Will man in Neuengland im Nordosten der USA tiefer in die amerikanische Geschichte eintauchen, stößt man unweigerlich auf die christliche Freikirche der Shaker, deren Mitglieder sich hier im 18. Jahrhundert niederließen. Der Name ihrer Gemeinschaft leitet sich von ihren rituellen und ekstatischen Tänzen während des Gottesdienstes ab. Mit Prinzipien wie Fleiß, Geschlechter- und Rassengleichheit, Gemeinbesitz, Pazifismus und Zölibat wurden sie eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Gruppierungen des Landes, doch das Prinzip einer Religion ohne Ehe, Sexualität und Fortpflanzung führte letztendlich dazu, dass es heute kaum noch Mitglieder dieser einzigartigen Glaubensgemeinschaft gibt.
Dem technischen Fortschritt in keiner Weise abgeneigt und der Moderne aufgeschlossen waren die Angehörigen der Religionsgemeinschaft geniale Erfinder und Konstrukteure. In den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Architektur, Handwerk, Wirtschaft, Musik, Bildung, Medizin, Landwirtschaft und Handel leisteten sie wichtige Beiträge zur amerikanischen Kultur. Das Streben nach höchster handwerklicher Produktqualität war und ist für sie die Grundvoraussetzung eines gottgefälligen und freudvollen Lebens.
Heutzutage sind neben Kleidung und Gebrauchsgegenständen aus eigener Herstellung vor allem die Architektur und die charakteristischen Holzmöbel weltweit bekannt, welche sich durch klare Formen und hohe Funktionalität auszeichnen. Ganz nach der Überzeugung „ein Gegenstand ist von sich aus schön, wenn er seinen Zweck erfüllt“, verzichtet der zeitlose Shaker Style auf unnötige Verzierungen und Ornamentik und zeigt Parallelen zur englischen Arts and Crafts Bewegung.
Drei Dörfer in Neuengland eignen sich hervorragend, um einen Einblick in diese außergewöhnliche Welt zu gewinnen. Das Canterbury Shaker Village in New Hampshire ist eines der ältesten vollständig erhaltenen Shaker Dörfer. Hier stehen das einzige intakte Versammlungshaus der ersten Shaker Generation aus dem Jahr 1792 und ein Wohnhaus von 1793. Besucher können die historischen Gebäude besichtigen und in den Gärten flanieren.
Das Hancock Shaker Village in Pittsfield, Massachusetts, wurde in den 1780er Jahren gegründet und von seinen Bewohnern auch City of Peace genannt. Bis in die 1830er Jahre wuchs die Gemeinschaft auf 300 Gläubige an, die auf ihrem Land Gemeindehäuser, Scheunen, Werkstätten sowie eine Farm errichteten. Im Zentrum der Arbeitswelt stand die 1826 gebaute Round Stone Barn, eine sehr ertragreiche Molkerei. Insgesamt 18 historische Gebäude können heute noch besichtigt werden. Das Hancock Village besitzt zudem eine erstklassige Sammlung mit original Möbeln, Kunst, Objekten, Werkzeugen, Textilien und anderen Artefakten.
Die weltweit letzte aktive Shaker Gemeinschaft mit nur noch zwei Mitgliedern befindet sich am Sabbathday Lake im Bundesstaat Maine. Hier werden Interessierte durch das große Wohnhaus geführt, wo einst 70 Shaker in 50 Zimmern gelebt haben. Außerdem können Besucher fünf weitere Gebäude und die Gärten besichtigen, und dabei spannende Einblicke in über 200 Jahre Shaker Geschichte gewinnen. Im Shop des Dorfes gibt es typisches Kunsthandwerk, Kräuter und Tees und traditionelle Geschenke zu erwerben. Weitere Informationen unter www.neuenglandusa.de.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.