Bicton Park – Garten Eden in Südengland

Bicton
Zu den prachtvollen Bauten in den Bicton Park Botanical Gardens zählt die Orangery. – Foto Karsten-Thilo Raab

Das nahe gelegene Dartmoor und das kaum weniger pittoreske Exmoor stellen die Bicton Park Botanical Gardens gemessen an der Gunst der Besucher spürbar in den Schatten – und dies zu Unrecht. Während die Faszination dieser beiden Nationalparks in den ausgedehnten Heide- und Moorlandschaften liegt, steht Bicton im Ruf, einer der prächtigsten historischen Gärten in Großbritannien zu sein. Im Osten von Devon im malerischen Otter Valley gelegen, besticht der botanische Garten aus einer Mischung aus moderner Gartenarchitektur und der Beschaulichkeit des 18. Jahrhunderts. Auf mehr als 25 Hektar Fläche findet sich hier eine der größten Sammlungen an Pflanzen und Bäumen im Vereinigten Königreich – darunter allein rund 500 verschiedene Bäume wie Zedern, Pinien, Eichen und Palmen. Die höchsten und mächtigsten messen eine Höhe von 120 Metern und einen Umfang von 25 Metern.

Insbesondere in der wärmeren Jahreszeit weiß Bicton mit seiner Pflanzenpracht zu begeistern. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Hugh, I think I fancy a cuppa now!” – Die elegante Dame in ihrem geblümten Kleid und dem hellblauen Hut bildet einen herrlichen Kontrast zum tiefblauen Himmel und dem saftigen Grün der Bäume. Zusammen mit ihrem hoch aufgeschossenen, spindeldürren Gemahl, der mühelos als Sieger in einem John-Cleese-Lookalike-Wettwerb hervorgehen könnte, wirkt sie überaus aristokratisch. Ein Hauch von urbritischem Landadel liegt über Bicton. Sie mutet ein bisschen wie die Herrin über diese bezaubernde Parkanlage an. Tatsächlich jedoch dürfte sie mit Tausenden von Besuchern auf einer Stufe stehen, die sich von dem Musterbeispiel der Gartenbaukunst fasziniert zeigen.

Zu den Blickfängen zählt ganz sicher auch das historische Palm House. – Foto Karsten-Thilo Raab

England und seine blühenden Gärten sind im positiven Sinne eine never ending story. Insbesondere die südwestlichen Grafschaften profitieren von den Einflüssen des warmen Golfstroms. Dieser sorgt dafür, dass die Temperaturen nur höchst selten unter den Gefrierpunkt sinken, der Frühling deutlich eher als in anderen Landesteilen einsetzt und Sommer oft lang anhaltend sind – ideale klimatische Bedingungen, um exotische Pflanzen wie Orchideen oder Bougainvilleen hier gedeihen zu lassen. Die Wikinger und später auch die Römer und Normannen brachten bei ihren Raub- und Eroberungsfeldzügen Pflanzensamen mit auf die britische Insel und legten so eher unbewusst den Grundstein für die vielfältige Flora.

Ganzjährig wächst, blüht und gedeiht es in Bicton. – Foto Karsten-Thilo Raab

Im 19. Jahrhundert zeigten sich Englands reiche Blaublüter dermaßen von blühender Pflanzenpracht fasziniert, dass sie ihre Gärtner entsandten, um weitere neue, ungewöhnliche Blumen, Sträucher und Bäume aus allen Teilen der Welt zu importieren und zu versuchen, diese auch zwischen dem Atlantik und dem Ärmelkanal gedeihen zu lassen. Die Früchte dieser Arbeit können noch heute insbesondere in Cornwall und Devon bewundert werden, wo fraglos die schönsten Gärten und Parkanlagen der Insel zu finden sind. Und zu diesen zählen zweifelsohne auch Bicton Park Botanical Gardens.

St. Mary’s Church duckt sich scheinbar hinter den bepflanzten Abschnitten. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die Wurzeln der beeindruckenden Gartenanlage reichen rund 270 Jahre zurück. Auf Initiative von Henry, dem ersten Baron Rolle, wurden rund 15 Kilometer südöstlich von Exeter zwischen Exmouth und Sidmouth der Park und Garten angelegt. Dazu bediente sich der blaublütige Besitzer von Bicton House 1735 der Dienste keines geringeren als André Le Notre, der sich unter der Regentschaft von Ludwig XIV. auch für die Gärten in Versailles verantwortlich zeigte. Seine unverkennbare Handschrift trägt der italienische Garten noch heute, obschon viele Features erst im 19. Jahrhundert durch Lord John und Lady Louisa Rolle hinzugefügt wurden. Auf einem Hügel außerhalb des Areals wurde 1743 ein weithin sichtbarer Obelisk aufgestellt, der als Orientierungspunkt für die zentrale Achse des Gartens galt.

