Kultur ohne Grenzen – Breslau stimmt auf das europäische Kulturhauptstadtjahr 2016 ein

im polnischer Breslau laufen die Vorbereitungen auf das Kulturhaupstadt-Jahr 2016 auf Hochtouren.  (Foto Marcin Jasinski)
im polnischer Breslau laufen die Vorbereitungen auf das Kulturhaupstadt-Jahr 2016 auf Hochtouren. (Foto Marcin Jasinski)

Großereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus. So auch das europäische Kulturhauptstadt-Jahr 2016 in Wrocław (Breslau). Schon jetzt herrscht in der niederschlesischen Metropole riesige Vorfreude, während die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen. Um die erwarteten bis zu sechs Millionen Besucher schon jetzt auf das Kulturhauptstadt-Jahr einzustimmen, haben die Organisatoren in Breslau schon jetzt die wichtigste Eckpunkte des ambitionierten Programms vorgestellt:

Beleibter Anlaufpunkt nicht nur für Hochzeitspaare: die Dominsel. (Foto Klaus Klöppel)
Beleibter Anlaufpunkt nicht nur für Hochzeitspaare: die Dominsel. (Foto Klaus Klöppel)

Mit einer gigantischen Performance wird das Kulturhauptstadtjahr am 16. und 17. Januar 2016 offiziell eröffnet. Gemeinsam mit Hunderten von Freiwilligen aus Breslau und ganz Polen inszeniert der britische Performance-Künstler Chris Baldwin das Programm „Przebudzenie“ (Erwachen). In vier verschiedenen Stadtteilen erwachen vier verschiedene Geister zum Leben und machen sich auf den Weg zum Rynek (Altstadtmarkt), dem Zentrum der Metropole. Die überdimensionalen Figuren symbolisieren den Geist der Religionen, der Innovation, des Wiederaufbaus und des Hochwassers. Unterwegs erzählen sie ihre Geschichten und bilden gemeinsam auf dem Marktplatz eine 14 Meter hohe Installation, die als Sinnbild für Vergangenheit und Gegenwart von Wrocław steht.

Weitere Performance-Aktionen von Chris Baldwin stehen zur Halbzeit und als Abschluss des Kulturhauptstadtjahres an. Den Wendepunkt markiert am 11. Juni die Aktion „Flow“ (Fluss), in deren Mittelpunkt die Oder als lebensspendende Wasserader der Stadt steht. Erzählt wird die Geschichte des radikalen Wandels, den die Stadt im 20. Jahrhundert und besonders mit dem fast kompletten Austausch ihrer Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Parks, Brücken und Ufer entlang des Flusses verwandeln sich in Schauplätze für viele Einzelaktionen.

Ein zentrale Rolle im Kulturhaupstadtjahr nimmt der Rynek, der Altstadtmarkt, ein, der seit jeher Veransltaltungsort für eine Vielzahl an Festen ist. (Foto Stadt Breslau)
Ein zentrale Rolle im Kulturhaupstadtjahr nimmt der Rynek, der Altstadtmarkt, ein, der seit jeher Veransltaltungsort für eine Vielzahl an Festen ist. (Foto Stadt Breslau)

So können Besucher beispielsweise auf der Insel Wyspa Słodowa (Vorderbleiche) ihre Wünsche für die Zukunft auf Karten schreiben und in einer Rakete deponieren. Höhepunkt ist das Konzert eines Orchesters tschechischer, deutscher, polnischer und israelischer Musiker auf der Dominsel. Gespielt werden Werke junger Komponisten aus allen vier Ländern.

