Zugegeben, von der Urgewalt, die die Brandenberger Ache für gewöhnlich insbesondere nach langen Regenfällen oder nach dem Einsetzen der Schneeschmelz an den Tag legt, ist in diesen Herbsttagen wenig zu spüren. Und doch garantiert eine Wanderung entlang des Wildflusses durch die Tiefenbachklamm gerade in der zweiten Septemberhälfte und im Oktober ein famoses Naturerlebnis inmitten eines bunten Blätterwaldes.
Der „Austrian Summer“ muss sich hier ganz sicher nicht hinter dem viel gepriesenen Indian Summer in Nordamerika verstecken. Im Gegenteil. Die Kombination aus schroffen Felswänden, türkisblauem Wasser und herbstlich gefärbtem Laub sorgte Schritt für Schritt für Bilderbuchkulissen.
Faszination auf über sieben Kilometern Länge
Auf gut 7,2 Kilometern Länge wartet die faszinierende Schlucht zwischen Kramsach und Brandenberg im Tiroler Alpbachtal Seenland darauf, auf Schusters Rappen entdeckt zu werden. Um die Strecke zu bewältigen, bedarf es nicht viel. Ein wenig Ausdauer, wärmende Kleidung und Trittsicherheit. Dazu noch die eine oder andere kleine Stärkung für unterwegs und genügend Trinkwasser.
Von Kramsach aus ist der Einstieg in die Klamm rund dreieinhalb Kilometer nach der Sonnwendjochbahn mit dem Fahrrad, dem eigenen Auto oder Bus erreicht. Auf weichem Waldboden geht es zunächst ein Stück direkt am Ufer der Brandenberger Ache entlang. In dem Maße, wie der Weg langsam ansteigt, werden die Steine und Felsbrocken im glasklaren und grünlich schimmernden Wasser größer.
240 Höhenmeter bewältigen
Mit fast jedem Schritt wird das Rauschen der Brandenberger Ache lauter, während sich die Sonne erst um die Mittagszeit langsam über die Baum- und Bergwipfel schiebt. Schlagartig ist es wärmer, auch wenn die Feuchtigkeit weiter deutlich zu spüren ist.
Der gut gesicherte, enge Steig führt vorwiegend über Stein- und Schotterboden hoch über dem Fluss, der als ständiger Begleiter allein durch seine Farbe zu begeistern weiß. Um gut 240 Höhenmeter steigt der von zum Teil bizarren Gesteinsformen gesäumte Weg an. An der höchsten Stelle ragt eine Aussichtsplattform über die Brandenberger Ache, die – entsprechende Wassermengen vorausgesetzt – auch gerne von Wildwasserkanuten befahren wird.
Steinmännchen und Wasserfälle
Auf einer großer Felsplatte haben Wanderer mehr oder weniger stabile Steinmännchen aufgetürmt. Als stumme Zeugen unterstreichen sie, wie viele Naturliebhaber doch die Tiefenbachklamm durchschreiten, auch wenn die meisten unterwegs kaum mehr als ein halbes Dutzend Menschen zu Gesicht bekommen.
Gespeist wird der Fluss zudem von einigen Wasserfällen entlang des Weges. Auch hier variieren die Wassermengen je nach Witterung und Jahreszeit. Ein weiterer Blickfang entlang des Weges ist die mit Moosen überzogene Ruine eines Wasserkraftwerks, das von 1928 bis 1959 zur Stromgewinnung für das Tal genutzt wurde.
Holztrift in der Tiefenbachklamm
Weitaus bedeutsamer war die Tiefenbachklamm allerdings zwischen dem 16. Jahrhundert und den 1960er Jahre für den Holztransport, als Holz als das wichtigste Baumaterial und Heizmittel in diesem Teil Tirols galt. Zunächst mussten die Arbeiter die Bäume in dem steilen, unwegsamen Gelände fällen, von Ästen befreien und deren Stämme in etwa vier Meter lange Stück zerlegen.
Diese wurden dann zu Sammelstellen an der Brandenberger Ache transportiert, während das Wasser des Wildflusses teils über Tage aufgestaut wurde. Wenn genug Stämme gesammelt waren, begann der so genannte Holztrift. Die angelegte Staustufe wurden geöffnet und die Hölzer von den Wassermassen mit talwärts gespült.
Jahrhunderte alter Transportweg durch die Klamm
Die vielen Windungen und Engpässe entlang der Tiefenbachklamm sorgten immer wieder dafür, dass verkantete Hölzer in dem unwegsamen Gelände „befreit“ werden mussten. Notfalls auch mittels einer Sprengung. Die Tradition endete erst 1966 mit der Fertigstellung der Verbindungsachse von Kramsach nach Brandenberg, als der Holztransport auf die weitaus ungefährlichere Straße verlegt wurde.
Ein paar Schautafeln mit historischen Bildern bilden heute in der Tiefenbachklamm die einzige Erinnerung an jene beschwerliche und gefährliche Profession, auf die die Region nicht verzichten konnte. Schließlich wurden allein in den 1950er Jahren hier sage und schreibe 13.650 Festmeter Holz auf dem Wasserweg durch die Klamm transportiert. Heute treibt höchstens mal ein umgestürzter Baum oder ein von Wanderern ins Wasser geworfener Ast die Brandenberger Ache durch die Klamm hinunter.
Jausenstation am Ende der Klamm
Mit Hilfe von drei Brücken wechselt die Wanderroute dreimal auf die andere Flussseite, ehe nach knapp vier Kilometer die Klamm endet und sich in ein breites Tal öffnet. Hier findet sich auch die Jausenstation Tiefenbachklamm, die einzige Einkehrstelle entlang der malerischen Route.
Nach einer kleinen Stärkung geht es dann auf demselben Weg zurück. Hier geht es dann auch überwiegend leicht bergab. Der Blick auf die Klamm ist nun ein anderen; aber keinesfalls ein weniger faszinierender. Und während das Ende der Tiefenbachklamm immer näher rückt, stellt so mancher fest, wie die Konzentration von Wasser, Steinen, Felsen und Bäumen auf so engem Raum doch so viel Platz für Glückshormone schaffen können. Weitere Informationen unter www.alpbachtal.at.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.