaligen schottischen Königs und Unabhängigkeitskämpfers Robert the Bruce errichtet und sollte bis weit ins 19. Jahrhundert der einzige nördliche Zugang zur Stadt bleiben.
Tatsächlich ist Old Aberdeen nicht, wie der Name etwa vermuten lässt, das älteste Viertel der Stadt. Weitaus älter ist Castlegate im Herzen der knapp zwei Kilometer entfernten Innenstadt. Von der ehemaligen Festung, die bei der Namensgebung Pate stand, ist nichts mehr zu sehen. Einen markanten Blickfang bildet hier heute das Mercat Cross, ein Marktkreuz aus dem 17. Jahrhundert, auf dem die Konterfeis schottischer Könige verewigt sind.
Granite-City mit Silbercharme
Aberdeen nennt sich selbst gerne „Granite-City“. Und in der Tat ist das Gros der Häuser in der Innenstadt, wie ein Blick entlang der Haupteinkaufsmeile, der Union Street, und ihrer Nebenstraßen zeigt, aus Granitstein errichtet worden.
„Ganz ehrlich, bei Regen wirkt das viele Grau schon ein wenig deprimierend, wenn aber die Sonne scheint, funkeln die Häuser in einem edlen Silberton“, gerät George fast schon ins Schwärmen. Das mächtigste Granitgebäude in Aberdeen ist das Marischal College in der Broad Street.
Granitgigant im Herzen von Aberdeen
Der ab 1837 nach Plänen von Archibald Simpson errichtete vierflügelige Prachtbau, der nach dem Escorial unweit der spanischen Hauptstadt Madrid als das zweitgrößte Granitgebäude der Welt gilt, beheimatet heute Teile der Universität. Auf dem Areal ist zudem das Marischal Museum mit seinen anthropologischen Sammlungen aus Ägypten, Nigeria, Papua-Neuguinea, Hawaii und Tibet angesiedelt.
Nur wenige Gehminuten vom Marischal College entfernt findet sich mit dem Cat in the Window Café ein Kuriosum. Acht Katzen schleichen und schnurren durch das ungewöhnliche Café, das Gebäck, kleine Speisen und Getränke anbietet. Aufgrund der maximal zulässigen Zahl von 20 Gästen ist eine vorherige Tischreservierung dringend empfohlen.
Schwarzes Gold als Wohlstandsbringer
„Aberdeen ist die Großbritanniens Öl-Hauptstadt“, verkündet George auf dem Weg zum fünf Kilometer langen Nordseestrand. Dutzende Öltanker liegen hier gut sichtbar vor der Küste vor Anker. Doch längst ist es nicht mehr nur allein das Off-Shore geförderte Schwarze Gold, das der 230.000-Seelen-Gemeinde jede Menge Arbeitsplätze und Wohlstand garantiert. Auch die Erdgasvorkommen in der Nordsee machen Aberdeen zu einem der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte in Schottland und ganz Großbritannien.
Anschaulich aufgearbeitet wird die Geschichte des Hafens, der Seefahrt, der Fischerei und der Ölindustrie übrigens im Maritime Museum. Glanzstück der Ausstellung ist die maßstabsgetreue, fast fünf Meter hohe Nachbildung einer Ölbohrplattform.
Fünf Kilometer langer Sandstrand
„Mit etwas Glück lassen sich im Hafenbecken oder vom Strand nicht nur Tanker, sondern auch paar Delfine und Seehunde beobachten“, macht George deutlich, dass Aberdeen trotz des traumhaften Sandstrandes, der nach Norden hin immer breiter wird, beileibe kein Badeparadies sei.
„Mehr als die Füße einzutauchen, ist angesichts der ganzjährig eher bescheidenen Wassertemperaturen nur etwas für wirklich Hartgesottene“, fröstelt es nicht nur George schon beim bloßen Gedanken an ein Bad in der Nordsee.
Ganz warm ums Herz wird einem dafür beim Gang durch Footdee. Das schnuckelige Fischerdorf zwischen Strand und Hafen, im Volksmund schlicht „Fittie“ genannt, besteht aus charmanten kleinen Cottages und könnte mühelos als Kulisse für eine Historienfilm herhalten.
Fischerdorf mit langer Vergangenheit
Die einstigen Behausungen der Seeleute aus dem 19. Jahrhundert sind zumeist winzig, bestechen aber durch große Individualität. Wohl auch, weil die kleine Häuschen in „Fittie“ heute zu den begehrtesten Wohnlagen in Aberdeen gehören. Denn irgendwie symbolisieren die bunten Cottages den Wandel der Stadt von einer (granit-) grauen Maus zu einem aufstrebenden Stück Schottland mit langer Geschichte.
Wissenswertes zu Aberdeen
Allgemeine Informationen: www.visitscotland.com
Informationen: Tourist Information Centre, 23 Union Street, Aberdeen AB11 5BP, Telefon 0044-1224-269180,
Anreise: Lufthansa bietet ab 99 Euro Direktflüge von Frankfurt nach Aberdeen an. Alternativ bietet sich von nahezu allen deutschen Flughäfen die Anreise mit KLM oder Air France via Amsterdam beziehungsweise Paris an. Auch hier beginnen die Preise bei rund 100 Euro.
Sehenswert: Maritime Museum, Shiprow, Aberdeen AB11 5BY, Telefon 0044-(0)1224-337700, www.aagm.co.uk. Geöffnet montags bis samstags von 10 bis 17 Uhr, sonntags von 12 bis 15 Uhr, Eintritt frei.
Das leibliche Wohl
Essen & Trinken: No. 10, 10 Queens Terrace, Aberdeen, AB10 1XL, Telefon 0044-1224-631928, www.no10aberdeen.co.uk. Im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnetes Restaurant mit hipper Bar in Aberdeens West End mit moderaten Preisen. Hauptgänge beginnen bei 13 Britischen Pfund. Angeboten werden britische Speisen mit internationaler Note.
The Cat in the Window Café, 14 Netherkirkgate, Aberdeen, AB10 1AU, Telefon 0044-1224-467557, www.thecatinthewindowcafe.com. Im Katzencafé ist tierisch was los. Acht Katzen leisten den Gästen hier beim Essen und Trinken kuschelige Gesellschaft.
Sich entspannt betten
Übernachten: Ardoe House Hotel, South Deeside Road, Blairs, Aberdeen AB125YP, Schottland, Telefon 0044-1224-398801, www.accorhotels.com. Das schlossähnliche Vier-Sterne-Haus mit 120 stilvollen Zimmern, Schwimmbad und Fitnessstudio liegt rund vier Kilometer außerhalb des Stadtzentrums inmitten eines zwölf Hektar großen Parks. Doppelzimmer mit Frühstück werden ab 120 Euro angeboten.
Literaturtipp: Ulrike Katrin Peters, Karsten-Thilo Raab: Oh, diese Schotten (ISBN 978-3-86686-806-9). Erhältlich ist der Titel für 7,90 Euro im Buchhandel oder direkt beim Conrad Stein Verlag.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.