Dartmoor – Nebelküche mit ureigenem Charme

Dartmoor

Mystisch und sagenumwoben wirkt das Dartmoor nicht nur bei Sonnenuntergang.Unaufhörlich bläst der Wind über das Land. Einen Moment lang verdunkeln schwarze Wolken den Himmel, Regentropfen prasseln nieder. Sekunden später reißt die dichte Wolkendecke ein wie Seidenpapier. Die Sonne taucht die weitläufige Landschaft in gleißendes Licht. Ein Regenbogen schlägt seinen Halbkreis über den malerischen Landstrich im Südwesten Englands. Besonders beeindruckend ist die Landschaft im August und September, wenn die Heide blüht und das Moor in einen purpurfarbenen Teppich verwandelt wird. An rund 200 Tagen im Jahr zieht ein grauer Nebelschleier über die Moorlandschaft mit ihren rauschenden Flüssen, ungewöhnlichen Granitformationen, bizarren Felsfiguren, versteckten Dörfern und prähistorischen Stätten, verwandelt das malerische Fleckchen Erde in eine dampfende Waschküche mit Flechten, verkrüppelten Birken und Sümpfen.

Dartmoor
Tierische Begegnungen sind im Dartmoor an der Tagesordnung. – Foto Karsten-Thilo Raab

Schon vor Jahrzehnten war dies das ideale Setting für die guten alten Edgar Wallace Filme. Und auch einer der berühmtesten Romane von Sir Arthur Conan Doyle, “Der Hund von Baskerville”, spielt in dem rund 950 Quadratmeter großen Landstrich in der südenglischen Grafschaft Devon. Das Dartmoor, gleichermaßen von Wasserdampf und Legenden gezeichnet, gehört zweifelsohne zu den schönsten und landschaftlich reizvollsten Regionen der britischen Insel. Ein abgelegenes, hügeliges Gebiet, in dem Hirsche, Schafe und wilde Ponys durch das offene Moorland ziehen.

Die weite Moorlandschaft ist wunderbar wanderbar. – Foto Karsten-Thilo Raab

Ein Schmelztiegel von Romantik und Farbe, noch dazu weitgehend unberührt. Erstaunlicherweise ist der Norden des Dartmoors alles andere als karg. Dichte Wälder und wildromantische Flüsse, an deren bemoosten Ufern gewaltige Farne wachsen, bilden einen Kontrast zu den kahlen Buckeln des Hochmoors. Weithin sichtbar sind die Tors, jene Granitblöcke, die gefaltet, gestapelt, ja wie von Hand aufgeschichtet wirken. Tatsächlich jedoch sind die Felskolosse nicht von Kreaturen mit übermenschlichen Kräften errichtet worden, sondern vor Jahrmillionen durch Erosion entstanden. Heute dienen die beeindruckenden Steinauftürmungen den Wanderern als wichtige Orientierungspunkte.

In vielen Teilen des Nationalparks tummeln sich die wild umherlaufenden Ponys. – Foto Karsten-Thilo Raab

1951 wurde das Dartmoor, das sich von Norden nach Süden über knapp 40 Kilometer und von Osten nach Westen über rund 30 Kilometer erstreckt, zum ersten Nationalpark Englands erklärt. Fast überall entlang der rollenden, mit Heidekraut und gelben Ginster überzogenen Hügelketten sind prähistorische Steinzirkel und Ansiedlungen aus der Jungsteinzeit zu finden. Nirgendwo sonst in England lädt eine größere Dichte an historischen Monumenten dazu ein, entdeckt zu werden.

Uralte Steinbrücken finden sich an verschiedenen Stellen im Dartmoor.

So eine alte Klapperbrücke bei Postbridge. Die größte Brücke im Dartmoor, die vermutlich aus dem 13. Jahrhundert stammt, besteht aus drei schmalen Steinen auf zwei Pfeilern. Das pittoreske Bauwerk über dem East-Dart River diente in vorangegangenen Jahrhunderten als Übergang für die Packpferde der nahe gelegenen Zinnminen. Weitere sehenswerte Clapper Bridges sind in Dartmeet und Bellever zu finden.

An den Tagen ohne Nebel gibt sich das Dartmoor äußerst stimmungsvoll.

