Guillemins: Kunstwerk mit Gleisanschluss

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Der ohnehin faszinierende Bahnhof Guillemins im belgischen Lüttich ist bis Mitte Oktober Teil einer gigantischen Kunstinstallation. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Architektonisch galt der Bahnhof im belgischen Lüttich ohnehin bereits als ein absolutes Highlight. Nun ist der Bahnhalt in der wallonischen Metropole noch bis Mitte Oktober Teil einer gigantischen Kunstinstallation.

Eine klassische Fassade fehlt. Dennoch darf sich der Gare des Guillemins, der hochmoderne Bahnhof im belgischen Lüttich, rühmen, eines der wohl markantesten Bauwerke in der Metropole an der Maas zu sein. Der ikonische Bahnhalt ist komplett durch ein gigantisches, wellenförmiges Dach bedeckt. Ein 10.000 Tonnen schweres Konstrukt aus Glas, Stahl und Weißbeton, das nach Plänen von Stararchitekt Santiago Calatrava im Jahre 2009 fertiggestellt wurde. Dabei überspannt das gigantisch große Dachkonstrukt eine Fläche von nicht weniger als 32.000 Quadratmetern.

Wellenform mit Lichtspiel

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Der Gare des Guillemins wechselt je nach Tageszeit sein Aussehen. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Neben dem Bestreben, dem Bahnhof auch optisch eine gewisse Dynamik durch die Wellenform zu verleihen, legte Calatrava bei seiner Planung ein besonderes Augenmerk darauf, in das monumentale Bahnhofsgebäude ein Maximum an natürlichem Licht einströmen zu lassen. Ein Ansatz, der durch das Glasdach perfekt umgesetzt wurde. Je nach Jahres- und Tageszeit, je nach Stand der Sonne und den Launen von Wettergott Petrus sorgt das permanente Spiel des Lichts dafür, dass Züge, Bahnsteige und Passagiere in unterschiedlichen Farben und Schattierungen wahrgenommen werden. Ein Effekt, der sich aktuell noch verstärkt. Denn noch bis zum 15. Oktober 2023 fungiert der Bahnhof als ein gigantisches Kunstwerk.

Der französische Konzeptkünstler Daniel Buren hat dazu für stolze 600.000 Euro die Glasbedachung in Teilen mit selbstklebenden wie lichtdurchlässigen Vinylfolien versehen. Die bunten Klebestreifen erstrahlen je nach Lichteinfall mal dezent, mal intensiv in Pink, Blau, Rot, Orange und Weiß und verändern so die Anmutung des Bahnhofbaus, der dort ein- und ausfahrenden Züge sowie des mehr oder weniger große Getümmels auf den Bahnsteigen.

Einstiger Schandfleck

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Konzeptkünstler Daniel Buren hat den Gare des Guillemins in ein Kunstwerk verwandelt. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Quasi Kunstgenuss im Vorbeigehen – kostenfrei noch dazu und vielen Passagieren oft gar nicht bewusst. Und doch gibt es wohl kaum jemanden, der das wechselnde Farbspiel nicht mit einer gewissen Faszination wahrnimmt. Der eigentlich rote Thalys ist plötzlich in rote und gelbe Streifen gehüllt, das Grüppchen, das zu einem Wochenendausflug nach Brüssel durchstarten möchte, mutet ganz in Blau an und die Rolltreppe scheint in den grünen Himmel zu rollen..

Als der Gare des Guillemins im Jahre 1863 seinen Bestimmung übergeben wurde, ahnte wohl niemand, dass der wichtige Verkehrsknotenpunkt an der Bahnstrecke zwischen Köln und Brüssel dereinst zu einem Gesamtkunstwerk mit Gleisanschluss avancieren würde. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das ursprüngliche Belle Époque Gebäude zerstört und erst im Jahre 1958 wieder aufgebaut. Doch der Bahnhof und das umliegende Viertel blieben eine Schmuddelecke; das Umfeld galt eher als Angstraum.

Runderneuertes Bahnhofsviertel

Modernes Wahrzeichen hoch über der Maas: Die 3,20 Meter hohe Figurs des Plongeur, des Tauchers. – Foto: Karsten-Thilo Raab

All dies ist Schnee von gestern. Anfang des 21. Jahrhunderts startete Lüttich mit Siebenmeilenstiefeln in ein neues Verkehrskonzept – und damit einhergehend auch in die Umgestaltung des runtergekommenen Bahnhofsareals. 2009 erstrahlte der Gare des Guillemins dann in neuem Glanz. In diesem Zuge wurde auch der Bahnhofsvorplatz komplett neugestaltet.

Heute befindet sich der Bahnhof in bester Gesellschaft. An der ebenfalls von Calatrava erdachten Achse hin zum Maas-Ufer finden sich ein moderner Komplex mit dem Yust Hotel, dem wallonischen Design-Center sowie dem geschwungenen, 136 Meter hohen Finanzamtsturm, dem „Tour Paradis“. In der Verlängerung bildet die Fußgänger- und Radfahrerbrücke La Belle Liègeoise eine Achse über den Fluss hinweg zum Parc de la Boverie mit dem Museum der schönen Künste, dem La Boverie, und weiter zur 160.000 Quadratmeter großem Shopping-Mall Médicité. Keine Frage, in Lüttich hat die Zukunft längst begonnen und der Gare des Guillemins nimmt dabei eine Schlüssel- und Vorreiterrolle ein. Weitere Informationen unter www.artfact.ulg.ac.be und unter www.colorexperience.be.

Anreise:  Von Köln sowie von Dortmund, Essen, Düsseldorf, Duisburg und Aachen bietet sich die bequeme wie umweltschonende Anreise mit dem Thalys an. Tickets für die einfache Fahrt sind ab 16 Euro erhältlich.