Rendezvous mit der Diva Venedig

Venedig
Vom Wasser aus ist die „Serenissima“, wie die Republik Venedig auf Italienisch heißt, einfach großartig. – Foto Katharina Büttel

Herbst in Venedig, ein Traum. Genau genommen ist Venedig immer ein Traum, im Herbst aber sind die Farben klarer, weht der Wind ein wenig rauer. Besonders, wenn man vom Meer aus auf „die unwahrscheinlichste aller Städte“ zufährt. Die Kontraste treten stärker hervor. Die Kuppeln ragen in den diffus schimmernden Himmel: Paläste, berühmte Kirchen kommen ins Blickfeld. Kerzengrade schält sich der Campanile von San Marco aus der Uferlinie. Um Mitternacht läuten die Glocken, als verkündeten sie die Rückeroberung der Altstadt. Die Venezianer sind wieder unter sich, gelassener, freundlicher. Sie nehmen die Plätze und Gassen wieder voll in Besitz. Hektik, Touristengruppen, Kitsch und Kommerz – all das ist jetzt vorbei.

Venedig
Nicht ohne Selfie – die Schöne vor schöner Kulisse. – Foto Katharina Büttel

Ein Rendezvous mit der „Diva“ beginnt normalerweise im Caffè Florian auf der Piazza San Marco – wo sonst. 1720 eröffnet, ist es heute das älteste Kaffeehaus Europas. Aus den Fenstern der Salons mit Plüsch, Spiegeln und Lüstern sahen schon Goethe und Thomas Mann den Tauben zu. Heute löffelt vielleicht ein Schauspieler am Nebentisch den berühmten Bicerin: süße Schokolade mit Kaffee und Crème. Mit acht Euro unverschämt teuer, aber auch unverschämt gut.

Über die Gondeln am Canale di San Marco schweift der Blick hinüber zur Insel San Giorgio Maggiore. – Foto Katharina Büttel

Gegenüber im Caffè Quadri spielen Stehmusiker Populäres. Mal mit schwarzer Brille und Mafiosi-Tuch, mal als Charmeure mit Schmalz und Schmelz. Immer im Wechsel mit Caffè Lavena, wo sich schon immer Dichter und Musiker fast wie im Salon eines königlichen Palastes fühlten. Die letzten warmen Herbststrahlen erlauben es, draußen zu sitzen. Die Blicke gehen zu den bunten Mosaiken von San Marco, zu den filigranen Säulen des Dogenpalastes, weiter zum Campanile und zu den unzähligen Arkadenbögen. Der Platz ist schlicht großartig.

Was wäre Venedig ohne Rialto-Brücke!

Morgens und abends ziehen Nebelschwaden durch die Stadt – Venedig ist ruhig und schön. Endlich kann man wieder gelassen in die alte Geschäftsstraße ‚Mercerie‘ vom Markusplatz bis zur Rialtobrücke gehen, ohne ständig angerempelt zu werden. Der Campo San Luca ist morgens schon von Espressoduft durchzogen und voll von Venezianern. Wenn um 12 Uhr mittags das Angelus geläutet wird, treffen sich Markthändler und Kulturfreaks, Handwerker, Anwälte und der ein oder andere Tourist in den kleinen Kneipen, den ‚bacari‘, auf ein schnelles Gläschen und zum „ciacole“. Das ist venezianisch und mit „quatschen“ nur unzureichend übersetzt. Man regt sich über Steuern auf, über das „aqua alta“, das gefürchtete Hochwasser, tauscht ein paar Gerüchte aus.

Jede Gondel wird für den Gondoliere maßgeschneidert. – Foto Katharina Büttel

Gestärkt mit kleinen „cicchetti“, den italienischen Tapas, gehen die Venezianer dann wieder zur Arbeit. Venedig ist eine Kleinstadt. Wenngleich auch eine vom Rang eines Weltwunders.
Am frühen Abend ist auf dem Campo San Bartolomeo das gleiche Schauspiel wie am Tage auf San Luca zu sehen, allerdings in anderer Besetzung. Dort trifft sich Venedigs Jeunesse dorée. Die Piazza summt, es riecht nach vino bianco und Apérol. Um neun ist der Platz wieder menschenleer. Warum sich die halbe Stadt gerade auf diesen zwei Campi trifft, bleibt ein venezianisches Geheimnis.

Das Panorama der Lagunenstadt ist schlicht faszinierend.

Auf Venedig muss man sich einlassen. Hinein in die stillen Winkel, auch mal weg von der großen Kunst. Jetzt macht es Spaß, sich durch die engen Gassen zu schlängeln, treppauf, treppab über kleine Brücken und Stege. Verborgene Gärten in illustren Palazzi aufzuspüren, lauschige Innenhöfe und das Haus Nr. 5858 entdecken. Von hier aus brach Marco Polo 1271 nach China auf. Im brackigen Wasser spiegeln sich Mauern und Fassaden, die sich in grazile Ornamente auflösen. Loggien und Bögen, Fenster und zierliche Balkone geben ihnen einen Hauch von Orient. Gondoliere manövrieren elegant ihre Gondeln durch die schmalen Kanäle.

