Inside Bern – Genuss mit Glockenschlag

Bern
Wahrzeichen der Schweizer Hauptstadt Bern: Das als Zytglogge bekannte Stadttor.

Der „Zytglogge“ ist eines der bekanntesten Wahrzeichen von Bern. Im Mittelalter einst Stadttor der Schweizer Hauptstadt, ist der „Zytglogge“ mit astronomischer Kalenderuhr und Glockenspiel heute eine Touristenattraktion. Das stündliche Glockenspiel ist einzigartig und dementsprechend regelmäßig Anziehungspunkt für viele Schaulustige. Ein Hahn kräht, Bären tanzen, ein Narr läutet, Chronos, der Gott der Zeit, dreht seine Sanduhr und eine goldenen Figur schlägt die Stundenglocke. Die Meisten bewundern das stündliche Ereignis nur von außen. Wir aber wollen wissen, was steckt dahinter, wie funktioniert das? Wie sieht es drinnen aus im „Zytglogge“?

Bern
Das berühmte Glockenspiel des „Zytglogge“. – Foto: Bern Welcome

Dafür haben wir uns mit Stadtführerin Ursula Arregger verabredet. Mit geheimnisvoller Miene führt sie uns zur massiven Eingangstür des Turms. Diese ist verschlossen – aber nicht für uns. Mit einem Lächeln kramt sie einen Schlüssel hervor. „Privileg für Stadtführer“, schmunzelt sie. Wir steigen die Stufen hinauf, vorbei an dicken Steinmauern und massivem Holzgebälk, bis wir die Uhrwerkkammer erreichen. Hier schlägt das Herz des „Zytgloggen“ – ein einzigartiges, komplexes und mächtiges Uhrwerk, das alle Fäden des Glockenspiels und Astrolabiums in der Hand hält. Es ist die größte und älteste Räderuhr der Welt, ein Uhrwerk der Superlative, das bis heute tadellos funktioniert.

Größte Räderuhr der Welt

Bern
Das 149 Kilo schwere Pendel schlägt unaufhörlich.. – Foto Peer Völz

Stadtführerin Ursula Arregger erzählt uns die Geschichte der Uhr: „Der deutsche Waffenschlosser Kaspar Brunner aus Nürnberg kam 1525 nach Bern Er hatte nur zwei Werkzeuge, einen Hammer und eine Zange. Er sollte ein neues Uhrwerk für die Uhr anfertigen. Er hatte keine Pläne, keine Rechenmaschinen und muss ein unglaublicher Mathematiker gewesen sein. Er hat von 1527 bis 1530 das gemacht, was hier heute noch steht. Das 149 Kilo schwere Pendel kam später gegen Ende des 17. Jahrhunderts dazu.“ Das Tack-Tack des Pendels ist während ihres Vortags dauerpräsent, so als wolle es seine Wichtigkeit damit unterstreichen.

Die größte und älteste Räderuhr der Welt im „Zytglogge“. – Foto Peer Völz

Staunend und sprachlos stehen wir vor dem riesigen Uhrwerk, ein Meisterwerk seiner Zeit, eine unglaubliche Leistung auch heute noch. Kein Wunder, dass auch Einstein öfters hier war, um sich inspirieren zu lassen. Live und vor Ort erleben wir dann in der Uhrwerkkammer den kompletten Ablauf des stündlichen Glockenspiels mit Hahnenschrei und Narrenläuten im Innern des „Zytglogge“. Dabei rattert, zischt, zurrt und klingt es überall. Das Uhrwerk und seine Mechanik scheinen zum Leben erweckt worden zu sein. Das ist der Höhepunkt und Abschluss unseres „Zytgloggen“-Besuchs. Unsere Stadtführerin verabschiedet sich, nicht ohne uns darauf hinzuweisen, dass der Berner Bäcker Patrik Bohnenblust seinen Weihnachtstollen im „Zytglogge“-Turm reifen lässt. Ein Grund für uns, den Berner Brotsommelier kennenzulernen.

