Kellner in Madrid sind anders. Keine Frage. Da fungierten vor einigen Jahren ehemalige Strafgefangene in einem Restaurant, das von einem Geistlichen betrieben wurde, als Ober. Im Schatten der Oper erhielten Ex-Knackis als Servicekräfte eine neue berufliche Chance. Die populäre Gaststätte, die von Pfarrer Luis de Lezama gegründet wurde, heißt nicht etwa Café Viereck, obwohl die gestreiften Sitzpolster ein wenig an die staatliche Verwahranstalt mit den Gittern vor den Fenstern erinnert, sondern Taberna del Alabardero.
In anderen Restaurants sind die Kellner im wahrsten Sinne des Wortes tonangebend, stellen selbst die größten kulinarischen Genüsse in den Schatten. Zwischen Tapas, Hauptgang und Vino Tinto avancieren ausgebildete Opernsänger im Restaurant La Favorita mit ihren Gesangsdarbietungen für die eigentliche Würze der ohnehin exzellenten Küche – stimmgewaltige Appetithäppchen, die die Gaumenfreuden wohlklingend ummanteln.
An den in Grün und Rot gehaltenen Wänden stechen Bilder vom Stierkampf, Blumenmotive und Gemälde schöner Frauen ins Auge. Weiße, gestärkte Tischdecken und Silberbesteck bilden zusammen mit sanfter Klaviermusik den gastlichen Rahmen. Auf den Tisch des Hauses kommen traditionelle madrilenische Produkte und Gerichte. Dazu gehören Vinos de Madrid, Fleischgerichte aus der Sierra de Guadarrama und natürlich Oliven aus dem Campo Real sowie andere Tapas-Variationen.
Auch wenn es angesichts der Qualität der Mahlzeiten verwundern mag, die wenigsten Gäste kommen (allein) wegen des Essens. Im Gegenteil. Denn das La Favorita wartet mit einem ungewöhnlichen gastronomischen Konzept auf. Neben den normalen Servicekräften bedienen auch einige als Ober getarnte Opernsänger. Zwischen jedem Gang gibt einer der Künstler aus Spanien, der Ukraine, Russland und Kolumbien eine Kostprobe seines Könnens.
Einer der singenden Kellner ist Javier Lassaletta. Der 38-jährige absolvierte eine Opern-Ausbildung in Madrid und Mailand und stand sogar schon mehrmals in der renommierten Madrider Oper, dem Teatro Real, auf der Bühne, bevor er eine Ausbildung zum Kellner absolvierte.
„Wer nicht zur allerersten Garde der Tenöre gehört, muss sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten“, wertet Javier Lassaletta sein Engagement im La Favorita als gute Gelegenheit, vor Publikum zu praktizieren und gleichzeitig die eigene Kasse etwas aufzubessern. Denn nur sporadisch kommt er im Chor des Teatro Real zum Einsatz. Drei- bis viermal wöchentlich schmettert er stattdessen Arien aus „La Traviata“ oder „Carmen“ in dem stets prall gefüllten Restaurant – und dies seit mittlerweile vier Jahren.
„Das Kellner-Outfit und das bisweilen schmatzende Publikum stören mich wenig. Wir Sänger sind auch Schauspieler. Wenn es sein muss, singe ich im Kettenhemd“, hofft der sympathische Madrilenin mit dem schütter werdenden Haar, schon bald das Restaurant-Parkett mit der großen Bühne tauschen zu können. Kellner und Künstler in Personalunion – das passt nur bedingt zusammen. Das Publikum im La Favorita ist natürlich anders, oft weniger fachkundig, als in der Oper.
Zwar verstummt in der Regel das Geklapper von Besteck und Geschirr während der Gesangsvorträge, doch es kommt immer wieder vor, dass diese lauthals durch Bier- oder Weinbestellungen unterbrochen werden. Schlimmer ist jedoch der Zigarettenqualm, der sich auch nicht unbedingt positiv auf die Stimmbänder auswirkt.
„Wenn ich singe, nehme ich den Rest um mich herum nicht mehr wahr“, beteuert Javier Lassaletta, wohl wissend, dass mit jedem weiteren Abend im La Favorita die Chancen sinken, tatsächlich eines Tages an der Mailänder Scala oder der Metropolitan Opera in New York zu den gefeierten Stars zu gehören. Aber wer weiß, vielleicht sitzt ja in naher Zukunft mal einer der großen Opernproduzenten am Tisch des La Favorita und entdeckt den jungen Tenor. Bis dahin bleibt der Applaus der Restaurantbesucher das künstlerische Brot des Javier Lassaletta, während das bescheidene Salär und das Trinkgeld zumindest den Kauf des täglichen Brots ermöglichen.
Allgemeine Informationen: www.spain.info
Anreise nach Madrid: Von Berlin, München, Frankfurt, Düsseldorf und Hannover bietet Iberia je nach Saison und Verfügbarkeit Direktflüge in die spanische Hauptstadt ab ca. 120 Euro an. Weitere Informationen unter www.iberia.com.
Verkehr: In Madrid gibt es eine dichtes U-Bahn- (Metro) und Busnetz. Tageskarten sind ab 3,80 Euro, Dreitageskarten ab 9 Euro erhältlich. Weitere Informationen erteilt Comunidad de Madrid im Internet unter www.ctm-madrid.es
Restaurante La Favorita, Covarrubias 25, 28010 Madrid, Telefon 0034-91-4483810, Fax: 0034-91-5938099, www.restaurantelafavorita.com. Anfahrt: Mit der Metrolinie 1 oder 4 bis zur Haltstelle Bilbao. Von hier ca. fünf bis zehn Gehminuten über die Calle de Luchana in nordöstlicher Richtung, und dann rechts in die Straße Manuel Cortina abbiegen und der Straße bis zur Ecke Covarrubias folgen.
Taberna del Alabardero, Calle Felipe V 6, 28013 Madrid, Telefon 0034-91-472577, www.alabardero.com. Bekannt ist das Restaurant auch für seine exzellente Weinauswahl mit mehr als 300 ausgesuchten Sorten. Anfahrt: Mit der Metrolinie 2 oder 5 bis zur Haltstelle Opera. Das Restaurant liegt an der Nordseite des Teatro Real.
Übernachten: Husa Hotel Paseo del Arte, Calle de Atocha, 28012 Madrid, Telefon: 0034-91-2984800, www.husa.es. Das zentral gelegene Designhotel im Dreieck zwischen dem Prado-Museum, dem Botanischen Garten, dem Bahnhof Atocha und dem Kunstzentrum Reina Sofia bietet Zimmer je nach Wochentag zu Preisen zwischen 93 und 250 Euro pro Nacht an.
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Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.