Eine der Landmarken in Breslau: das Ossolineum. (Foto Klaus Klöppel)
Eine der Landmarken in Breslau: das Ossolineum. (Foto Klaus Klöppel)

Als krönenden Abschluss präsentieren am 17. Dezember 2016 Künstler aus Deutschland, Frankreich, Israel, Tschechien, Schweden und Großbritannien die Performance „Niebo“ (Himmel). Die Inszenierung im UNESCO-Welterbe Hala Stulecia (Jahrhunderthalle) wird die Leitmotive der drei vorangegangenen Performances noch einmal aufnehmen, zu einer Gesamtform zusammenführen und als Zukunftsvision ausbauen. Die Botschaft an diesem Abend lautet: Wrocław gehört als europäische Stadt all denjenigen, die hier leb(t)en und ihre Spuren hinterließen. Den inszenatorischen Rahmen für Niebo bilden das Flow-Orchester aus vier Staaten und ein Massenchor.

Kurz vor der Abschlussveranstaltung findet noch weiteres Highlight des Kulturhauptstadtjahres statt. Am 10. Dezember wird die niederschlesische Hauptstadt zum Schauplatz der Verleihung des 29. Europäischen Filmpreises. Erst im vergangenen Jahr erhielt mit Paweł Pawlikowskis „Ida“ ein polnischer Film die prestigeträchtigste kinematographische Auszeichnung Europas.

Wrocław ist schon seit langem Veranstaltungsort für eine Vielzahl wichtiger Filmfestivals, die 2016 ganz im Zeichen des kulturellen Großereignisses stehen. So findet vom 21. bis 31. Juli 2016 das Independant-Filmfestival Nowe Horyzonty statt, sowie vom 25. bis 30. Oktober das American Film Festival, das US-Streifen abseits von Hollywood-Massenware auf die Leinwand bringt.

Wenig protzig und doch prunkvoll: das Breslauer Königsschloss. (Foto Klaus Klöppel)
Wenig protzig und doch prunkvoll: das Breslauer Königsschloss. (Foto Klaus Klöppel)

Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der nordspanischen Metropole San Sebastián, der zweiten Kulturhauptstadt 2016, präsentiert das Festival Nowe Horyzonty zudem einen Überblick über drei Generationen baskischer Filmemacher.

Eine Brücke in die Stadt an der iberischen Atlantikküste schlägt auch das musikalische Event „Tamborrada“ am 20. Januar 2016. Am Tag des Heiligen Sebastian werden sich zahlreiche Breslauer nach baskischem Vorbild als Köche, Wasserträgerinnen oder Soldaten aus der Zeit Napoleons verkleiden und trommelnd durch die Straßen der Stadt ziehen. Damit wird das musikalische Jahr eröffnet, dessen Bandbreite weit gefächert ist. Zu den Höhepunkten zählen so renommierte Festivals wie Jazz nad Odrą im Mai, die Wratislavia Cantans im September sowie Jazztopad, das One Love Sound Fest und das Wrocław Industrial Festival im November.

Imposanter Kuppelbau: die Jahrhunderthalle in Breslau. (Foto S. Klimek)
Imposanter Kuppelbau: die Jahrhunderthalle in Breslau. (Foto S. Klimek)

Insgesamt 54 verschiedene Ereignisse umfasst die Sparte „Musik“ im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres und ist damit die größte der insgesamt acht Kategorien, in die das Veranstaltungsprogramm unterteilt wurde. Zu den Events zählen neben Musikfestivals auch Veranstaltungen wie die Konferenz der European Festival Association, das Chortreffen „Singing Europe“, das am 23. und 30. Juli sowie am 6. August 2016 im Nationalen Musikforum stattfinden wird, oder das Europäische Forum der Musiktherapeuten, das vom 1. bis 3. Dezember geplant ist.

Passend zum Kulturhaupstadt-Jahr geben sich in Breslau sogar Zwerge äußerst belesen. (Foto Klaus Klöppel)
Passend zum Kulturhaupstadt-Jahr geben sich in Breslau sogar Zwerge äußerst belesen. (Foto Klaus Klöppel)

