Es erscheint uns heute oft wie ein aus der Zeit gefallenes Vergnügen – so wie Zirkus heute eigentlich kaum noch einen vom Hocker haut. Und doch, bei einem Streifzug hinter den Kulissen des Marionettentheaters im österreichischen Salzburg verfällt jeder dem Charme der kleinen, hölzernen Charaktere. Auf dem Spielplan des „großen“, im Jahre 1913 gegründeten Theaters mit seinen „kleinen Darstellern“ stehen mehrere Opern verschiedener Komponisten. Darunter natürlich Mozarts „Die Zauberflöte”, aber auch wie Tschaikowskys Ballettstück „Der Nussknacker” und Saint-Exupérys ewig junger Klassiker „Der kleine Prinz“.
„Wir hoffen, Ihnen gefällt unser ganz neues Angebot“, strahlt Dr. Barbara Heuberger den großen und kleinen Besuchern entgegen. Nach der einstündigen Kurzvorstellung von der „Zauberflöte“ empfängt nun die Figur des „Papageno“ seine Gäste hinter der Kulisse. Beim Gang über die Bühne verrät die die Marionettentheater-Direktorin den Besuchern auch gleich das ein oder andere kleine Geheimnis.
„Der Papagno“, flüstert sie geheimnisvoll, „der braucht langsam neue Federn.“ – „Er stammt ja auch schon aus dem Jahre 1952″, ergänzt Spielerin Eva Wiener von oben herabgebeugt. Geschickt lenkt die gebürtige Klagenfurterin das Holzgestell zwischen ihren Fingern hin und her und erzeugt so, dass die Marionettenfigur des Papageno eine entrüstete Pose annimmt. „Er möchte wohl nicht, dass wir über sein Alter sprechen“, kommentiert die fröhliche Direktorin augenzwinkernd.
„Die lebensnahen Bewegungen sind das A und O“, weiß die 66-jährige weiter zu berichten. „Es dauert bis zu zehn Jahren, bevor man eine Figur bei uns bühnenreif spielen kann. Schließlich muss jeder Finger etwas anderes tun. Wer schon mal versucht hat, sich mit einer Hand auf den Kopf zu klopfen und mit der anderen den Bauch zu kreisen, der weiß, wie schwer das ist“, erklärt Heuberger weiter.
Die heutige Geschäftsführerin hat es vor rund 16 Jahren zum Marionettentheater in Salzburg verschlagen. Sie ist hier Managerin, Sponsoren-Sammlerin, Motor, Puppenmutter und gute Seele des Hauses in Personalunion und dies mit Leib und Seele.
Nachdem die kleine Besuchergruppe, die zum Gang hinter die Kulissen eingeladen worden ist, eine Weile auf Augenhöhe mit Papageno neben der Bühne gestanden und er einigen Schabernack mit den Besuchern getrieben hat, geht es über ein schmales, steiles Leiterchen eine Etage höher. Hier steht man nun auf der Ebene der Marionettenspieler und Thies, ein 51-jähriger Familenvater aus dem Ruhrgebiet nimmt probehalber die Position eines Marionettenspielers ein. Weit vorgebeugt hält er sich ächzend den Rücken.
„Wie hält man das länger als zehn Minuten aus?“, fragt er staunend. „Ach, das ist reine Übung. Und es gibt eine Kopfstütze, an die sich die Spieler zwischendurch anlehnen können. Aber, zugegebenermaßen – alle machen in ihrer Freizeit irgendwelchen Ausgleichssport, es geht schon sehr ins Kreuz, hier täglich so gebeugt zu stehen“, räumt Puppenspielerin Eva Wiener ein.
„Aber richtig anstrengend sind erst unsere Tourneen, die uns bis nach China geführt haben. Da muss unser ganzes Equipement ver- und dann wieder ausgepackt, die Reisebühne aufgebaut werden – aber wir lieben allesamt unseren Job, wir haben uns ganz freiwillig den „Virus Puppitata” eingefangen“, lacht die sympathische Geschäftsführerin des Theaters und steckt die Besucher schnell mit ihrer Begeisterung an.
„Unsere zehn fest angestellten Puppenspieler sind auch gleichzeitig diejenigen, die die Puppen herstellen. Wir haben Schreiner, Schneider, Maler, Schuhmacher und Requisitenbauer unter ihnen“, berichtet die energetische Direktorin nicht ohne Stolz. „Und die meisten bleiben uns lange Jahre treu. Glauben Sie mir, an der Bezahlung kann das nicht liegen, da ist vielmehr Herzblut der Antrieb“, zwinkert die 66-jährige den Besuchern zu.
„Jetzt gehen wir aber mal in das Herzstück unseres Hauses, in die Puppenkammer“, ruft sie unternehmungslustig aus. Rund 1.000 Marionetten hängen in dem kleinen Raum von der Decke. „Hier sind sie also alle zu Hause”, ruft Klara erstaunt aus. Die Sechsjährige geht gleich in die Knie, um mit der Königin der Nacht auf Augenhöhe zu sein. Vorsichtig fasst sie das reich bestickte, wunderschön funkelnde Gewand der Puppe an.
