Wäre der Anblick des berühmten Rathauses nicht ganz so imposant und thronte der Turm der Walpurgiskirche nicht so sichtbar stolz über den irdischen Dingen, man könnte sich in den malerischen Fachwerkgassen in Alsfeld regelrecht verlieren. Fachwerk soweit das Auge reicht, jede Ecke anders und wunderschön, als wolle die Pracht gar nicht enden. Und doch ist der Marktplatz mit eben diesem Rathaus ein magischer Anziehungspunkt. Wohl auch ein Grund für die Alsfelderin Johanna Mildner heimzukehren. Nur wenige Meter trennt das Rathaus und das älteste Haus der Stadt, in dem sie jetzt seit Jahren des „rastlosen“ Schauspielerlebens den Buchladen Lesenswert mit ihrer Kollegin Barbara Möser führt. „Ich habe in diesem Laden schon als Schülerin gearbeitet. Das hier und Alsfeld ist meine Heimat. Irgendwann wollte ich einfach nicht mehr Koffer packen,“ beschreibt Johanna Mildner die Verbundenheit mit ihrer Stadt und der Traditionsbuchhandlung.
Mit im Gepäck hatte Johanna Mildner dann auch jede Menge Ideen. Nicht nur für die Markspielgruppe, die sie seit 2012 leitet. Auch das Lutherspektakel zum Reformationsjahr auf dem historischen Marktplatz entstand unter ihrer Leitung. „Mein lieber Schwan“, so hieß das Stück zu Ehren Luthers. Warum? „Vis-a-vis zum Rathaus stand einmal das Gasthaus „Zum Schwanen“. Ganz Alsfeld ist überzeugt, dass Luther dort unterkam, aus dem Fenster schaute, während die Kinder für ihn sangen. Und ich glaube das auch“, sagt Johanna Milder mit fester Stimme und lacht dann. Ob sich diese Geschichte wirklich so zugetragen hat, ist nicht eindeutig bewiesen. Wohl aber, dass Luthers Schüler, Tilemann Schnabel, im Kloster an der Dreifaltigkeitskirche als Mönch lebte und die Stadt im Vogelsberg als eine der ersten hessischen Städte reformierte. Vom damaligen Kloster steht nur noch eine Mauer. Wer durch die Fenster des ehemaligen Dormitoriums schaut, sieht einen Lieblingsort von Johanna Mildner. „Der Klostergarten ist einfach wunderschön. Außerdem passiert hier immer noch so viel. Hier spielen wir zum Beispiel Kurzmärchen wie Rotkäppchen bei Führungen für Touristen“, erklärt die Schauspielerin.
Brüder Grimm, Märchen und viel Geschichte
In diesem Jahr werden erstmals die Brüder Grimm im Biedermeiergewand die Besucher der Stadt zur Führung begleiten. Auch diese berühmten Hessen sind fest mit Alsfeld und dem Vogelsberg verbunden. „Man sagt, dass sich die Brüder Grimm von der Schwälmer Tracht mit dem roten Häubchen haben inspirieren lassen“, erklärt Johanna Mildner. Wer sich davon ein Bild machen möchte, sieht diese Tracht beim Schwälmer Brunnen rückseitig vom Pranger. Apropos Pranger: So heißt nicht nur das Gebäude, man findet an der Ecke am Marktplatz auch noch eine Handschelle dieses mittelalterlichen Bestrafungselements. Und da sind wir nun zurück auf dem Marktplatz, wo die Reise begonnen hat. Man könnte sich die Frage stellen, wie dieser wohl wirken würde, ohne sein berühmtestes Bauwerk, das Rathaus.
„Um 1870 herum empfand man das große Fachwerkgebäude nicht mehr als zeitgemäß und so überlegten die Stadtoberen tatsächlich, ob sie es nicht lieber abreißen sollten“, erzählt Johanna Mildner. Kaum auszudenken, wenn dieses wunderschöne Haus hier fehlen würde. Den Rathaus-Rettern können nicht nur die Alsfelder sondern auch viele begeisterte Besucher dankbar sein.
Von Balken und Bieren
Balken und Bier – so heißt der Rundgang, der in die Welt der Bau- und Braukunst entführt. Wer jedoch dahinter eine „Kneipentour mit Saufgelage“ vermutet, der irrt. Balken und Bier ist eine geschichtliche Führung durch die facettenreiche Fachwerk- und Braugeschichte. Von den Ursprüngen des Bierbrauens bis zum heutigen „Wirtschaftsfaktor“ hier erfährt man alles Wissenswerte über den goldenen Gerstensaft. Zum Beispiel auch über den Alsfelder Bierkrieg, eine Auseinandersetzung zwischen dem einfachen Volk und der Obrigkeit im 17. Jahrhundert um die Frage, wer das Brauhaus nutzen darf. Zusätzlich zum Rundgang kann auch ein Alsfelder Imbiss gebucht werden mit Hausmacher Wurst, Bauernbrot und natürlich einem Alsfelder Bier.
Bier gibt es natürlich auch bei „Tante Mathilde“. Schließlich hat man sich hier Heimatküche und Braukunstwerke auf die Fahne beziehungsweise die Speisekarte geschrieben. In Alsfelds neuem „Wohnzimmer“ im „Hôtel Villa Raab“ fließt aus fünf Zapfhähnen das „flüssige Gold“ für die durstigen Kehlen. Exklusiv von Braukünstler Nico Döring vom Atelier der Braukünste für Tante Mathilde hergestellt. Dazu genießt man vielleicht ein Techtelmechtel, Kokolores oder regionale Sperenzien. Wer am Ende noch Platz für die Schreckschraube hat, kann sich sicher sein, das Beste aus der Vogelsberger Heimatküche probiert zu haben. Rezepte aus 115 Jahren Heimatküche aus der Umgebung haben die Gastgeber gesammelt. Wer mag, kann „sein persönliches Lieblingsrezept“ auch dorthin schicken. Vielleicht landet es ja dann bald neben Meister Raab auf der Tageskarte.rzeichen als Ausdruck der Heimatliebe zu ihrer Stadt. Mehr Informationen unter www.hessen-tourismus.de und hessen.tourismusnetzwerk.info.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.