Besonderes Brot beim Brotsommelier

Versteckt unter den Arkaden der Berner Altstadt: das „Bread à porter“. – Foto: Bread à porter

Das Tack-Tack des „Zytglogge“-Pendels noch im Ohr, treffen wir Patrik Bohneblust in seiner Bäckerei und Konditorei „Bread á porter“ in der Berner Altstadt. Wir fragen ihn als erstes, was es mit dem „Zytglogge“-Christstollen auf sich hat. „Ich wollte etwas kreieren, wo 100 Prozent Bern drin steckt, ganz nach dem Motto von Bern, in Bern, für Bern. Der Zytglogge ist für mich das Berner Wahrzeichen schlechthin. Ich kam daher auf die Idee, meine Christstollen in der Uhrwerkkammer vom Zytglogge reifen zu lassen, gleich in der Nische direkt neben dem riesigen Pendel.“ Das ist aber nicht seine einzige originelle Idee. Der geprüfte Brotsommelier hat zusätzlich zum klassischen Brotrepertoire ausgefallene, wohlschmeckende Brotsorten erdacht, die nur bei ihm im „Bread à porter“ erhältlich sind. “Ligu Lehm“, „Bsezi“ oder „Chueflade“ zum Beispiel. Oder auch den „Scharfen Bärner“. „Der ist besonders bei Frauen beliebt“, meint er lakonisch.

Patrik Bohnenblust, nicht mit einem „Scharfen Bärner“, sondern mit einer Dinkel-Gourmetstange. – Foto: Peer Völz

Zur Brotherstellung verwendet er keinerlei Zusatz- oder Konservierungsstoffe. Backmittel ist bei ihm ebenso verpönt wie Mehlpulver. Brotgewürze und Blätterteigfett werden ebenfalls nicht verwendet. Mehl, Butter, Milch, das sind seine Rohstoffe. „Die Güte der Rohstoffe ist auch wichtig für die Haltbarkeit und Frische,“ so Bohnenblust. „Unsere Christstollen z.B. bleiben monatelang haltbar, ohne irgendwelchen Konservierungs- oder Zusatzstoffe.“ Das Mehl bezieht er direkt vom Müller, die Butter direkt von der Käserei, alles aus der Nähe. Und woher kommt die Milch? „Vom Bauern aus der Region. Ich kenne die Kühe nicht persönlich, kann aber auf Nachfrage ihre Namen organisieren.“ Bohnenblust hat einen trockenen Humor.

Der Berner Brotsommelier

Bern
Der „Zytglogge“ – im „Bread à porter“ omnipräsent. – Foto: Peer Völz

Patrick Bohnenblust ist ein Missionar des Brotes, möchte, dass man dem Brot die nötige Achtung und Aufmerksamkeit erweist. „Aufklärungsarbeit für gutes Brot tut Not. Man kennt ja nur noch den chemischen Geschmack, die natürlichen Geschmacksaromen von Brot ist man gar nicht mehr gewohnt.“ Blumig beschreibt der Brotsommelier seine Brotkreation „Chueflade“: „Außen mit mehliger Kruste stark gebacken. Innen fruchtig und russiger Geschmack in der feuchten Krume. Schmeckt nach Feuer im Wald mit trockenem Holz. Man wähnt sich zum Besuch auf einem Bauernhof, wo es nach Laubbäumen und getrockneten Blumenfeldern riecht und der Holzofen eingefeuert wird.“

Bern
Der „Chueflade“, nur eine von vielen Brotspezialitäten im „Bread à porter“. – Foto: Bread à porter

Keine Frage, da bekommt man Lust auf’s Probieren. In seiner offenen Bäckerei bereiten Bohnenblust und sein Team immer nachmittags den Teig für seine Brote vor. „Der reift dann vom Nachmittag bis zum nächsten Morgen, wird dann gebacken und kommt frisch zur Ladentheke. Frischer geht es nicht. Was ausverkauft ist, ist ausverkauft, nachgebacken wird nicht. Man muss sich bis zum nächsten Tag gedulden.“ Wir nicht.

Seltenes aus der Literatur

Bern
Ein Blick ins Robert-Walser-Zentrum. – Foto: Peer Völz

Für den literarisch interessierten Bernbesucher ist das „Robert-Walser-Zentrum“ so etwas wie ein Geheimtipp. Dieser lange Zeit zu Unrecht unterschätzte schweizerische Schriftsteller erfährt in den letzten Jahren immer mehr an Wertschätzung. Die Stadt Bern hat seiner Bedeutung gemäß ein Walser-Forschungszentrum eingerichtet. Für Literaturinteressierte und Walserfans lohnt ein Besuch dort. Mit dessen Leiter Reto Sorg haben wir uns im „Robert-Walser-Zentrum“ verabredet.

