
Die Ärmel seines Hemdes hat Chris Molyneaux hochgekrempelt. Ganz so, als wolle der sympathische Lockenkopf mit dem Dreitagebart deutlich machen, dass er bereit ist, mit anzupacken. Und dies ist auch notwendig. Schließlich möchte der waschechte Schotte mit dem leichten Bauchansatz das Dutzend an Wissbegierigen nicht nur für den Genuss von Gin begeistern, sondern ihnen auch binnen weniger Stunden helfen, ein eigenes schmackhaftes Wacholdergetränk mit seiner Hilfe herzustellen.
Seine Daffy’s Gin School liegt inmitten des schottischen Hochlandes nicht weit vom Loch Ness im Dörfchen Strathmashie. Also inmitten einer der Hochburgen der Whisky-Herstellung. Die Bezeichnung „Dörfchen“ ist zugegebenermaßen fast schon Aufschneiderei. Tatsächlich handelt es sich mehr um eine Hand voll Häuser in den Cairgorns an den stark befahrenen A86. Die Heimat der Schule liegt im umgebauten Stall eines uralten Bauernhofs, während die gute Stube des Farmhauses zu einer kleinen Bar umfunktioniert wurde.
Gin-Zutaten aus den Cairngorns

Bevor die eigentliche Lehrstunde startet, geht es zunächst einmal auf abgelegenen Pfaden tiefer in die Wälder der Highlands zu den Falls of Pattack. Rund um die Wasserfälle gedeiht vieles von dem, was dem Gin später seine individuelle Geschmacksnote verleihen soll. So etwa die Piniennadeln und Beeren, die gesammelt und in eine kleine Tüte verstaut werden.

„Wachholder und Citrusfrüchte sind die wichtigsten Grundbestandteile für jeden Gin“, unterstreicht Chris, dass nicht wenige darauf schwören, ein wenig Lakritz beizumischen. Dies mache, so der der ausgebildete Brennmeister, das Ganze weicher und süßer. Schon blättert Chris ein wenig verbal im Geschichtsbuch der Gin-Herstellung. Erfunden worden sei das Getränk, das heute eine bemerkenswerte Renaissance erfährt, bereits im 13. Jahrhundert von italienischen Mönchen. Dies hatten, so der lockige Dozent weiter, einen miesen Wein hergestellt. Um das Gesöff noch halbwegs zu retten, mischten sie Wacholder und Citrusfrüchte in der Flüssigkeit und waren von dem Ergebnis überaus entzückt.
Pilz-Gin mit Nasser-Hund-Geschmack

„Die Geschichte des Gins ist immer auch eine Geschichte des Scheiterns“, betont Molyneaux. Sofort schiebt er hinterher, dass er selber jahrelang probiert habe, einen Gin mit Pilzen herzustellen. Rund 60 Sorten hat er ausprobiert.
„Alle schmeckten irgendwie nach nassem Hund“, lacht Chris über das eigene Unvermögen. Im gleichen Atemzug macht er deutlich: „Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Einfachheit.“
Viele, die sich an der Herstellung eines Gins probieren, würden daran scheitern, dass sie zu viel wollten und zu viele verschiedene Zutaten beimischen. Mit Blick auf die Skepsis der lernbegierigen Gin-Novizen macht er dann schnell deutlich: „In unserem kleinen Kurs gebe ich ihnen allen eine 100-prozentige Erfolgsgarantie, was den Geschmack der eigenen Produktion angeht.“
Konsumieren und prodzieren

Charmant plappert Molyneaux weiter ein wenig aus dem Nähkästchen. Er selber verspürt, wie er versichert, bereits seit seinem 14. Lebensjahr ein verstärktes Interesse an der Herstellung von Alkohol. Freimütig gesteht er: „Damals wollte ich in erster Linie konsumieren, aber schnell hatte ich auch Spaß daran, selber zu produzieren.“

In Frankreich hat der studierte Kunsthistoriker dann zunächst eine Winzer-Lehre absolviert und später beim international operierenden Getränkeriesen Diagio eine Ausbildung zum Brennmeister durchlaufen. Gemeinsam mit seiner Frau Mignonne Khazaka wagte er schließlich den Sprung in die Selbständigkeit. 2014 kam der erste eigene Gin auf den Markt. Der Name Daffy’s, unter dem auch die Schule firmiert, wurde in Anlehnung an den umgangssprachlichen Ausdruck „Daffy“ gewählt, der im viktorianischen Zeitalter als Begriff für Gin galt.
Die Handschrift von Robert McGinnis

Mit dem Label setzte Molyneaux seiner Frau ein Denkmal. Denn das Bild auf dem Firmenlogo, den Flaschen und Gläsern zeigt Mignonne mit all ihrer Haarpracht. Gestaltet wurde das Design von niemanden geringeren als dem US-amerikanischen Künstler und Illustrator Robert McGinnis, der sich mit den Plakatentwürfen für „Frühstück bei Tiffanys“ und für zahlreiche James-Bond-Filme international einen Namen machte.