Mit der Woodland railway lässt sich die Gartenanlage im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die Anlage ist im Stile der italienischen Renaissance angelegt. Ein markanter Bestandteil ist der großzügige, von einer Fontäne überragte Teich, der so genannte Square Pond, der an drei Seiten von einem kleinen Kanal gesäumt wird. Auch die tempelähnliche Orangerie aus dem frühen 19. Jahrhundert zählt heute ebenso wie die rund 150 Jahre alte St. Mary’s Church zu den baulichen Blickfängen. Ursprünglich diente das Gebäude dazu, in den Frostperioden den angebauten Zitrusfrüchten ein gemäßigtes Klima zu garantieren. Heute ist hier ein Restaurant beheimatet. Von dessen Terrasse bietet sich ein grandioser Blick auf den italienischen Garten. Diesen verwandeln jährlich in den Sommermonaten rund 15.000 Blumen in ein farbenfrohes Blütenmeer. In unmittelbarer Nachbarschaft erhebt sich das beeindruckende Palmenhaus aus den 1820er Jahren. Mit knapp 21 Metern Länge und neun Metern Höhe ist es das zweitgrößte in Großbritannien. Der Glastempel, der zu Bauzeiten als ein überaus gewagtes Design galt, besteht aus sage und schreibe 18.000 Glasscheiben und bietet noch immer während der überwiegend milden Winter den Palmen Schutz vor der Kälte.

Natürlich dürfen auch prachtvolle Rosenzüchtungen nicht fehlen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Und während das auf einem Hügel liegende Bicton House heute das College of Agriculture beheimatet, verfügt der seit 1963 öffentlich zugängliche Botanische Garten noch über eine Reihe weiterer attraktiver Pflanzzonen. Dazu gehört neben dem Rosengarten, dem Mediterranean Garden und dem von Wassergräben gesäumten Stream Garden der amerikanische Garten mit seinem eigenwilligen Shell House, in dem Muscheln aus aller Herren Länder zu sehen sind. Wer die Pflanzenvielfalt in beschaulichem Tempo an sich vorbeiziehen lassen möchte, sollte nicht auf eine Fahrt mit der Woodland Railway, eine Schmalspurbahn, die 1962 in Betrieb genommen wurde, verzichten. Und im beschaulichen Countryside Museum wird ein Eindruck vom Landleben im frühen 19. Jahrhundert vermittelt.

Ungewöhnlich für eine Gartenanlage ist das Vorhandensein eines Gotteshauses. – Foto Karsten-Thilo Raab

Dass die viktorianischen Gärtner nur wenig Spaß verstanden, davon zeugt übrigens eine Tafel aus dem Jahre 1842. Wie Luthers Thesen in Wittenberg wurden die „Rules und Regulations of the Plant Department in Bicton Gardens“ als ein mahnender Zeigefinger an die Mauer zwischen dem italienischen Garten und den Mediterranean Gardens angeschlagen. Mit Schmunzeln und Staunen kann sich der Gartenfreund ein Bild von den beinharten Arbeitsbedingungen unter Federführung von Chefgärtner James Barnes (1806-77) machen. Bestraft wurden unter anderem der Dienstantritt im schmutzigen Hemd, das Herumlaufen in offenen Schuhen, fluchen und der Gebrauch schmutziger Wörter. Auch wer ein Gartentor nicht wieder schloss oder Werkzeuge und Arbeitsplätze am Ende eines Tages nicht gesäubert und aufgeräumt hat, musste tief in die Tasche greifen. Verstöße gegen die Vorschriften wurden strikt geahndet. Die Strafen lagen bei fünf Prozent des Wochenlohns als Minimum. Die Strafgelder waren direkt am Tag des Vergehens zu entrichten und wurden unter den Gärtner am Jahresende aufgeteilt beziehungsweise für einen wohltätigen Zweck gespendet. Weitere Informationen unter www.bictongardens.co.uk.