Hindu-Pracht am Datteln-Hamm-Kanal

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Im und um den Sri Kamadchi Ampal Tempel in Hamm werden verschiedene Hindu-Gottheiten in den Fokus gerückt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die Gläubigen verbeugen sich beim Betreten des prachtvollen Hindu-Tempels mit zusammengefalteten Händen, um den Göttern Respekt und Dank zu erweisen. Mit dem tamilischen Gruß „Vanakkam“ heißt Siva Sri Arumugam Paskarankurukkal die Gäste im Sri Kamadchi Ampal Tempel, einem der wohl ungewöhnlichsten Bauten im westfälischen Hamm, willkommen. In dem prachtvollen Tempel residieren verschiedene Gottheiten. Es riecht nach fremdartigen Gewürzen und frischen Früchten. Ein für die meisten Europäer wohl völlig unverständlicher Sprechgesang des Priesters erklingt und lädt gleichzeitig dazu ein, am Rande des Ruhrgebiets in eine völlig unbekannte Welt abzutauchen.

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Allein das Dach des Sri Kamadchi Ampal Tempels ist ein kleines Kunstwerk. – Foto Karsten-Thilo Raab

Gäste sind im Sri Kamadchi Ampal Tempel jederzeit – auch während der aktuellen Corona-Pandemie – willkommen, sofern sie denn einige simple Grundregel befolgen: So ist das Tragen von Schuhen untersagt, Handys müssen ausgeschaltet sein. Zudem darf weder geraucht, noch Fleisch verzehrt oder Alkohol getrunken werden. Auch Haustiere müssen draußen bleiben. Ferner dürfen Frauen während ihrer Periode aus religiösen Gründen den Tempel nicht betreten. Ansonsten gibt es keinerlei Einschränkungen, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass das Betreten der Schreine der Gottheiten allein den Priestern vorbehalten ist. Ansonsten müssen Besucher Corona-konform natürlich Abstand halten und Masken tragen.

In und um den Hindu-Tempel finden sich zahlreiche beeindruckende Malereien. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die Geschichte des zweitgrößten hinduistischen Tempels in Europa (nach dem Neasden-Tempel in London) ist eng mit der Flucht von Zehntausenden Angehörigen der tamilischen Minderheit aus ihrer Heimat Sri Lanka und speziell mit der Person Siva Sri Arumugam Paskarankurukkals verbunden. Der Priester war 1985 wie Unzählige seiner tamilischen Landesleute aus Sri Lanka, wo ein erbitterter Bürgerkrieg herrschte, geflohen. Auf Umwegen fand Siva Sri Arumugam Paskarankurukkal in die westfälische Provinz. In einem Asylbewerberheim in Hamm organisierte der Priester erste Andachten.

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Im Innern des Tempels inden sich zahlreiche kunstvoll verzierte Schreine. – Foto Karsten-Thilo Raab

Fern der Heimat zogen die „pujas“, wie die religiösen Zeremonien heißen, immer mehr Hindus in ihren Bann. Schnell drohten die Räumlichkeiten aus allen Nähten zu platzen. Aus der Not eine Tugend machend, richtete Siva Sri Arumugam Paskarankurukkal im Keller eines Wohnhauses einen ersten provisorischen Tempel ein. Als auch dieser zu klein wurde, erfolgte der Umzug in die Räumlichkeiten einer Wäscherei. Doch in der dortigen Nachbarschaft stießen die religiösen, oftmals auch lauten Zeremonien auf wenig Verständnis. Und so reifte die Idee, einen eigenen Tempel nach der Vorlage und im Stil des Kamakshi-Tempels im südindischen Kanchipuram zu errichten.

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Die Schreine dürfen nur von den Hindu-Priestern betreten werden. – Foto Karsten-Thilo Raab

Als Architekt wurde der Hammer Heinz–Rainer Eichhorst mit einer für unsere Breiten doch eher ungewöhnlichen Methode auserkoren: Mit geschlossenen Augen hatte Siva Sri Arumugam Paskarankurukkal im Branchenverzeichnis geblättert und war mit dem Finger auf dem Namen Eichhorst gelandet. Der Architekt nahm die Herausforderung an und versuchte den Spagat zwischen deutschen Bauvorschriften und der hinduistischer Tempelsymbolik bestmöglich zu meistern.