Bern
Die Ausstellung „Carl Seeligs Wanderungen mit Robert Walser“. – Foto: Peer Völz

„Wir sind schon ein Forschungszentrum, aber wir sind auch offen für Besucher, die interessiert sind an Robert Walser. Mittwoch- Donnerstag- und Freitagnachmittag kann jedermann ohne Anmeldung vorbeikommen.“ erklärt uns Reto Sorg. „Unsere kleine permanente Ausstellung zum Beispiel ist für jedermann attraktiv. Da geht es um das Buch von Carl Seelig, „Wanderungen mit Robert Walser„. Das Gebiet, das Walser zusammen mit Selig begangen hat, ist in einem Modell festgehalten. Es ist voller fotografischer Details, hier oben ist z.B. die Stelle, wo Walser gestorben ist.“ Gearbeitet wurde mit den Medien des Reliefs und der Fotografie. Dabei geht die hohe optische Präzision zu Lasten der räumlichen Orientierung. Die Stärken und Schwächen des Modells sollen auch anspielen auf das Buch von Seelig über Walser, das einerseits viele Stärken, aber auch Lücken hat und subjektive Interessen verfolgt.

Fundgrube für literarische Interessierte

Seltene Widmungsexemplare von Robert Walser von 1907,1908 und 1909. – Foto: Peer Völz

Die Gebrauchsbibliothek des Forschungszentrums enthält Bücher über und von Walser. Darunter seltene Forschungsliteratur zum Autor, die nicht überall zugänglich ist. Und neue und gebrauchte Bücher zu Walser zum Verkauf, etwa so wie in einem Museumsshop. Besonders hervorzuheben: Das Archiv des Robert-Walser-Zentrums beherbergt seltene Widmungsexemplare von 1907/1908 und 1909, die Walser signiert hat. Gut erhaltene Erstausgaben seiner Werke sind dort ebenfalls aufgehoben. Bei Führungen und speziellem individuellem Interesse werden diese Raritäten Besuchern gerne zugänglich gemacht.

Zahlreich sind die Craftbiersorten in der „Barbière. – Foto: Barbière

Wir sind überrascht: Kölsch gibt es auch im diesem Berner Szenelokal, aber es schmeckt doch etwas anders als das beliebte Bier aus dem Rheinland. Ein „Craft-Kölsch“, sozusagen. Ehemals Apotheke und jetzt Mikrobrauerei und Lokal in einem, gibt es in der „Barbière“ bis zu zwölf verschiedene hausgebraute, ausschließlich obergärige Biersorten „on tap“. Warum nur obergärige Sorten, fragen wir Geschäftsführer Andreas Bart. „Unsere Brauer lieben die hopfigen Biere, die stärkeren Biere. Obergärig ist auch viel authentischer. Früher konnte man nur obergärig brauen, Kühlzellen gab es damals nicht.“

Außergewöhliche Biere in der „Barbière“

Geschäftsführer Andreas Bart bei der Arbeit in der „Barbière. – Foto: Peer Völz

Viele junge Leute tummeln sich in der „Barbière, die auch eine reichliche Auswahl an Pub Food anbietet. Das Lokal ist ein hipper Treff, trendy, mit modernem Touch, hat sich aber trotzdem noch uriges Kneipenfeeling bewahrt, so unser Eindruck. Und die Biervielfalt ist einmalig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn: „Alle unsere Biere sind Unikate und nur hier bei uns erhältlich. Die Biersorten wechseln immer wieder. Wenn ein Fass leer ist, ist es leer. Die gleiche Sorte gibt es ganz genauso nicht mehr“, so Geschäftsführer Andreas Bart.

