Unterwegs im größten Aquarium der Welt

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Im vermeintlich größten Aquarium der Welt, dem Great Barrier Reef, lässt es sich sogar mit einem Napoleon-Lippfisch kuscheln.

Im Minutentakt scheinen die mächtigen Bergzüge der Great Dividing Range zu schrumpfen. Bei jedem Blick zurück wirken die nordöstlichen Ausläufer von Australiens größter Gebirgskette immer kleiner, bis sie fast nur noch als Linie am Horizont zu erkennen sind. Und auch das beschauliche Hafenstädtchen Port Douglas ist mit Wohlwollen nur noch als Punkt in der braun-grünen Masse aus Bergzug und Wald zu erahnen. Stunde um Stunde bewegt sich das Boot im immer gleichen Rhythmus der Wellen auf und ab. Ein lauer Wind treibt die Wolken über das blau und grün schimmernde Wasser.

Selbst Nemo lässt sich fast mühelos finden …

Im hellblauen Dunst gehüllt, schwimmen kleine Inseln mit einladenden Palmenstränden vorbei. Immer wieder schwappt die Gischt über die Bordwand des Katamarans und sorgt für eine angenehme Erfrischung mit Peeling-Effekt. Fast scheint es, als sei Skipper Tony besoffen. Denn ein Blick zurück auf das Fahrwasser zeigt einen extremen Zickzackkurs auf. Tatsächlich liegt der Grund für die Schlangenlinie hinter dem Heck nicht am vermeintlichen Alkoholgenuss des Kapitäns, der mit seiner wilden Lockenpracht und dem stämmigen Körperbau wie ein echter Seebär wirkt. Vielmehr ist das Hin und Her nichts anderes als ein Ausweichmanöver, um die vielen flachen Stellen des Great Barrier Reefs zu umschiffen.

Inselreich und Hunderte von Riffen

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Mit einer Poolnudel im Arm lässt sich am Great Barrier Reef herrlich schnorcheln.

Nicht von ungefähr steht das größte Korallenriff der Erde ganz oben auf der Liste der Traumziele weltweit. Auf einer Länge von 2.300 Kilometern besteht das UNESCO-Weltnaturerbe vor der Nordostküste Australien aus sage und schreibe 1.900 Korallenriffen und 900 Inseln. Ein einmaliges Naturschauspiel, das mit seinen seichten Stellen so manchem Seefahrer zum Verhängnis wurde.

Die bunte Wasserwelt des Great Barrier Reefs ist je nach Lichteinfall absolut atemberaubend.

Prominentestes Opfer war 1770 der britische Seefahrer James Cook, als er mit seinem Schiff HMS Endeavour auf Grund lief und während der Reparaturarbeiten mehrere Wochen in Cooktown auf der Halbinsel Cape York festsaß. Gut, er hatte nicht wie die heutigen Schiffe modernste Navigationstechnik und Echolot an Bord seines Dreimasters zur Verfügung, sondern musste sich allein auf das Urteilsvermögen seiner Matrosen im Ausguck verlassen. Und so entdeckte der Abenteurer im Auftrag ihrer Majestät eher zufällig und ungewollt das wohl faszinierendste Stück Unterwasserwelt vor der Küste von Queensland.

Buntes Unterwasserkaleidoskop

Sogar der eine oder ander Schnappschuss gelingt mit etwas Geduld beim Tauchen oder Schnorcheln.

Längst sind die Gewässer rund um das Great Barrier Reef zu einem Tummelplatz für Segelboote und Motorschiffe geworden. Von Port Douglas oder Cairns aus brechen täglich ganze Heerscharen von Naturfreunden auf, um die spektakuläre Insel- und Unterwasserwelt kennen zu lernen. Bei Sichtweiten von bis zu 60 Metern erwartet die Taucher und Schnorchler ein buntes Kaleidoskop des Rifflebens mit gut 10.000 Schwamm-, 400 Korallen- und 1.500 Fischarten sowie 4.000 verschiedenen Weichtieren.

Die bunten Fische und Korallen verleihen dem „größten Aquarium der Welt“ etwas Einzigartiges.

„Die größte Gefahr für das sensible Ökosystem des Riffs sind hier im Norden von Queensland die Pflanzenschutzmittel, die für den Zuckerrohranbau benutzt und mit dem Regen ins Meer gespült werden“, erläutert Tony mit dem Ruder fest in der Hand. Mit dem lauen Wind im Haar und Salzgeschmack auf den Lippen nähern wir uns dem rund fünf Kilometer langen Opal-Reef. Vor uns liegt eine mächtige Regenwand. Sofort verdunkeln sich auch die Mienen der Hobbyseefahrer an Bord. „Nass werdet ihr sowieso“, flachst Seebär Tony, während der Katamaran vor dem Riff vor Anker geht.