Wandmalerei am Sri Kamadchi Ampal Tempel in Hamm-Uentrop mit der Figur von Adi Shankara (links). – Foto Karsten-Thilo Raab

Rund 1,7 Millionen Euro – allesamt aus Spendengeldern zusammengetragen – flossen in den Bau des 27 mal 27 Meter großen Tempels. Allein das Tempelportal, Gopuram genannt, ist 17 Meter hoch. Der Gebäudekomplex ist nach strenger ritueller Vorgaben nach Osten auf die aufgehende Sonne ausgerichtet. Im Inneren des gut 700 Quadratmeter großen Baus sind die Granitstatue der namensgebenden Göttin, verschiedene Schreine sowie über 200 weitere Figuren von Gottheiten zu finden. Sri Kamadchi Ampal bedeutet aus dem Sanskrit abgeleitet etwa so viel wie, „die, die Wünsche von den Augen abliest“.

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Es fällt nicht schwer, sich nach Indien oder Sri Lanka versetzt zu fühlen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Besonders groß ist die Verehrung für Adi Shankara, auch als Aathisangara bekannt. Der Guru, der im 8./9. Jahrhundert lebte, soll 72 religiöse Richtungen zusammengeführt haben. Sein zentrales Credo mit Blick auf die Weltseele Brahman hieß: „Es gibt nur einen Gott. Jeder kann auf seine Art die Gottheit anbeten“. Eine Haltung, die den Gläubigen viele Wege öffnete und Spielraum für alle Glaubensrichtungen eröffnete.

Einige der Gottheiten leben bzw. stehen auf großem Fuß. – Foto Karsten-Thilo Raab

Entsprechend groß ist bis heute die Hochachtung für Adi Shankara, dem eine Skulptur im Hauptschrein des Hammer Tempels gewidmet ist. Auch ein Wandbild des Gurus ist hier zu finden. Seit wenigen Tagen findet sich auf dem Vorplatz des Tempels zudem ein drei Meter großer Schrein, der Adi Shankara gewidmet ist und am 17. Mai, dem Geburtstag des großen Lehrers, offiziell eingeweiht werden soll.

Rund um den Hindu-Tempel finden sich so mancher ungewöhnliche Hingucker. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die Hinduistische Gemeinde in Deutschland zählt gut 6.000 Mitglieder. Sie versteht sich als Vereinigung aller in Deutschland praktizierten, hinduistischen Richtungen mit dem Tempel im Hammer Stadtteil Uentrop als zentrale Begegnungsstätte. Die Lage des Tempels unweit des Datteln-Hamm-Kanal wurde bewusst gewählt. In dem künstlichen Gewässer wird das Bildnis der Göttin Kamadchi zum Abschluss des jährlichen Tempelfestes gewaschen. Das zweiwöchige Fest, zudem üblicherweise mehrere Zehntausend Hindus nach Hamm pilgern, findet in diesem Jahr zwischen dem 28. Juni und 11. Juli 2021 statt – sofern dies die aktuelle Corona-Pandemie zulässt.

Blick aus der Vogelperspektive auf das Dach des Sri Kamadchi Ampal Tempels. – Foto Karsten-Thilo Raab

Auch für Nicht-Gläubige ist der Besuch des Tempelfestes normalerweise ein faszinierendes Erlebnis, insbesondere die abschließende Hindu-Prozession zum Kanal. Gläubige rollen sich dann auf der Straße, Frauen in traditionellen Saris tragen brennende Opferschalen auf dem Kopf und Männer mit Spießen durch Mund und Wangen tanzen sich in Trance und ziehen den Wagen der Göttin Kamadchi bei ihrer vier Kilometer langen Ausfahrt an Seilen um den Tempel herum.

Die Darstellungen der Hindu-Gottheiten sind überaus farbenfroh. – Foto Karsten-Thilo Raab

Allerdings hatte schon 2020 Covid-19 massiven Einfluss auf die Traditionsveranstaltung. So waren zum eigentlichen Höhepunkt des Festes, der Prozession, gerade einmal 150 Gläubige zugelassen. Den Segen der Göttin bekamen weitere Gläubige im wahrsten Sinne des Wortes im Vorbeifahren. Ob und wie das Fest in 2021 über die Bühne gehen wird, vermag angesichts der Pandemielage noch niemand abschätzen. Aber auch abseits der Feierlichkeiten lädt ein Abstecher nach Uentrop ganzjährig in einer ganz andere, überaus faszinierende Welt ein.

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Eingangstor am Sri Kamadchi Ampal Tempel in Hamm-Uentrop. – Foto Karsten-Thilo Raab

Informationen: Sri Kamadchi Ampal Tempel, Siegenbeckstraße 4-5, 59071 Hamm, Telefon 02388-302223, www.kamadchi-ampal.de und www.hinduistische-gemeinde-deutschland.com

Öffnungszeiten: Täglich 8 bis 13 Uhr, 17 bis 19 Uhr; Gottesdienste finden täglich um 8 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr statt.

Eintritt: Der Eintritt ist frei, allerdings wird um eine Spende gebeten.