Auf Schneeschuhen durch Südtirols Eggental

Eggental
Ganz entspannt lässt sich das Eggental bei einer Schneeschuhtour entdecken.

Der erste Schritt geht schon mal schief. Ich schrappe beim Vorziehen des linken Schneeschuhs am rechten und stolpere. Bergführer Hansjörg Welscher grinst. „Du musst breitbeinig gehen, dann passiert das nicht“, weist er mich in die Technik des Schneeschuhgehens ein. Die Wanderung beginnt in Obereggen am Fuß des Latemar auf 1.500 Metern. Nachdem ich mir in wenigen Minuten einen breiteren Gang angewöhnt habe, freue ich mich, wie einfach das Vorwärtskommen auf Schneeschuhen doch ist. Ewig könnte ich so auf dem Weg, der nur leicht ansteigt, weiterstapfen.

Eggental
Nach Anlaufschwierigkeiten hat Autorin Cornelia Lohs schnell den Bogen raus.

Mein Tour-Guide hat allerdings andere Pläne. „Hier lang“, sagt er, verlässt den Weg und steigt den Hang hinauf. Schneefeldein geht es nun durch steil durch den Wald über entwurzelte Bäume. Opfer des Sturmtiefs „Vaia“, das im Oktober 2018 über Südtirol und ganz besonders dem Eggental wütete und tausende Fichten umknickte oder entwurzelte. Der gefrorene Schnee knirscht unter meinen Füßen. Es wird steiler, der Boden eisiger. Ich haue die Frontzacken der Schneeschuhe in den vereisten Schnee und steige nach oben. Die Stöcke geben mir dabei Halt. Ich schaue hinauf zu dem Weg, der in weiter Ferne zu liegen scheint.

Diamantiditurm – der höchste im Eggental

Eggental
Entwurzelte Bäume zeugen vom verheerenden Sturm, der das Eggental heimsuchte. – Foto Cornelia Lohs

Nimmt die Steigung je ein Ende? Wieder ein Baumstamm, über den ich steigen muss. Nur langsam arbeite ich mich den Hang hinauf. Der Bergführer schreitet mühelos in gemäßigtem Tempo vorwärts und steht längst oben am Weg und schaut mir geduldig bei den letzten mühsamen Metern zu. So anstrengend hatte ich mir das nicht vorgestellt! Die Strapazen des Aufstiegs sind sofort vergessen, als ich vor mir die imposanten Felsen des Latemar erblicke, die steil in die Höhe ragen. Höchster Gipfel des majestätischen Gebirgsstocks im Eggental ist der 2.842 Meter hohe Diamantiditurm. Er wurde nach dem Wiener Alpinisten Demeter Diamantidi benannt, der die Nordwand des Gipfels 1892 als erster Mensch bestieg.

Viel braucht es nicht für eine entspannte Schneeschuhwanderung. Nur Schuhe, Stöcke und Lust. – Foto Cornelia Lohs

Nun geht es eine zeitlang geradeaus weiter, die zerklüfteten Felsen des Dolomitenriesen immer im Blick. Es hat nur ein oder zwei Grad, aber ich spüre keine Kälte und auch nicht, wie die Zeit vergeht. Die Sonne lacht am strahlend blauen Himmel, und weit und breit ist kein Mensch in Sicht. Der einzige Laut, den ich vernehme, ist das Knirschen der Schneeschuhe auf dem gefrorenen Schnee. Bald geht es wieder schneefeldein, Ziel ist die Schafhütte. Der Schnee liegt hoch. Werde ich nicht einsinken? „Der Schneeschuh verteilt dein Gewicht auf eine große Fläche, sodass du nicht tief im Schnee einsinkst“, erklärt der Guide.

Blick auf den Latemar

Eggental
Weitsichtbarer Begleiter: das beeindruckende Panorama des Latemar. – Foto Cornelia Lohs

Zögernd mache ich den ersten Schritt, sinke tatsächlich kaum ein und kann mich gut fortbewegen. Kein entwurzelter Baum kreuzt meinen Weg. Ab und zu sehe ich Spuren von Schneehasen. Ihre weit spreizbaren und mit langen Borsten versehenen Hinterpfoten wirken wie Schneeschuhe und verhindern das Einsinken im tiefen Schnee. Vor der Schafhütte, von deren Dach Eiszapfen hängen, werden die klobigen Schuhe abgeschnallt, die Stöcke in den Schnee gesteckt und die Beine auf einer Bank ausgestreckt. Die Bank steht mit Blick auf den Latemar, über dem die Sonne hell am Himmel strahlt. Nach zehn Minuten Pause geht der Marsch weiter. Immer steil hinauf, aber ohne Hindernisse auf dem Weg, was die Wanderung nun sehr einfach macht.

