Die Entdeckung der Langsamkeit in Burgund

Ein traumhaftes Revier für Hobby-Kapitäne: der Canal de Bourgogne in Burgund. (Foto Alain Doire)
Ein traumhaftes Revier für Hobby-Kapitäne: der Canal de Bourgogne in Burgund. (Foto Alain Doire)

Das Wichtigste: Ihr müsst unbedingt ein großes, scharfes Messer an Bord haben“, gibt uns Colin, mein Neffe, als guten Rat mit auf den Weg gegeben. Ein Messer? ­Warum das denn? Colin: „Um im Notfall das Tau zu kappen. Wenn es sich in einer Schleuse am Poller verheddert und das Boot bei sinkendem Wasserstand halb hoch an der Schleusenwand hängt. Schaut euch mal ein paar Videos auf Youtube an …“ Tun wir nicht. Aber der Respekt vor Schleusen bleibt uns im Gedächtnis.

Zunächst zumindest klappt alles perfekt. Zuverlässig führt uns das Navi nach Migennes, wo der Canal de Bourgogne in den Fluss Yonne mündet. Nachts um halb drei erreichen Anna und ich den Ausgangspunkt unserer einwöchigen Bootspartie: die Marina von Le Boat. Und wie vereinbart hängt an der Rezeption ein Briefumschlag mit unserem Namen. Darin ein freundliches Begrüßungsschreiben, die Bezeichnung unseres Bootes und der Hinweis, wo wir den Schlüssel finden.

Flußidylle in Burgund im malerischen Semur en Auxois. (Foto Alain Doire)
Flußidylle in Burgund im malerischen Semur en Auxois. (Foto Alain Doire)

Erwartungsvoll schreiten Anna und ich die Parade der Le Boat-Flotte ab. Es ist ein ­warmer Abend, sternenklar. Weiß ­glänzen die Hausboote am Kai im Mondlicht. Aber was schreibe ich da! Boote? Veritable Yachten sind das. Riesengroß. Wie sollen wir solch ein ­Gefährt bloß durch eine enge Schleuse ma­növrieren?

Und da liegt sie vor uns: die Caprice 535 – zwölf Meter lang, 3,80 Meter breit. Unser schwimmendes Zuhause für die kommende Woche. Modern, komfortabel und sehr zweckmäßig ausgestattet. Eine Kabine im Bug, eine mittschiffs. Zwei Bäder mit WC und Dusche. Geräumige Kombüse. Eine Pantry mit allem, was man so braucht – Kühlschrank, Herd, Mikrowelle. Eine Sitzbank außen am Heck und eine kleine Sitzgruppe oben auf dem Sonnendeck. Wow! Anna und ich fühlen uns wie Jetset-­Promis im Hafen von Monte Carlo …

Mit etwas Übung vermögen Hobbykapitäne auch problemlos engere Teilstücke zu meistern. (Foto Raimond Ahlborn)
Mit etwas Übung vermögen Hobbykapitäne auch problemlos engere Teilstücke zu meistern. (Foto Raimond Ahlborn)

In entspannter Weise wird im Le Boat-Büro am nächsten ­Morgen der Papierkram erledigt. Kaution, Info- und Kartenmaterial, Equipment. Vollkasko-Ver­sicherung? Ja, bitte. Internet-Empfang an Bord? Unbedingt. Leih-Fahrräder? Nein, müssen vielleicht nicht sein. In der ­Rezeption treffen wir auch ein Ehepaar aus England. „Angst vor den Schleusen – oh, no!“, lacht der Mann. „That’s part of the fun.“

Nach einer kurzen Einführung wissen selbst echte Landratten, wie ein Boot fachgerecht vertaut wird. (Foto Raimond Ahlborn.
Nach einer kurzen Einführung wissen selbst echte Landratten, wie ein Boot fachgerecht vertaut wird. (Foto Raimond Ahlborn.

Dann geht Dominic mit uns an Bord. Unser Instruktor. Er strahlt eine wunderbare Ruhe aus, erläutert ein paar technische Details. Und erklärt, was zu tun ist, falls doch mal ein Problem auftauchen sollte. Und bei größeren Schwierigkeiten können wir auch jederzeit eine Service-Hotline anrufen. Das gibt Sicherheit.

Und jetzt geht es los. Wir starten, drehen erstmal, unter Dominics Anleitung, eine Proberunde im Mini-Hafen von Migennes. Anna erweist sich als Naturtalent am Steuerrad. Vorwärtsgang rein, kurze Pause im Leerlauf, Rückwärtsgang. Wo ist die Bremse? Ach, Boote haben so was ja gar nicht! Und die Fahrtrichtung lässt sich – aufgrund des Antriebs – nur in der Vorwärtsbe­wegung ändern. Okay.