Bern
Nur hochwertige Materialien werden zum Bierbrauen verwendet. – Foto: Barbière

Im Bierangebot finden sich Raritäten wie das „Tiger Cherry Wood“, das ein Jahr in gebrauchten Eichenfässern gelagert wird und das ins Weinglas gehört. Besonders ausgefallen: einmal im Jahr gibt es ein „Oyster Stout“, für das frische Austern im Biersud ausgekocht werden. „Alle Rezepturen sind von unseren Brauern selbst gemacht, nichts kopiert, nichts irgendwo abgeschaut“, versichert uns Andreas Bart. „Der Geschmack unserer Biere kommt fast ausschließlich vom Hopfen. Und den beziehen wir aus der ganzen Welt.“ Unser Gesprächspartner Andreas Bart ist außerdem auch noch Biersommelier. Kann er uns eine besondere Bierrarität der „Barbière“ empfehlen? „Das Kveik IPA mit Hefe aus Norwegen, vergärt bei 36 Grad Celsius, das findest du nirgendwo sonst.“ Genau das wollen wir jetzt probieren. Keine Frage, eine solche, spezielle Mikrobrauerei ist mehr als einen Besuch wert.

Die alte Werkstatt der Messerschmiede

Ausgefallen und umfangreich ist die Auswahl der ausgestellten historischen Schmiedeprodukte. – Foto: Peer Völz

Von Bern aus lohnt ein Ausflug ins nahe Burgdorf. Dort gibt es seit gut einem Jahr ein kleines privates, auf eigene Initiative betriebenes Museum, das man nicht alle Tage findet. Anlässlich ihres 175-jährigen Firmenjubiläums als Messerschmiede hat die Familie Klötzli in den alten Räumlichkeiten der „Klötzli Messerschmiede“ in Burgdorf, in denen fünf Generationen der Familie lebten und arbeiteten, ein Handwerksmuseum eingerichtet. Die original erhaltene Werkstatt ist jetzt Teil eines Mietshauses und zeigt auf sehr spezielle und persönliche Weise das faszinierende Handwerk der Messerschmiederei und seiner Entwicklung in den letzten 140 Jahren.

Museumseigner Samuel Klötzli demonstriert das Messerschmieden. – Foto: Peer Völz

Wir treffen Samuel Klötzli. Messerschmied der sechsten Klötzli-Generation. Gemeinsam mit seiner Schwester kam er während der Komplettsanierung des alten Handwerkerhauses auf die Idee, die alte Werkstatt in ihrem Zustand zu belassen und getrennt von den vermieteten Wohnungen als kleines Museum einzurichten. Er führt uns durch sein familiäres Museumsreich, das sich hinter einer ganz normalen Haustür verbirgt. „Die Werkstatt wurde 1880 am Mühlenbach gebaut. Die Maschinen sind nicht mehr da, aber alle Werkzeuge und Kleinmaterialien. Wir haben uns gedacht, viel zu schade, das alles einfach wegzuwerfen. All die Werkzeuge aus mehr als 100 Jahren zum Schmieden, Feilen Schleifen, Polieren und Abziehen.“

Vielfalt der Schmiedekunst

Historische Messer handgeschmiedet, in jeder Größenordnung. – Foto: Peer Völz

Wahnsinnig viele Details zum Schmiedehandwerk finden sich in dem kleinen Museum. „Enorm beeindruckend“, so Klötzli, „sind auch die wunderschönen Produkte, die sie handgeschmiedet haben und alles ganz ohne Strom.“ Was da nicht alles ausgestellt ist: Kleinode wie ein Medizinermesser mit Korkenzieher für die Medizinflaschen oder Feuerschlagmesser mit einem Feuerschlagrücken zum Feuermachen, Rasiermesser, die aussehen wie Mordinstrumente. Aber nicht nur Messer, sondern auch Radierer für Tinte, Viehpflegeinstrumente wie Kuhstecher, sogar Druckklischees für Kataloge aus den 1920er Jahren aus Metall, alles handgefertigt. Ein Besuch hier ist eine sehr individuelle Zeitreise durch die Kunst des Schmiedehandwerks. Äußerst ausgefallen!

Regionales im Stadtcafe

Unerreicht: der Hackbraten aus Bio-Fleisch vom legendären „Hähni“. – Foto Peer Völz

Ist man in Burgdorf auf Museumsbesuch, kann man sich anschließend im Restaurant „Stadtcafé“ des Hotels „Stadthaus Burgdorf“ in gemütlicher und ungezwungener Atmosphäre stärken. Im rustikalen „Stadtcafé“ treffen sich Einheimische und auswärtige Gäste, um herzhafte regionale Spezialitäten zu genießen. So den saftigen „Hähni’s Hackbraten“ aus Bio-Fleisch aus der Traditionsmetzgerei Hähni aus Halse-Ruegsau unweit von Burgdorf. Absolut empfehlenswert!