
Noch nicht einmal Abend und es dämmert schon. Nebel wabert über die Straße und zwischen den dunkelgrünen Tannen meint man unheimliche Schatten vorüberhuschen zu sehen. Eine unheimliche Atmosphäre. Langsam verstehe ich den Mythos um die Harzhexen. Ich bin mit meiner Familie im Auto unterwegs in Richtung Oberharz. Nicht einmal drei Fahrstunden von Hamburg entfernt, lockt uns Flachländer eine authentische Bergwildnis hierher. Und auch die Besucher der Internetseite der Heinz Sielmann Stiftung befanden erst kürzlich den Harz als „Deutschlands schönstes Naturwunder“. Davon bin ich zunächst nicht überzeugt.
Doch schon eine halbe Stunde später bei unserer Ankunft in St. Andreasberg, zeigt sich der Harz von seiner schönsten Seite: auf dem sonnigen Hochplateau taucht die untergehende Sonne die Baumwipfel in goldenes Abendlicht. Und das vorherige Gruselszenario ist quasi weggehext.

St. Andreasberg liegt direkt am Nationalpark Harz, umgeben von saftigen Bergwiesen, und so machen wir uns am nächsten Tag gleich auf in die Natur. Ein Zehntel des Harzes gehört zum Nationalpark Harz, der 2006 gegründet wurde. Im dortigen Parkhaus verschaffen wir uns zunächst einen Überblick über mögliche Aktivitäten. Dazu gehört Ferdinand Fichte, der in einem Hörspiel kindgerecht seinen Einzug in den Harz erklärt: Als die Buchen, die ursprünglich in dichten Mischwäldern wuchsen, zu großen Teilen dem Holzhunger von Bergbau und wachsender Bevölkerung zum Opfer fielen, nahmen Ferdinand und seine Artgenossen ihren Platz als schnellwachsender Rohstoff ein.
Eine anfällige Fichten-Monokultur entstand. Auch Stauseen und Stollen zeugen noch davon, dass der Harz einst eine Kulturlandschaft des Bergbaus war. Aus diesen Fehlern hat man mittlerweile gelernt, und so besteht die Hauptaufgabe des Nationalparks darin, die natürlichen Prozesse zu schützen, damit sich die Natur ungestört vom Menschen entwickeln kann. Die nächsten zehn Jahre sollen drei Viertel des Harzer Nationalparks sich selbst überlassen werden und so nach und nach wieder ein ursprünglicher Urwald entstehen.

Auch der Luchs profitiert von diesen Vorsätzen. Seit über zehn Jahren ist die scheue Raubkatze mit den Pinselohren wieder im Harz beheimatet – nachdem der Europäische Luchs vor fast 200 Jahre ausgerottet worden war. Da es kaum wahrscheinlich ist, beim Spaziergang auf einen Luchs zu treffen, lohnt ein Besuch im Schaugehege Rabenklippe. Neben dem Luchs sind noch andere seltene Tierarten in der Harzer Wildnis zu Haus, darunter Auerhuhn, Schwarzstorch und Wildkatze. Engagierte Naturschützer hoffen sogar , dass auch der Wolf eines Tages in den Harz zurückkehrt.
Genug der Theorie. Ein gut ausgebautes Wandernetz führt durch Wälder und Hochmoore. Vom Wandermuffel bis zum Profi kommt hier jeder auf seine Kosten, sogar FKK-Wandern ist in Planung. Für den Anfang bietet der nur wenige Kilometer von St. Andreasberg entfernte Oderteich gutes Terrain, da kaum Steigungen zu überwinden sind. Der Oderteich ist die älteste Talsperre Deutschlands und Teil des Kulturdenkmals Wasserwirtschaft. Riesige Felsbrocken säumen sein Ufer, im dunklen Wasser spiegelt sich der ursprüngliche Fichtenwald.

Die Luft ist sensationell klar. Es riecht nach Waldboden und Baumharz. Wir wandern vorbei an den ältesten Fichten im Harz, deren Alter auf etwa 300 Jahre geschätzt wird. Und je tiefer man in diesen Wald vordringt, desto mehr entwickelte sich das Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen. Die urwüchsige Natur weckt viele Stimmungen, Worte wie „verwunschen“ und „mystisch“ kommen in den Sinn.
Auf Bohlenstegen geht es weiter. Unter unseren Füßen murmelt das Wasser, plätschern hier und da kleine Bäche. Dann taucht ein Waldstück mit morschen und umgekippten Baumstämmen auf. Toter Wald würde der Laie wohl dazu sagen. Doch das Gegenteil ist der Fall, denn dieses Waldstück erlebt gerade eine Verwandlung: Stauwasser lässt Baume absterben und Moore entstehen. Und das ist keine Hexerei, sondern ein Zeichen dafür, dass die Natur hier Natur sein darf.

Um die komplexen Vorgänge im Wald besser zu verstehen, macht eine geführte Wanderung unter Leitung von Nationalpark-Rangern Sinn. Sie weihen Besucher nicht nur in die kleinen und großen Geheimnisse ein, die Mutter Natur so sorgsam hütet, sondern wecken auch gleichzeitig Verständnis für und Respekt vor dem Wald und seinen Bewohnern. Von der Bewunderung für die Schönheit der Gebirgswelt ganz zu schweigen.