Dominic ist so freundlich und begleitet uns bis zur ersten Schleuse. Wir fahren kanalaufwärts. Das heißt: bei Niedrigwasser hinein, bei gefüllter Schleusenkammer und erhöhtem ­Pegel wieder raus. Was wiederum bedeutet: Um das Boot zu stabilisieren, muss man ein Tau um einen der Poller oben auf der ­Schleusenmauer schlingen – gefühlte drei Meter hoch. Anna, vorn am Bug, gelingt das auf Anhieb. Sie schwingt das Lasso wie ein Cowgirl. Mir, am Heck, bietet der Schleusenwärter seine Hilfe an. Nachdem mein Tampen bereits zum dritten Mal im Wasser landet …

Die Hausboote der Caprice-Reihe bieten jede Menge Platz zum Entspannen und Genießen. (Foto Le Boat)
Die Hausboote der Caprice-Reihe bieten jede Menge Platz zum Entspannen und Genießen. (Foto Le Boat)

Nun geht unser Lotse, Dominic, von Bord. Wir haben quasi Level zwei unseres Abenteuer-Urlaubs erreicht – müssen alleine klar kommen. Und ich bin ganz froh, dass wir uns für eine Route auf dem Canal de Bourgogne entschieden haben. Und nicht auf einem wesentlich breiteren Fluss wie der Yonne, mit viel mehr Schleusen und Verkehr.

Zudem scheint der Kanal zu Beginn unserer Tour wie mit dem Lineal gezogen zu sein. Also nur geradeaus. Aber das ist gar nicht so einfach. Aufgrund der Wasserbewegung fahren wir ­immer ein bisschen zickzack. Der Skipper muss stets etwas gegensteuern. Und der Begriff „cruisen“ bekommt für mich eine ganz neue Bedeutung. Wir machen quasi eine Kreuzfahrt auf dem Kanal …

Die Hand am Steuer, den Blick aufs Wasser - so erschließen sich die schönsten Seiten Burgunds auf angenehme Art. (Foto Raimond Ahlborn)
Die Hand am Steuer, den Blick aufs Wasser – so erschließen sich die schönsten Seiten Burgunds auf angenehme Art. (Foto Raimond Ahlborn)

Dabei sinkt der Adrenalin-Spiegel spürbar. Mit jeder Minute. Nahezu lautlos gleiten wir dahin. Gemütlich. Begleitet von Schwänen, beäugt von Reihern. Vorbei an Wiesen mit grasenden Kühen oder Schafen, Feldern und Pappel-Alleen. Ab und an überholen uns Radfahrer auf dem Wanderweg am Ufer, und wir winken einander fröhlich zu.
Inzwischen sind Anna und ich ein perfekt eingespieltes Team, harmonieren prächtig. Die Schwimmwesten hängen bloß noch im Schrank. Denn die Schleusen haben schnell ­ihren Schrecken verloren.

Zum Genuss auf den Kanälen und Flüssen in Burgund gehört auf jeden Fall auch das eine oder andere gepflegte Glas Wein. (Foto C. G. Deschamps)
Zum Genuss auf den Kanälen und Flüssen in Burgund gehört auf jeden Fall auch das eine oder andere gepflegte Glas Wein. (Foto C. G. Deschamps)

Nur die vierte auf unserer Route, die Ecluse de Duchy, wird mir stets in Erinnerung bleiben. Da muss ich erfahren: Ein Flipflop kann schwimmen und wieder aus dem Wasser gefischt werden. Eine RayBan – meine Fernbrille (!) – hingegen nicht. Den Rest unserer Reise navigiere ich gewisser­maßen mit Weichzeichner. Aber wie heißt es im Volkslied: „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern …“

Am späten Nachmittag erreichen wir unser ­erstes Etappenziel: Brienon-sur-Armançon. Viel weiter wären wir ohnehin nicht gekommen. Die Schleusenwärter, Staatsbedienstete, machen pünktlich Feierabend. Und auch von 12 bis 13 Uhr ist jeden Mittag Schicht am Schacht. Was manchmal zwangsweise zu unserer Entschleu­nigung beiträgt.
Nach einem Spaziergang durch Brienon gibt es etwas Leckeres aus der Bordküche, danach einen Sundowner oben auf dem Sonnendeck. Wir haben an diesem unserem ersten Tag auf dem Kanal gerade mal 7,5 Kilometer zurückgelegt und ganze zwei Schleusen passiert. Nicht eben viel. Aber wir nehmen ja an keiner ­Regatta teil. Sondern der Weg ist das Ziel. Und der ist großartig. Wir fühlen uns privilegiert.

Die weiteren Stationen unserer Reise: Wir passieren Percey, legen Zwischenstopps ein in Saint-Florentin und Flogny-la-Chapelle. Und erleben ein Novum: hohes ­Verkehrsaufkommen. In Schleuse 14 müssen wir auf ein zweites Boot warten. Es sind Michel und Ginette, wie wir später erfahren werden. Und die haben eine spezielle Anlege-Technik. Ginette nimmt jedes Mal den Zwergpudel Alice auf ihren Arm und Michel erledigt den Rest – das Boot steuern, bremsen, vorn und hinten das Tau auswerfen, festzurren. Der Arme kommt ganz schön ins Schwitzen …

Die Ufer des Canal de Bourgogne sind auch ein herrliches Radrevier. (Foto Alain Doire)
Die Ufer des Canal de Bourgogne sind auch ein herrliches Radrevier. (Foto Alain Doire)

Bis Tonnerre fahren wir mit Michel und Ginette im Konvoi, helfen einander beim Festmachen der Boote, radebrechen auf französisch. Anna und ich zumindest. Tonnerre ist der Wendepunkt unserer Tour. Ein charmantes Städtchen. Gepflegter Bootsanleger; eine belebte Hauptstraße mit guten Restaurants und kleinen Boutiquen; zwei schöne Kirchen. Und das Highlight: Fosse Dionne, die Quelle der Vaucluse. Ein Ort voller Magie.