Das ganze Jahr über laden zudem zahlreiche Workshops zum Mitmachen ein. Eine wichtige Rolle im Kulturhauptstadtjahr spielt das neu erbaute Nationale Musikforum, das modernste Konzerthaus des Landes. Dort wird unter anderem am 18. Februar das Nationale Symphonieorchester aus Washington gemeinsam mit dem chinesischen Star-Pianisten Lang Lang auftreten. Jazzmusik wird am 30. April, dem Welttag des Jazz, an vielen Stellen der Stadt erklingen, bevor am 1. Mai wieder Tausende Gitarrenspieler auf dem Rynek ihrem Idol Jimi Hendrix huldigen und gemeinsam „Hey Joe“ anstimmen. Zu den Weltstars, die in Breslau erwartet werden, gehört Pink Floyd-Gitarrist David Gilmour, der gemeinsam mit dem polnischen Jazzpianisten Leszek Możdżer am 25. Juni ein Konzert auf dem Breslauer Marktplatz geben wird.

Musik und Theater verbindet die Breslauer Oper. Unter der Leitung von Ewa Michnik ist sie seit Mitte der 1990er Jahre mit ihren Mega-Inszenierungen weit über die polnischen Grenzen hinaus bekanntgeworden. Auch zum Kulturhauptstadtjahr plant sie eine gigantische Aufführung. Über 500 Künstlerinnen und Künstler werden am 18. Juni vor einem mehrere zehntausend Zuschauer zählenden Publikum im neuen Breslauer Stadion eine Interpretation von Georges Bizets Carmen auf die Bühne bringen.

Die „Spanische Nacht mit Carmen – Zarzuela“ schlägt als weitere Veranstaltung einen Bogen an die baskische Küste. Im fulminanten zweiten Akt erwartet die Besucher eine 45-minütige Darbietung der schönsten Lieder der Zarzuela, des klassischen spanischen Musiktheaters. Verantwortlich zeichnen Waldemar Zawodziński aus Wrocław und der Spanier Ignacio García. Mit von der Partie sind zudem Künstler aus Madrid und San Sebastián.

Ein echter Hingucker: die Skulptur "Der Übergang" von Jerzy Kalina. (Foto Klaus Klöppel)
Ein echter Hingucker: die Skulptur „Der Übergang“ von Jerzy Kalina. (Foto Klaus Klöppel)

Wrocław ist aber auch auf andere Weise mit bedeutender Bühnenkunst verbunden. Dort befand sich das Teatr 13 Rzędów, das Theater der 13 Reihen von Jerzy Grotowski. Der Ausnahmeregisseur revolutionierte mit seiner anspruchsvollen Methode in den 1960er und 70er Jahren die Theaterszene weltweit. Seine körperbetonte Arbeit spiegelt sich in zahlreichen Veranstaltungen wider, so im Workshop BodyConstitution des Grotowski-Institutes, der im April stattfinden wird, oder im Festival Cyrkulacje von April bis Mai.

Den Höhepunkt des Theaterangebotes stellt die Internationale Theaterolympiade vom 14. Oktober bis 14. November dar. Ganz im Geiste Grotowskis lautet das Motto der siebten Ausgabe des Theaterfestivals ?Die Welt als Ort der Wahrheit“ und zeigt bedeutende Produktionen zeitgenössischer Theatermacher aus aller Welt.

Wichtiger Verkehrsknotenpunkt: der Hauptbahnhof von Breslau. (Foto Klaus Klöppel)
Wichtiger Verkehrsknotenpunkt: der Hauptbahnhof von Breslau. (Foto Klaus Klöppel)

Großen Raum nehmen die Veranstaltungen und Projekte aus dem Bereich Visuelle Künste ein. Sie widmen sich deutschen Künstlern, die das alte Breslau ausmachten, polnischen Künstlern, die ihre Heimatstadt Lwów (Lviv) nach 1945 mit Wrocław tauschen mussten sowie zeitgenössischen Künstlern aus der Odermetropole. Geplant ist unter anderem eine große Ausstellung im Herbst unter dem Titel „Wrocławska Europa“, die sich der kulturellen Vielfalt in Breslau und Schlesien im 16. und 17. Jahrhundert widmen wird.