Kuscheln mit dem Lippfisch

Das Unterwasserkaleidoskop am Great Barrier Reef ist voller kurioser Blickfänge.

Mit Taucherbrille, Schnorchel, Schwimmflossen und Neoprenanzug ausgestattet, folgt schon wenige Minuten später der Sprung in den Südpazifik. Vorher greift ein jeder noch zu einer der bereitgehaltenen Poolnudeln. Die bunten Schaumstoffschläuche, die gerne alten Damen bei der Wassergymnastik unterstützen, erweisen sich als überaus hilfreich. Sie sorgen für jede Menge Auftrieb und erleichtern so das Schnorcheln. Das eigene Atemgeräusch wirkt für viele überaus beruhigend, kann aber auch ganz schon Angst einflößend sein. Mit dem Kopf halb unter Wasser klingt es ein bisschen wie in einem Horrorfilm, wenn der Leinwandheld im Dunkeln von einem schnaufenden Massenmörder verfolgt wird.

Die Korallen sind oft überaus prächtig.

Eine Vision, die beim Plantschen im – laut Tony – „größten Aquarium der Welt“ schnell in Vergessenheit gerät. Wohlig warme Wassertemperaturen, Korallenbänke in allen Farben des Regenbogens sowie tropische Fische in Hülle und Fülle sind die Pfunde, mit denen das Great Barrier Reef wuchern kann. Da tummeln sich Clownfische, Schwärme blau-gelber Füsiliere und Juwelen-Zackenbarsche, aber auch Pfauen-Kaiserfische, Papageienfische, Antennen-Feuerfische, Halsband-Anemonenfische und jede Menge Schwarmfische. Der Kupferstreifen-Pinzettfisch ist in seichten Lagunen mit dichtem Korallenbewuchs zu finden, während Riffhaie gierig nach kleinen Leckerbissen Ausschau halten.

Wo selbst Nemo zu finden ist …

Der Doktorfisch funkelt im kräftigen Gelb.

Der sympathischste und den schuppigen Zeitgenossen ist fraglos Marvin. Der riesige Napoleon-Lippfisch, wegen seines Musters in Anlehnung an die Ureinwohner Neuseelands auch Maori Wrasse genannt, „wohnt“ seit Jahren am Opal-Reef. Nicht nur für den fast 120 Kilogramm schweren Raubfisch ist das Riff eine Art Tischleindeckdich. Für Marvin stehen täglich kleine Fische, Mollusken und Krustentieren in Hülle und Fülle auf dem Speiseplan. Für eine besondere Nachspeise sorgen Tony und seine Crew.

Von dem einen oder anderen Genossen sollte man sich sicherheitshalber fernhalten …

Wenn immer sie hier vor Anker gehen, füttern sie den wenig scheuen Lippfisch mit kleinen Thunfischhappen. Als Dank lässt sich der kleine Koloss von Tauchern und Schnorchlern streicheln und bringt sich für so manches Erinnerungsfoto mit den menschlichen Besuchern mit ein paar Flossenschlägen in Position. Ein Moment für die Ewigkeit, der noch dazu mit eigens mitgebrachten Unterwasserkameras digital eingefangen wird.

Buckelwal- und Delfinparade

Der Faszination Great Barrier Reef kann sich kaum jemand entziehen.

Mit einer Wundertüte voller Eindrücke geht es zurück an Bord. Und schon nimmt der Katamaran wieder Fahrt auf. Zuvor unternimmt Tony jedoch eine kleine Volkszählung, um sicher zu gehen, dass niemand im Wasser vergessen wurde. Weiter geht es im Takt der Wellen zum nächsten Stopp, dem Brazilian Reef. Mit seinen kaum minder beeindruckenden Korallenbänken, kleine Höhlen und zahlreichen tief hinab fallende Kanten steht dieser Ankerplatz besonders bei Tauchern hoch im Kurs. Hier ziehen riesige Schildkröten gemächlich ihre Bahnen. Der Versuch, den an Land so behäbigen Tieren nur ein Stück zu folgen, scheitert kläglich. Denn im Wasser sind sie überaus flink und wendig.

Mit dem Katamaran geht es entspannt hinaus aufs Riff.

Nach einem dritten Tauch- und Schnorchelstopp schippert der Katamarn langsam zurück gen Port Douglas. Mit etwas Glück tauchen vor dem Bug nicht nur Delphine auf, sondern auch mächtige Buckelwale, die hier in den wärmeren Gefilden ihre Kälber groß ziehen. Eine Aussicht, die nach dem Knuddelspaß mit dem Lippfisch noch einmal alle Hobbyseefahrer elektrisiert. Da wird das Segeln fast schon zur bedeutungslosen Nebensache.