Unweit von Yelverten zieht die 1278 als Zisterzienserabtei gegründete Buckland Abbey die Besucher in ihren Bann. 1581 wurde das Anwesen von Sir Francis Drake, der nur einen Steinwurf entfernt in Tavistock um 1540 das Licht der Welt erblickte, erworben. Und dem englischen Seehelden, der 1577 bis 1596 die Welt umsegelte und als Begründer der britischen Seefahrtstradition galt, ist ein Marinemuseum gewidmet, dass der National Trust heute in Buckland Abbey unterhält.

Auf den Straßen durch den Nationalpark ist wegen der vielen Tiere Vorsicht geboten. – Foto Karsten-Thilo Raab

Wildromantisch mutet auch das nordöstlich von Chagford gelegene Castle Drago an. Das knapp einhundert Jahre alte Schloss, das zwischen 1910 und 1930 im Auftrage des reichen Kaufmanns Julius Drewe fertig gestellt wurde, vereint römische, normannische und elisabethanische Baustile. Im Inneren präsentiert der pompöse Landsitz neben flämischen Tapisserien eine stilvoll eingerichtete Bibliothek und eine stattliche Waffensammlung.
Kaum minder interessant mutet die normannische Burgruine in Lydford an.

Vorsichtig und neugierig zugleich observieren die Schafe die Wanderer. – Foto Karsten-Thilo Raab

Berüchtigt war das Kastell insbesondere im 18. Jahrhundert, als es als Zinngericht und Gefängnis diente, vor allem für die nicht zimperlichen Methoden, mit denen hier Straftäter abgehandelt wurden. Den Minenarbeiter, die Zinn hatten mitgehen lassen, wurde flüssiges Metal in die Kehle gegossen. Weniger schaurig wirkt derweil die nahe gelegne Lydford Gorge. Das Naturschauspiel besticht durch einen faszinierenden Wasserfall. In der zweieinhalb Kilometer langen Schlucht stürzt das Wasser des River Lyd 27 Meter in die Tiefe. Lohnenswert ist zudem ein Abstecher zu den Becky Falls. Die mit 67 Metern höchsten Wasserfälle Englands liegen am Ostrand des Nationalparks.

Zu den markanten Landmarken gehört Bennet`s Cross. – Foto Karsten-Thilo Raab

Überaus einladend wirkt daneben auch das charmante Örtchen Widecombe on the Moor. Das Bild des verträumten Dörfchens wird von weiß getünchten Häusern mit Reetdächern bestimmt. Augenfälligstes Gebäude ist eine alte Pfarrkirche aus dem 14. Jahrhundert, deren Schlichtheit vom entbehrungsreichen Leben in dieser verlassenen Region im Südwesten Englands zeugt.

Dartmoor
Eine Berühmtheit im Nationalpark ist das berüchtigte Gefängnis. – Foto Karsten-Thilo Raab

Im Zentrum des Dartmoors, genauer vor den Toren von Princetown, befindet sich das berühmt-berüchtigte Gefängnis, das lange als sicherstes in England galt. Das Dartmoor Prison wurde 1806 errichtet, um hier die Gefangen aus den Napoleonischen Kriegen unterzubringen. Ab 1850 wurde es dann für den “normalen” Strafvollzug genutzt, bevor es um die Jahrhundertwende zum Hochsicherheitsgefängnis umgebaut wurde. Die drei Zellenblocks aus grauem Granit, die als Schutz von zwei Ringmauern umgeben sind, beheimateten zu Spitzenzeiten rund 9.000 Gefangene. Heute büßen hier rund 600 Häftlinge ihre Strafen ab.

Auf Schritt und Tritt gibt sich das Dartmoor bei genauem Hinsehen mystisch.

Immer wieder hatten inhaftierte Verbrecher im Laufe der Jahrzehnte versucht, aus dem staatlich-königlichen Knast zu entfliehen. Doch sie alle verirrten sich zumeist im dichten Nebel in den tückischen Weiten des Dartmoors und genossen nur wenige Stunden in der Freiheit, ehe sie von Wärtern mit Hunden aufgespürt wurden. Für Wanderer, die den Nationalpark abseits der ausgeschilderten Wege und Pfade auf eigene Faust durchkämmen möchten, sind daher gute Karten und ein Kompass – ebenso wie wetterfeste Kleidung – unerlässlich.

Nicht nur ausgewiesene Pferdefreunde werden Spaß an den freilaufenden kleinen Ponys haben.