Schneeschuhwanderung ist ein entschleunigter Naturgenuss im eigenen Tempo.

Wie ein weißer Glitzerteppich liegt der Hang vor mir. Nach über einer Stunde sind in der Ferne Skipisten zu erkennen. Die Oberholz-Hütte ist nun nicht mehr weit. Sie ist das letzte Ziel für heute. Auf der Oberholz-Piste herrscht ganz schön Trubel. Ich muss aufpassen, dass ich keinem Skifahrer in die Quere komme. Die 360-Grad-Terrasse der Hütte ist bis auf den letzten Platz besetzt, ebenso das Restaurant. Es dauert eine Weile, bis wir einen Tisch an einem der Panoramafenster mit Blick auf Berge, Piste und Skilift bekommen. Latschenkiefer-Risotto oder Grillgemüse und Bratkartoffeln? Ich entscheide mich für letzteres und nach dem Essen dafür, mit dem Lift zum Ausgangspunkt zurückzuschweben. Nach der vierstündigen Wanderung mit nun vollem Magen kann ich es mir nicht vorstellen, mit vollem Magen bergab zu stapfen.

Skiliften zum Skigebiet Carezza

Schritt für Schritt lässt sich die wunderbare Winterlandschaft erlaufen. – Foto Cornelia Lohs

Am nächsten Morgen steht eine weitere Wanderung an. Sie beginnt bei den Skiliften zum Skigebiet Carezza – am Waldhang auf der gegenüberliegenden Seite. Den heißt es aber erst einmal zu erklimmen! Ich habe Übung vom Vortag, und im Zickzackkurs schaffe ich es schwitzend nach oben. Der Himmel ist grau, aber es ist nicht so kalt wie am Tag zuvor, und ich muss bald die Jacke ausziehen, weil es mir zu warm wird. Im Wald wird das ganze Ausmaß des heftigen Orkans von 2018 sichtbar. In den Eggentaler Wäldern rissen Windböen mit bis zu 200 Stundenkilometern Bäume wie Streichhölzer aus dem Boden. Etwa 8,6 Millionen Festmeter Holz lagen nach dem Sturm in Südtirol auf dem Boden. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Stämme weggeräumt sind und Jahrzehnte bis zur Aufforstung des Waldes.

Eggental
Immer wieder werden unterwegs famose Blicke auf deas Eggental frei. – Foto Cornelia Lohs

Das Eggentaler Holz aus dem Latermawald wird weltweit für den Bau von Instrumenten verwendet. Schon Stradivari soll aus dem Holz der Klangfichten seine Geigen gebaut haben. Seither klopfen Instrumentenbauer an die Klangfichten und lauschen an den Bäumen. Nun liegen sie entwurzelt am Boden. Im Nordosten sehe ich den sagenumwobenen Rosengarten, der sich auf acht Kilometern Länge vom Schlernmassiv bis zum Karerpass erstreckt. Der Legende nach leitet sich der Name von einem Garten voller Rosen ab, den Sagenkönig Laurin mit einem Fluch belegte, sodass zur Tages- und Nachtzeit niemand den schönen Garten zu sehen bekäme. Er vergaß jedoch die Dämmerung, weshalb in jener kurzen Zeit der Rosengarten in spektakulären Rottönen erscheint.

Die schöne „Egge“

Selbst im tiefen Weiß geht es auf den Schneeschuhen gur voran.

Die Wanderung dauert heute nur zweieinhalb Stunden und endet zu Mittag im Restaurant Hennenstall in Welschnofen bei Polenta und Steinpilzen.

Übrigens, der Name des Eggentals, das sich über ein Gebiet von 250 Quadratkilometern erstreckt, geht auf die ladinische Bezeichnung „ega“ Wasser zurück. Eine schöne „Egge“ (Ecke) ist es allemal! Weitere Informationen unter https://eggental.com/de.

Hinweis: Die Reise wurde freundlicherweise durch IDM Südtirol unterstützt.