Der Dogenpalast gehört zu den markantesten Gebäuden der Stadt.

Erfüllt verstreichen die Tage wie die Nächte, auf Piazza und Campo, auf verwunschenen Terrassen und belebteren Promenaden. Die wenigen Touristen hasten weiter, immer auf der Jagd nach Märtyrern und Propheten, finden Muße und Genuss in den Kirchen vor Tizian- und Tintoretto-Gemälden. Sie stöbern in Läden mit Maskenkitsch und Murano-Glas, verlieren sich in Edelboutiquen mit sündhaft teurer Alta Moda, probieren in einer Bacaro-Bar am Campo dell’Orto Pasta mit der typischen schwarzen Tintenfischsauce, dazu ein Glas Prosecco. Gleich nebenan wohnte und wirkte Tintoretto, viele seiner Kunstwerke hängen in der Kirche Madonna dell’Orto um die Ecke.

Geschick und Konzentration muss ein Gondoliere zwingend mitbringen.

Venedig im Herbst bedeutet auch Kunstgenuss ohne Warteschlangen. In dem atemberaubend schönen, restaurierten Palazzo Ca‘ Pesaro wird ganz große Kunst der Moderne gezeigt – Meisterwerke von Kandinsky und Miró, von Matta und De Chirico. Restauriert wurden auch die Deckenfresken einiger Säle, die von Tiepolo stammen. Der Ca‘ Pesaro darf ohne Übertreibung als eins der interessantesten Museen für Moderne Kunst in Italien bezeichnet werden.

Venedig
Was wäre Venedig ohne Karnevalsmasken? – Foto Katharina Büttel

Eine Fahrt auf dem Canal Grande im Vaporetto, dem Wassertaxi, ist eine Offenbarung. Wie durch ein Zoom-Objektiv saugt der Betrachter Gondeln und prunkvolle Palazzi auf. Die Galleria dell’Accademia, das Guggenheim-Museum, das Palasthotel Pisani Gritti leuchten in der Abendsonne wie Ölgemälde von Canaletto – Venedigs berühmten Städtemaler des 18. Jahrhunderts. Einer Fata Morgana gleich erscheint am Ende der Lagune die weiße Kirche Santa Maria della Salute. Dort findet immer Ende November ein wirklich venezianisches Fest statt, die Festa della Salute. Eigentlich wird der Pestepidemie von 1630 gedacht, in Wahrheit aber pilgert jeder Venezianer zur Schwarzen Madonna, um sich, seinem Geschäft und seiner Familie Glück zu wünschen.

Melancholie der Dämmerung – jetzt ist eine Gondelfahrt voller Magie und Zauber. – Foto Katharina Büttel

Zeit für einen Bellini, dem Kultdrink aus Sekt mit Pfirsichmark in „Harry’s Bar“ am Ufer Schiavone. Gegenüber im Zattere-Viertel, wo tags die Wäsche auf der Leine flattert, erklingt in der Gesuati-Kirche Vivaldi, Musik von Venedigs berühmtesten Komponisten (1678-1741). Sein Palast steht nahe der Seufzerbrücke, heute ist er die Nobelherberge Metropole. In den Salons wird seine Zeit wieder lebendig: als die Dogen glanzvolle Feste gaben, Casanova bekanntermaßen die Damen in Atem hielt, die Venezianer Karneval feierten. Der nüchterne Napoleon setzte seinerzeit dem Possenspiel ein Ende, ließ alle Masken verbrennen. Seit den 1970er Jahren jedoch ist der Carnevale wieder lebendig. Das ist der Moment, an dem sich jeder Venezianer wünscht, irgendwo zu sein, nur nicht hier. Wie im Sommer werden die Besucher wieder in den Gassen stecken; die Palazzi, Museen und Gondeln stürmen.

Venedig
Prachtvolles touristisches Herzstück von Venedig ist der Markusplatz.

Noch ist er weit weg: kalter Nebel bedeckt die Serenissima mit einem melancholischen Grauschleier. Die surreale, morbide Atmosphäre aus dem Film „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ wird fast greifbar.

Informationen: Italienische Tourismuszentrale ENIT, 60325 Frankfurt, Tel.: 069-237430, www.enit.de

Anreise: Vom Flughafen Marco Polo sind es mit dem Wassertaxi zwölf Kilometer bis zur Altstadt Venedigs.

City Pass: Sieben Tage ab 74,90 Euro beinhalten kostenlose Nutzung der Verkehrsmittel, freier Eintritt in Museen und Kirchen, Rabatt bei Events, in Restaurants, u.v.m.

Fast ein Canaletto-Blick – Gondeln passieren den Dogenpalast. – Foto Katharina Büttel

Konzerte: Termine der Konzerte in Kirchen und Palästen vor Ort erfragen. Die Prozession „Festa della Salute“ findet vom 21. bis 22. November statt.

Ausstellung: Eine prachtvolle Ausstellung im Dogenpalast feiert bis 22. März 2022 den 1600. Geburtstag Venedigs.

Karneval: 19. Februar bis 1. März 2022

Reiselektüre: Venedig mit travel-App und praktischen Tipps im Michael Müller Verlag, 18,909 Euro