Ein besonders faszinierendes Schauspiel lässt sich an den Tempelanlagen von Malta zweimal jährlich, am 20. März und am 22. September, beobachten: die Tag-und-Nacht-Gleiche oder wie sie in der Wissenschaft heißt: das Äquinoktium. Das Besondere daran: Die Sonne steht nur am kalendarischen Frühlings- und Herbstanfang genau senkrecht über dem Äquator und Tag und Nacht sind gleich lang, wodurch sich das Licht bei Sonnenaufgang auf zauberhafte Weise in den Tempelanlagen bricht und sich den Zuschauern eine einmalige kosmische Darbietung offenbart. Und was an normalen Tagen wie eine typische Ruinenlandschaft archäologischer Funde wirkt, entpuppt sich an Äquinoktium als eindrucksvolle, von den Tempelbauern detailliert abgestimmte heilige Kultstätte.
Was viele nicht wissen, Malta und Gozo besitzen besonders alte, einzigartige archäologische Funde, die viele Jahrhunderte vor den ägyptischen Pyramiden geschaffen wurden: die Megalith-Tempel der Jungsteinzeit, die von etwa 5200 vor Christus bis 700 vor Christus gebaut wurden.
Imposant und überwältigend zeigt sich dieses Spektakel bei dem Komplex von Mnajdra. An der Südwestküste Maltas gelegen, eingebettet in einer Kliffspalte und mit Blick auf die Insel Filfla, ist dieser einer der ältesten Tempel des Archipels. Die auffallende Konstruktion besteht aus drei architektonisch ineinandergreifenden Tempeln, die bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmt sind. Eine ungewöhnliche astronomische Ausrichtung weist der untere Tempel auf und zieht an der Tag-und-Nacht-Gleiche die Blicke neugieriger Zuschauer auf sich. Nachdem die Sonnen morgens sanft über den gegenüberliegenden Hügeln aufgegangen ist, leuchten ihre Strahlen mit ganzer Kraft exakt durch den Eingangsbereich des massiven Tempels, fallen unmittelbar auf den Altar der Kultstätte und erhellen das Gebilde bis zum hinteren Hauptaltar. Das Gleichgewicht von Licht und Schatten, Tag und Nacht zeigt das außergewöhnliche kosmische Erlebnis hier auf prismatische Art gebündelt und tritt besonders anschaulich in Erscheinung.
Nach dem spektakulären Sonnenaufgang zur Tag-und-Nacht-Gleiche können Liebhaber der Prähistorie nicht nur die monumentalen Kalksteinkonstruktionen unter die Lupe nehmen, sondern auch Dolmen aus der Bronzezeit, kunstvolle Mosaike, punische Grabstätten, Reste von römischen Villen, Götzenbilder aus Stein, in Fels gemeißelte Haustiere oder unterirdische Begräbnisanlagen, die sich teilweise über mehrere Kilometer durch den Untergrund ziehen, entdecken.
Die Fülle an archäologischen Tempelanlagen auf Malta und Gozo ist erstaunlich und sie gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Megalithtempel Maltas umfasst die sechs prähistorischen Tempelanlagen Ħaġar Qim, Mnajdra, Skorba, Ta’ Ħaġrat, Tarxien und Ġgantija auf Gozo.
Wer sich vor dem einzigartigen Event erst einmal vorsichtig an die zahlreichen Megalith-Formationen auf Malta und Gozo heranwagen will und einen Überblick über die faszinierende Kultur erhalten möchte, kann mit einem Besuch im Nationalmuseum für Archäologie in Valletta beginnen. Weitere Informationen unter www.visitmalta.com.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.