„Ja, die ist wirklich etwas ganz besonderes, unsere Königin“, stimmt Direktorin Heuberger zu und blickt die Figur ebenso verzaubert an. Man merkt, dass die Faszination der Puppen auch nach all den Jahren nicht verblasst.
„Es ist wohl eher so, dass man eine noch engere Bindung zu den kleinen Persönlichkeiten hat, wenn man dabei zugesehen hat, wie sie entstanden sind“, gibt die Theaterleiterin zu. Dann holt sie eine Figur aus der Aufhängung und zeigt den großen und kleinen Hinter-die-Kulissen-Guckern was der „Zettel” aus dem Stück Sommernachtstraum so drauf hat.
„Schauts`mal – es gibt einen Drehmechanismus. Wenn man an diesem Faden zieht, wachsen dem Kopf erst lange Ohren und schließlich kommt ein richtiger Eselskopf zum Vorschein.“
Jede Puppe hat, so scheint es, einen ganz eigenen Charakter. „Der sieht ja aus, als ob er sich gerne mal ein Schnäpschen trinkt“, resümiert Katrin, eine junge Hamburgerin, als sie den Kesselflicker näher betrachtet. „Ja, das stimmt genau“, lacht Barbara Heuberger, „und er kann sogar die Flasche ansetzen und trinken.“
Auch, wer von den großen und kleinen Theaterbesuchern als Zuschauer noch nicht vom Zauber der Marionettenspielerei angesteckt wurde, kann sich der Magie der handgefertigten Puppen nicht mehr entziehen. Jeder findet hinter den Kulissen in Salzburg schnell seine Lieblingsfiguren unter den Matrosen, Schweinen, Dessertschüsseln auf Beinen aus „Alice im Wunderland“ und dem Pferd, das sowohl im Stück „Schneewittchen“ als auch dem „Ring“ auf der Bühne zum Einsatz kam.
„Mir gefällt auch die Hexe aus dem Stück „Hänsel und Gretel“ besonders. Sie kann mit einem einfachen Mechanismus aufgepumpt werden und wird immer dicker“, berichtet Heuberger stolz. „Ja, und alles ist bis ins Detail gestaltet, schaut Euch mal die gekrümmten, gierigen Finger der Hexe an“, sagt Katrin und deutet auf die winzigen, schrumpeligen Hände der bös dreinschauenden Puppe.
„Und der Siebenschläfer hat einen eigenen Faden, um die Augen schließen zu können. Wie süß ist das denn“, ruft Familienvater Thies aus. Ideenreich müssen sie sein, die Puppenbauer. Zum einen, weil die Figuren möglichst echt aussehen sollen, zum anderen, weil nicht allzu viel Geld für Materialien da ist. „Das Geheimnis dieses Elefanten ist die alte Unterhose aus Urgroßmutters Zeiten. Schauen sie mal, die Stoffstruktur – passt doch perfekt, oder?”
Dass die Marionettenmacher über Humor verfügen, zeigt sich an vielen anderen Beispielen. So nahmen sie für die Figur der Königin aus „Alice im Wunderland“ Königin Viktorias Gesicht zum Vorbild.
„Wer hat die Flügel der Walküren entdeckt?” fragt die Marionettenmutter in die Runde. „Die Federn stammen von meinen Zwerghühnern“, berichtet sie mit schelmischer Freude.
„Und jetzt zeige ich Euch noch unsere Krankenstation und unser Ersatzteillager“, kündigt Frau Direktorin mit ausladender Handbewegung an und führt das Besuchergrüppchen in die Werkstätten im ersten Geschoss. In der einen Ecke steht schon der reich geschmückte Weihnachtsbaum für die Nussknacker-Inszenierung. Auf dem Tisch liegen gebrochene Finger und warten darauf repariert zu werden und daneben steht eine ganze Kiste mit Ersatzhänden und -füßen.
„Und die Köpfe, da in der Schachtel, was ist mit denen?“, will ein junger Theaterwissenschaftler wissen. „Das ist unsere Art von Recycling, diese Köpfe können wir bestimmt noch einmal für neue Figuren wieder verwenden.“ weiß Barbara Heuberger zu berichten.
Über das Hintertreppchen führt die rüstige Herrin über viele Tausend Handspielpuppen die Besuchergruppe wieder in das reich dekorierte Theaterfoyer. Das im Barockstil gehaltene Theater bezaubert durch seine schöne Architektur wie seine aufwändige Ausstattung. Der Weg führt vorbei an großen Glaskästen, zahlreichen Zeitungsartikeln und Urkunden. Darunter eine ganz besondere Auszeichnung. Denn seit dem September 2016 steht die Spieltechnik des Theatergründers Eichner auch auf der Liste des immateriellen UNESCO-Weltulturerbes.
So dürfte sichergestellt sein, dass dieses „große Theater“ mit „kleinen Darstellern“ auch nach mehr als 100 Jahre Geschichte nicht nur in den Köpfen der Marionettenheaterbesuchern und Hinter-den-Kulissen-Schnupperern, sondern auch in der Weltgeschichte einen ganz zeitgemäßen Platz einnehmen dürfte.
Informationen: Salzburger Marionettentheater, Schwarzstraße 24, A-5020 Salzburg, Telefon 0043-662-872406, www.marionetten.at
Mortimer
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