Erinnert wird dabei insbesondere an den schlesischen Maler Bartholomäus Strobel. Arbeiten des weltberühmten baskischen Bildhauers Eduardo Chillida sind vom 15. Januar bis 13. März in der Galerie Awangarda zu sehen. Das Dresdener Kulturfestival Ostrade macht 2016 einen Ausflug in die Partnerstadt Breslau und präsentiert dort im Juni und Juli zeitgenössische Kunst aus Deutschland. Eine Besonderheit ist das Format ?Szkło Około – Glas rundherum“, das sich mit mehreren Veranstaltungen der Glaskunst widmet, die in Niederschlesien auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken kann.

Breslau aus der Vogelperspektive - festghalten im Bild von Marcin Jasinski.
Breslau aus der Vogelperspektive – festghalten im Bild von Marcin Jasinski.

Zu den Programmpunkten gehört das Europäische Glasfestival „Play with glass“ im Oktober 2016.
Wrocław verwandelt sich vom 23. April 2016 bis zum 22. April 2017 in ein Mekka für Bücherliebhaber. Für diesen Zeitraum trägt die Metropole zusätzlich den Titel „UNESCO-Welthauptstadt des Buches“. Den Auftakt bildet die Eröffnung des neuen Pan Tadeusz-Museums. Es ist dem berühmtesten polnischen Versepos aus der Feder des romantischen Nationaldichters Adam Mickiewicz gewidmet, dessen Original im Breslauer Ossolineum aufbewahrt wird. Bis zum Ende des Bücherjahres finden zahlreiche Festivals, Symposien, Workshops und Lesungen statt.

Die verschiedenen Aktionen im Programmbereich Architektur wollen eine Brücke schlagen zwischen der historischen schlesischen Hauptstadt, dem modernen Bauen im frühen 20. Jahrhundert und der Gegenwart. Im Zentrum steht das Erbe des Werkbundes. Das Projekt WuWa2 knüpft an die große Werkbundausstellung Wohnung und Werkraum (WuWa) im Jahr 1929 an. In der unweit der Jahrhunderthalle gelegenen WuWa-Siedlung setzten verschiedene Architekten damals ihre Vision des modernen funktionalistischen Bauens um. Zu den bekanntesten Bauwerken gehört das Ledigenheim von Haus Scharoun. Die Siedlung, deren Gesicht sich im Laufe der Jahrzehnte verändert hat, soll nun im historischen Stil erneuert und für Besucher besser erschlossen werden.

Schon jetzt gibt sich der Rynek während der Sommermonate in Feierlaune. (Foto Stadt Breslau)
Schon jetzt gibt sich der Rynek während der Sommermonate in Feierlaune. (Foto Stadt Breslau)

Zugleich will Breslau ein neues Kapitel Baugeschichte schreiben und stellt dafür erneut die Frage, wie modernes Bauen in der heutigen Zeit aussehen kann. Die Siedlung Nowe Żerniki soll nachhaltig und ökologisch entstehen, Antworten auf die Entwicklung der Gesellschaft, den demografischen Wandel und neue Formen des Zusammenlebens geben. Insgesamt 44 Architekturbüros aus dem ganzen Land haben ein Jahr lang intensiv an einem Masterplan gearbeitet, erste internationale Wettbewerbe wurden bereits initiiert. Anders als bei manchen anderen Bauprojekten soll die erforderliche Infrastruktur bereits vorhanden sein, wenn die ersten Wohnungen bezogen werden. Etwa 10.000 Einwohner sollen am Ende Platz in Nowe Żerniki finden.

Informationen zum Kulturhauptstadtjahr gibt es in englischer Sprache auf der Website www.wroclaw2016.pl, außerdem unter www.wroclaw.pl auch auf Deutsch. Die legendäre Bar Barbara in der Straße ul. Świdnicka 8 wurde 20 Jahre nach ihrer Schließung wiederbelebt und fungiert nun als Kultur- und Informationszentrum Barbara. Dort können sich Besucher über das Programm des Kulturhauptstadtjahres informieren und Gerichte aus regionalen Produkten genießen. Weitere Informationen auch unter www.polen.travel.

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