Hadrianswall – römische Geschichte erwandern

Hadrainswall
Immer am 2.000 Jahre alten Hadrianswall entlang führt einer der schönsten Wanderwege der britischen Inseln. – Foto Karsten-Thilo Raab

Auf eine Großbritannien-Karte schauen und mit dem Finger zeigen können: Da sind wir lang gewandert. Hier, auf der Höhe von Newcastle-upon-Tyne und Carlisle haben wir das britische Eiland am Hadrianswall entlang einmal komplett von der Ost- zur Westküste durch-quert – das klang reizvoll. Dass man nebenher noch auf den Spuren des großen römischen Kaisers Hadrian wandeln würde, und dass uns sein Lebenswerk, ein 117 Kilometer langer, knapp 2.000 Jahre alter Verteidigungswall auf Schritt und Tritt begleiten würde, das sprach außerdem noch für diese überaus spannende und abwechselungsreiche Wanderung. Unverbesserliche im Freundeskreis fragen ungläubig: „Wie könnt Ihr Euch das antun? Erst durch langweiliges Regen-Grau wandern und dann abends nichts Anständiges zu Essen bekommen“, war der einhellige Tenor.

Hadrianswall
Station auf dem Hadrian’s Wall Path ist auch das Arbeia Roman Fort. – Foto Karsten-Thilo Raab

Doch von den sonnigen Weiten Northumberlands, dem Knallgrün der saftigen Weiden, von dem Goldgelb der Kornfelder, von dem wunderschönen, natur- und kulturlandschaftlichen Patchwork-Teppich, der sich von selbst erwanderten Höhen aus vor unseren Augen ausbreitet, haben die Skeptiker unter unseren Freunden keinen Schimmer. Auch nicht von der Gemütlichkeit und den dampfend-köstlichen Hausspezialitäten der gemütlichen Pubs in jedem der Kuhdörfchen, die wir uns mit der Kraft unserer Beine der Reihe nach erobern würden. Von dem belohnenden Zischen, das ertönt, wenn man nach getanem Tageswerk die Wanderschuhe weit von sich streckt, und den ersten Schluck eines Pints of Lager schlürft, auch nicht.

Hadrainswall
Tierische Begenungen – wie hier am Steel Rigg – sind vorprogrammiert. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die unvergesslich herzlichen Begegnungen mit anderen Wanderern und mit den kurios-liebenswerten Anwohnern entlang des Mauerwerks, die alle eine gute Geschichte zum Hadrianswall auf Lager haben (der erste Kuss, die erste Zigarette) – in den Genuss all dieser Erfahrungen würden sie selber wohl nie kommen. Eigentlich schade.

Hadrianswall
Der Hadrianswall erstreckt sich über 117 Kilometer von Ost nach West. – Foto Karsten-Thilo Raab

Aber lassen wir zunächst die Fakten sprechen: Der Hadrianswall gilt als bedeutendstes Stück römischer Geschichte in Großbritannien. Im Jahre 122 begannen auf Befehl von Kaiser Hadrian die Arbeiten zum Bau des Grenzwalls, der seit 1987 Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO steht. Das Bollwerk sollte das Römische Reich gen Norden vor Überfällen der Barbaren, wie Hadrian die Skoten und Pikten nannte, schützen.

Die Corbridge Roman Site prsäentiert Reste eines alten römischen Forts. – Foto Karsten-Thilo Raab

Und die früheren Besatzer schufen mit der bis zu fünf Meter hohen Verteidigungsmauer ein monumentales Bauwerk. Im Abstand von jeweils einer römischen Meile (etwa 1,6 Kilometern) errichteten 15.000 Soldaten jeweils ein Fort. Dazwischen gab es je zwei Wachtürme, deren Grundmauern bis heute meist noch gut erkennbar sind. In der dünn besiedelten, überwiegend hügeligen Gegend, in der es mit Ausnahme von Newcastle-upon-Tyne und Carlisle keine größeren Städte, aber mehr Schafe als Menschen gibt, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, das hier dereinst die zivilisierte Welt zu Ende war.

Hadrianswall
Am Startpunkt des hadrianswall in Wallsend lädt Segedunum zu einer spannenden Zeitreise ein. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nach Schätzungen wurden 37 Millionen Tonnen Steine verbaut, um den Hadrianswall zu errichten. Auch bei der Errichtung des Wanderweges, des Hadrian’s Wall Path, der 2003 offiziell eingeweiht wurde, hat man weder Arbeitskraft noch Material gespart: Hadrian-Pilger müssen rund 300 Zauntritte, Tore und Brücken überqueren.

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Chester’r Roman Fort gilt als die best erhaltene Ausgrabungsstätte entlang des Walls. – Foto Karsten-Thilo Raab

So weit zu den Fakten, nun zum Vergnügen: Unsere Wanderung startet in Wallsend und schon wenige Kilometer später bildet die Fluss-Promenade in Newcastle-upon-Tyne einen gelungen Auftakt. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich Sehenswürdigkeiten wie das an einen Riesen-Kokon gemahnende Sage-Opernhaus, welches von Lord Norman Foster entworfen worden ist, und das in einem ehemaligen Kornspeicher untergebrachte Museum Baltic-Centre for Contemporary Art aneinander. Nicht zu vergessen sind die moderne Millennium-Brücke und die historischen Schwenk-, Klapp und Hochbrücken der einstigen Kohlehauptstadt.