Wehmütig treten wir die Rückreise an. Aufs Herzlichste verabschiedet von Michel und ­Ginette: „Bon voyage!“ Ja, sie ist bon, die voyage. Die Passage der Schleusen, nun kanalabwärts, ein Vergnügen. Termingerecht erreichen wir die Marina von Migennes – können dem Le Boat-Team zeigen, wie gut wir inzwischen gelernt haben einzuparken.

Das Schleusen ist für Kapitäns-Novizen und Crew die größte Herausforderung, aber auch nicht wirklich eine Hexenkunst. (Foto Raimond Ahlborn)
Das Schleusen ist für Kapitäns-Novizen und Crew die größte Herausforderung, aber auch nicht wirklich eine Hexenkunst. (Foto Raimond Ahlborn)

Unser Resümee der einwöchigen Tour: Anna und ich haben – entgegen unserer sonstigen Gewohnheit – vergleichsweise wenig während der Reise unternommen. Ein paar schöne Spaziergänge gemacht, Atmosphäre geschnuppert, die historische Ölmühle in Brienon besucht, eindrucksvolle Kathedralen besichtigt wie die Eglise Notre-Dame in Tonnerre. Interessante Menschen kennengelernt – Franzosen, Deutsche, Engländer, Neuseeländer.

Wir hätten vielleicht etwas öfter ausgehen können – die französische Küche genießen sollen, die köstlichen Weine. Aber: Anna und ich haben herrlich entschleunigt – das wunderbare Gefühl der Langsamkeit entdeckt. Dieser Urlaub war definitiv einer der schönsten, die wir je erlebt haben. Ganz sicher werden wir uns wieder ein Boot mieten. Und wir wissen jetzt: Ein großes, scharfes Messer ­brauchen wir nicht an Bord. Nicht für das Tau.

In den großzügig ausgestatteten Booten der Caprice-Reihe findet sich alles, um eine entspannte Woche an Bord zu verbringen. (Foto Le Boat)
In den großzügig ausgestatteten Booten der Caprice-Reihe findet sich alles, um eine entspannte Woche an Bord zu verbringen. (Foto Le Boat)

Allgemeine Informationenwww.burgund-tourismus.com

Beste Reisezeit: Mai bis September. Das Klima ist lontinental mit saisonalen Schwankungen.

Vermieter:  Mit mehr als 40 Jahren Erfahrung ist Le Boat der führende Anbieter von Hausboot-Urlaub auf den Kanälen und Flüssen in ganz Europa. Das Unternehmen besitzt und betreibt die größte und modernste Flotte an Hausbooten auf dem europäischen Markt.

Fahrgebiete: Le Boat bietet Hausboot-Urlaub in neun europäischen Ländern an – Schottland, England, Irland, in den Nieder­landen, Belgien, Frankreich, Polen, Italien und Deutschland.

Der Genuss von fangrischem Fisch und von Meeresfrüchten ist in Burgund quasi ein Muss. (Foto Atout France)
Der Genuss von fangrischem Fisch und von Meeresfrüchten ist in Burgund quasi ein Muss. (Foto Atout France)

Voraussetzungen: Für das Fahren der Hausboote sind keine Vorkenntnisse und kein Führerschein notwendig. Gleich nach Ankunft an der Le Boat Basis erhält der Urlauber eine umfangreiche Einweisung, die unbe­schwerte Bootsferien garantiert.

Hausboot-Typen:  Die Hausboote von Le Boat sind in einer Vielzahl von Grundrissen verfügbar – für Paare, Familien, Gruppen und Crews mit Hund.

Information und Buchung: Im Reisebüro oder direkt bei Le Boat, c/o Crown Blue Line GmbH, Theodor-Heuss-Str. 53-63,  61118 Bad Vilbel, Telefon 06101-5579112, www.leboat.de

Essen & Trinken: Bäuerliche Gerichte sind beliebt – wie das Bœuf bourguignon vom Charolais Beef.

Sehenswert: Abtei von Fontenay in Montbard, UNESCO-Welterbe; Hôtel-Dieu de Beaune, ein gut erhaltenes Hospiz aus dem 15. Jahrhundert.

Unbedingt machen: Eine Tour entlang einer der fünf Weinstraßen des Burgund – z. B. auf der Route des Grands Crus rund um die Côte de Nuits und die Côte de Beaune.

Unbedingt vermeiden: Vergessen, die regionale Küche zu kosten. Saisonale Produkte aus dem Umland stehen bei den örtlichen Restaurants an erster Stelle.


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