Schon hat Chris das Augenmerk auf den eigentlichen Herstellungsprozess gerichtet. Um den benötigten Alkohol herzustellen, verwendet Daffy’s einen speziellen Weizen aus der Normandie. Im Gegensatz zur herkömmlichen Gin-Herstellung, bei der die Destillation circa vier Stunden einnimmt, hat sich Daffy’s einer speziellen Methode verschrieben, die neuneinhalb Stunden in Anspruch nimmt. Mit dem Ergebnis, dass die Geschmacksnoten sich wesentlich intensiver entfalten können. Und der Erfolg gibt Molyneaux recht. Längst ist der Wacholder seines kleinen Unternehmens mehrfach preisgekrönt.
Aus 128 Pflanzenarten wählen

Ganz so famos sind die Ergebnisse des heutigen Unterrichts nicht. Aber, um dies vorwegzunehmen, Chris hat nicht gelogen. Alle zwölf hergestellten Gins sind überaus schmackhaft. Was hier und da weniger an dem eigenen Vermögen, als an der Hilfestellung durch den Dozenten liegt.

Während der reine Alkohol nicht produziert werden muss, sondern bereitgestellt wird, steht zu Beginn die Qual der Wahl. Nicht weniger als 128 Pflanzenarten und Gewürze warten im Schulungsraum zur Auswahl. Da muss die eigene Nase einiges erschnuppern. Gefordert ist auch ein wenig Phantasie, um sich vorzustellen, wohin die Reise geschmacklich gehen soll.
Zitronenschalen und Piniennadeln

Mit einem kleinen Kraftakt müssen zunächst die Wacholderbeeren zerstampft werden. Das Ganze wird anschließend mit dem Alkohol vermengt. Im nächsten Schritt werden die gewählten Zutaten zusammengemischt: ein zerkleinertes, getrocknetes Stück Grapefrucht- und Zitronen-Schale werden in die Flüssigkeit gegeben; dazu ein paar zermahlene Piniennadeln und etwas libanesische Minze. Anschließend werden die Stücke herausgefiltert.

In speziellen Kupferkesseln, den sogenannten Stills, die jeweils zwei Liter Flüssigkeit fassen, wird das Gemisch auf exakt 79,4 Grad Celsius erhitzt. Dies führt dazu, dass 60-prozentiger Alkohol langsam aus dem kleinen Röhrchen des Kessels heraustropft. Das Ganze wird dann mit Wasser vermengt, bis der Alkoholgehalt auf circa 43 Prozent sinkt. Nach einer kleinen Kostprobe der eigenen und aller anderen Mischungen, wird das Ganze vorsichtig in eine kleine Flasche abgefüllt. Fertig ist der erste eigene Gin. Mit ein wenig Stolz darf ein jeder anschließend noch ein entsprechendes Zertifikat, das eine als Gin-Hersteller adelt, entgegennehmen.
„Experten“- gespräche an der Bar

In der Bar im alten Farmhaus folgt der Genuss der Hausmarke. Während die Flaschen lustig kreisen, fachsimpeln die „zertifizierten“ Hobby-Gin-Produzenten über ihre erfolgreiche Arbeit. Wohl wissend, dass sie nicht nur aus Ermangelung eines geeigneten Kupferkessels zu Hause keinen eigenen neuen Gin herstellen werden können. Es sei denn, Chris Molyneaux schaut kurz vorbei und bringt alle fehlenden Zutaten und Gerätschaften mit.
Informationen: Daffy’s Gin, Strathmashie Distillery, Strathmashie, PH20 1BU Schottland, Telefon 0044-(0)1528-544755, www.daffysgin.com/gin-school. Der dreistündige Kurs, an dessen Ende ein jeder Teilnehmer ein Zertifikat und den eigenen Gin erhält, kostet 95 Britische Pfund.

Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.