Die Ausmaße des Grenzwalls werden auch bei Housesteads deutlich. – Foto Karsten-Thilo Raab

Den schönsten Abschnitt der gesamten Wanderstrecke bildet ohne Zweifel das Wegstück von Chollerford nach Steel Rigg mit dem prächtigen Chester’s Roman Fort. In diesem ist neben Überresten von Wohnhäusern der Soldaten und Stallungen ein Badehaus zu entdecken, das Aufschluss über die ausgefeilte Bade- und Sauna-Kultur der Römer gibt.

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Auch eine genaue Vorstellung, wie die römischen Grenzsoldaten ausgestattet waren, fehlt nicht. – Foto Karsten-Thilo Raab

Noch spektakulärer präsentiert sich das Housesteads Roman Fort. Dieses gilt gemeinhin als das am besten erhaltene römische Fort in ganz Groβbritannien. Die exponierte Lage garantierte den römischen Soldaten eine gute Verteidigungsposition und dem heutigen Besucher fabelhafte Aussichten. Das einstige Hauptquartier, das Haus des Kommandanten, Wohnhäuser der Soldaten und ein Krankenhaus sind hier noch zum Teil erkennbar – ebenso wie ein ausgeklügeltes Latrinensystem.

Die Sycamore Gap mit dem markanten Baum wurde durch eine Hollywood-Verfilmung geadelt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nicht weit entfernt liegt mit dem Sycamore Gap einer der markantesten Tal-Einschnitte entlang des Grenzwalls. Noch dazu wohl der berühmteste. Denn an dem mächtigen Ahornbaum in der Mitte der Senke spielt eine der Schlüsselszenen aus dem Kinofilm „Robin Hood – König der Diebe“ mit Kevin Costner und Morgan Freeman. Nachdem die Szene dort im Jahre 1991 abgedreht wurde, avancierte der Baum über Jahre zu einer echten Pilgerstätte. Die Frauen aus der Region schnitten Äste als Erinnerungsstück an das kurze Gastspiel der hoch verehrten Hollywood-Stars ab. Glücklicherweise sind die meisten Äste heute nachgewachsen.

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In Vindolanda findet sich auch ein Nachbau eines römischen Forts. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nach einer traumlosen Nacht mit dem schwersten Schlaf seit langem, blökenden Schafen direkt vorm Zimmerfenster als Wecker sowie einem handfesten Full En-lish Breakfast besichtigen wir das Vindolanda Roman Fort und sind wieder einmal ob der Kultur der römischen Vorfahren begeistert. Hier wurden bei Ausgrabungen auch interessante Schrifttafeln gefunden. Eine enthält in lateinischer Schrift den Hinweis: „Ich habe dir ein paar Socken und Unterhosen geschickt“.

Zahlreiche Details römischer Bauart sind in Vindolanda zu erkennen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Diese Inschrift gilt als einer der wichtigsten Hinweise darauf, wie die römischen Soldaten ausgestattet waren und in den bisweilen harschen Wintern der Kälte trotzten. Tatsächlich wurde auch eine römische Socke gefunden. Doch von Unterhosen fehlt bis heute jede Spur!

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Auch einige eher flache Abschnitte wie hier am Sewingshields Wood, finden sich entlang des Walls. – Foto Karsten-Thilo Raab

Liebliche Flussauen und malerische Täler wechseln nun mit ausgedehnten Hügel- und Bergketten. Auch die Ausläufer der Pennines müssen überquert werden. Große Teile der Region sind bewaldet oder werden landwirtschaftlich genutzt. Felder wechseln mit Viehweiden, auf denen Schafe und Rinder gehalten werden. Sternhyazinthen, die „blue bells“, verwandeln die Schattenlagen der Wälder in ei-nen lilafarbenen Teppich. In ihrer Nachbarschaft siedelt sich nicht selten wilder, stark riechender Knoblauch an, der liebevoll „stinking Lilly“ genannt wird.

Carlisle mit seinem historischen Castle wirkt fast schon großstädtisch. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nach einem Kurzbesuch in der „Zivilisation“ von Carlisle, der Widerbegegnung mit dem Meer und einem komfortablen Abschluss im alten Pfarrhaus „Wallsend Guest House“ in Bowness-on-Solway nehmen wir den Zug zurück zum Ausgangspunkt.

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In Bowness-on-Solway liegt der Endpunkt des Hadrian´s Wall Path. – Foto Karsten-Thilo Raab

Wir sind uns einig: Diese Tour reizt vielleicht nicht jeden – gut so, könnte man meinen. Denn so bleibt der wie ein Drachenrücken aus der hügeligen Landschaft hervorragende Hadrianswall echten Kennern und Liebhabern vorbehalten und ist glücklicherweise nicht überlaufen.

Nicht überall sind die Ausmaße des Grenzwalls sonderlich deutlich. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Nur wo Du zu Fuß warst, warst Du wirklich!“ sage ich, während mein Finger das britische Eiland von der Ost- zur Westküste durchfährt und ich dem größten Skeptiker des gesamten Freundeskreises einen sehr zufriedenen Blick und ein entspanntes Lächeln zuwerfe.

Gut erhalten ist auch der Mithra Temple am Hadrianswall. – Foto Karsten-Thilo Raab

Informationen Hadrian’s Wall Path: www.nationaltrail.co.uk/hadrians-wall-path

Hadrianswall Bus: Wenn die Beine einmal nicht mehr weiter wollen oder Petrus die Himmelspforten gar zu weit öffnet, kann der Wanderer getrost auf den Hadrianswall Bus AD 122 umsteigen. Dieser bedient die komplette Strecke entlang des Wanderweges in beide Richtungen von Küste zu Küste und steuert auch alle wichtigen Sehenswürdigkeiten sowie Städte und Dörfer an.