Überall in der riesigen Moorlandschaft sind wilde Ponys zu sehen. Nachdem 1930 die letzte Zinnmine schloss, wurden die als Lastenträger eingesetzten Ponys einfach laufen gelassen. Rund 2.500 der robusten Pferde teilen sich das Land heute mit unzähligen Schafen. Die kleinen, nimmersatten Pferde nehmen allerdings nicht Reißaus, wenn Menschen auftauchen, sondern kommen in der Regel näher, um etwas Essbares zu ergattern. Doch so groß die Verlockung auch sein mag, das Füttern der Ponys ist unter Strafe verboten. Wer hingegen unterwegs auf Schafe stößt, die auf dem Rücken liegen, sollte den blökenden Wollknäueln auf die Beine helfen. Denn wenn die Schafe in den Löchern und Kuhlen des Dartmoors stürzen, können sie sich aus eigener Kraft nicht wieder auf ihre vier Beine helfen und wären ohne menschliche Hilfe verloren.

Die Schafe lassen sich nicht immer durch heranbrausende Autos verscheuchen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Weit verbreitet ist im Dartmoor übrigens das so genannte Letterboxing. Dabei geht es weniger darum, die spärlich gesäten Briefkästen in einem der größten europäischen Naturschutzgebiete zu zählen. Vielmehr agieren Wanderer hier als eine Mischung aus Hobby-Detektiv und Gelegenheitspostpote. Alles was man benötigt, um sich an dem Volkssport zu beteiligen, sind neben Wanderschuhen, einer Postkarte oder ein Stück Papier etwas Geduld und eine Spürnase. Seit den 1850er Jahren existieren im Dartmoor weit mehr als 400 inoffizielle Briefkästen. Diese befinden sich wahlweise unter Büschen und Steinen, in Astgabeln oder in hohlen Baumstämmen. In jeder Letterbox liegen Stempel und Stempelkissen aus.

Auch uralte Gesteinsformationen ducken sich im Nationalpark.

Der Begründer des Letterboxings war eine gewisser James Perrott aus Chagford, der 1854 eine Glasflasche am Cranmere Pool im Norden des Dartmoors deponierte. Er ermutigte fortan alle Wanderer, die dort vorbeikamen, dort eine Visitenkarte einzuwerfen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Flasche durch eine kleine Kiste mit einem Gästebuch ersetzt. 1937 errichtete die regionale Zeitung Western Morning News hier eine Box aus Granit.

Dartmoor
Wanderer finden im Dartmoor traumhafte Bedingungen vor. – Foto Karsten-Thilo Raab

1938 wurde dann am Ducks Pool eine zweite Box aufgestellt. Weitere Standorte sollten schnell folgen. Statt der Gästebücher wurden Stempel ausgelegt.
Ziel des Volkssports ist es, ein Nachweisheft mit mindestens einhundert Stempeln von verschiedenen Letterboxen zu führen, um zu beweisen, wie weit man in die Moorlandschaft eingedrungen ist. Denn dies berechtigt zur Aufnahme in den Club 100, einen losen, gleichwohl begehrten Zusammenschluss von Gleichgesinnten, dem mittlerweile mehr als 12.800 Mitglieder angehören.

Bizarre Gesteinformationen wie die Haytor Rocks prägen den Nationalpark.

Daneben wird das Letterboxing aber mehr und mehr auch als ein privat organisierter Postservice verstanden. Wer eine Letterbox als Briefkasten nutzen möchte, muss seine Postkarte beziehungsweise seinen Brief lediglich direkt vor Ort abstempeln und die eigenen postalischen Grüße in die Heimat dort hinterlegen. Im Gegenzug nimmt der Wanderer und Hobbypostbote dort deponierte Schriftstücke mit, um Sie dann bei der nächsten Filiale der Royal Mail auf den eigentlichen Postweg zu geben.

In einigen Teilen des Dartmoors sollten sicherheitshalber die Wege nicht verlassen werden.

Und das erstaunlichste an dieser modernen Form der Scheckenpost: Es funktioniert. Wer Zweifel hegt, sollte einfach die Wanderschuhe schnüren und sich auf ins Dartmoor machen und sich á la Mister Bean selber eine Postkarte schreiben. Weitere Informationen unter www.visitbritain.com/de und unter www.dartmoor-npa.gov.uk.