Nach dem Kinderspiel „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ machen die Ranger auf Details aufmerksam, an denen ein Spaziergänger sonst vielleicht achtlos vorübergehen würde. Wie am Sonnentau: Das unscheinbare Gewächs entpuppt sich als gefährlicher Jäger! Lauert es doch in Mooren Fliegen auf, die ihm die nötigen Nährstoffe für das Wachstum liefern, die der nährstoffarme Moorboden nicht hergibt. Eine der schönsten Moorlandschaften befindet sich in Torfhaus, und die Wanderung rund um das Torfhausmoor ist mit einer Strecke von rund vier Kilometern auch für Gelegenheitswanderer ohne größere Anstrengung zu bewältigen.
Der Harz ist aber mehr als einer der größten Waldnationalparks Deutschlands. Karstige Klippen durchschneiden mancherorts die Wälder und schaffen eine abwechslungsreiche Bergwildnis. Auch Kultur und Unterhaltung kommen nicht zu kurz. Die Städte Goslar und Quedlinburg sind UNESCO-Weltkulturerbe, Stolberg mit seinem Schloss und den alten Fachwerkhäusern trägt das Prädikat „Historische Europastadt“. In Braunlage kommen Action-Begeisterte auf ihre Kosten. Während die Stadt mit Souvenirläden und zahlreichen plüschigen Cafés lockt, ruft der Hausberg mit Attraktionen wie einem Mountain-Bike Trail oder den Monsterrollern mit denen man den Wurmberg runterdüsen kann, vor allem ein jüngeres Publikum. Hüttengaudi wie in den Alpen rundet das Angebot ab.

Das geografische und touristische Highlight ist aber der rund 1.140 Meter hohe Brocken. Um auf den Gipfel des sagen-umwobenen Berges zu kommen, ist schon etwas Kondition für den acht Kilometer langen Aufstieg ab Torfhaus auf dem Goetheweg nötig. Wer es bequemer mag, fährt mit der dampfgetriebenen Brockenbahn. Wir entscheiden uns für Letzteres. Rauchend und schnaufend schiebt sich die Bahn den Berg hinauf, vorbei an Wäldern und steilen Hängen, bis schließlich das karge Gipfelplateau erreicht ist.
Von dort bietet sich bei gutem Wetter einen großartigen Blick über die norddeutsche Tiefebene. Meist zeigt sich der Brocken allerdings von seiner nordischen Seite mit heftigen Winden. Nach einer Stunde Aufenthalt und einem in der Brockenwirtschaft verspeisten Windbeutel, der seinem Namen hier alle Ehre macht, treten wir gut durchgepustet den Rückweg an. Zur großen Enttäuschung unserer Kinder ohne auch nur einer Hexe begegnet zu sein.
Am letzten Tag unseres Urlaubs stimmen wir diplomatisch ab: Wanderung oder Action. Das Ergebnis lautet vier zu null für die Wanderung. Ein eindeutiger Sieg für die Natur, aber das ist hier ja auch kein Wunder …

Informationen: Harzer Tourismusverband, Marktstr. 45, 38640 Goslar, Telefon. 05321-34040, www.harzinfo.de.
Beste Reisezeit: Ganzjährig. Das Klima ist eher ozeanisch geprägt, relativ regenreich. Im Sommer ist es eher feuchtwarm, im Winter auch extrem kalt, also reich an Frost und Schnee.
Gesundheit: Bad Gandersheim, Bad Grund, Bad Harzburg, Bad Suderode und Blankenburg haben Heilbadstatus. Bad Suderode hat mit dem Behringer Brunnen eine der stärksten Calcium-Solequelle Europas. Hasselfelde und Alexisbad sind anerkannte Luftkurorte. Bad Grund bietet Asthmatikern und Allergikern eine Höhlentherapie im Eisensteinstollen.
Essen & Trinken: Wild wie Rehrücken, Wildschwein, Hirschbraten mit Preiselbeeren und natürlich Käse gehören zu den typischen Spezialitäten. Beliebt sind auch Braunkohl mit Brägenwurst (mit Schweinefleisch gegarter Grünkohl, zu dem Kartoffeln und Wust gereicht werden), Halberstädter Würstchen (aus der Dose), Schlachteplatte mit Leber- und Rotwurst, Hack und Sülze vom frisch geschlachteten Schwein und Schmandkuchen (aus Hefe und saurer Sahne) frisch vom Blech. Zum deftigen Essen werden Harzer Korn oder Kräuterlikör getrunken.

Restaurants: Gaststube „Zur Tanne“ in Braunlage (Herzog-Wilhelm-Straße 8) mit mediterranem Flair und über 100 Weinsorten, die ebenfalls mediterranen Touch haben; im „Henry‘s“ im Kaiserringhaus in Goslar (Markt 6) serviert man Regionales und Internationales in historischem Ambiente.
Sehenswert: Brocken, der höchste Berg im Harz (ca. 1.140 m über dem Meeresspiegel); ehemaliges Erzbergwerk Rammelsberg (UNESCO-Weltkulturerbe) mit einem der ältesten und am besten erhaltenen Stollen (12. Jh.), dem ältesten gemauerten Grubenraum Europas („Feuergezäher Gewölbe“); Tropfsteinhöhlen Baumannshöhle und Hermannshöhle (bei Rübeland); Hexentanzplatz mit herrlichem Blick in das nördliche Harzvorland (Tipp: statt mit dem Auto den überfüllten Parkplatz anzusteuern, lieber mit der Seilbahn hinauffahren); Altstadt von Goslar mit ihren Fachwerkhäusern; Schloss Wernigerode, das „Neuschwanstein“ des Nordens; Kyffhäuser-Denkmal mit Berg, Barbarossas Burg und Riesendenkmal für Kaiser Wilhelm mit grandioser Aussicht von Süden bis zur Brockenkuppe; Deutschlands größte Holzkirche in der Bergbaustadt Clausthal-Zellerfeld.
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