Sofia – dem Hauch des Kommunismus auf der Spur

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Größter Raum im Red Flat im bulgarischen Sofia ist das kombinerte Wohn- und Schlafzimmer. – Foto Karsten-Thilo Raab

Ein wenig unscheinbar duckt sich der Eingang zwischen einem Dessous-Geschäft und einem leerstehenden Ladenlokal in der Tsar Asen Straße in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Kein Schild, keine Klingel deutet daraufhin, dass sich in einer kleinen Wohnung im zweiten Stock die Tür zu einer Zeitreise in die sozialistische Vergangenheit Bulgariens öffnet. Erst seit dem Frühjahr 2019 befindet sich hier ein kleines, privates Museum zum Kommunismus in der Balkanrepublik. Das Red Flat präsentiert dabei eine typische Arbeiterwohnung aus jener Tagen.

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Stolz präsentiert Museumsgründer Valeri Gyurov seine Sammlung im Red Flat. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Das kommunistische Zeitalter wird in Bulgarien weitgehend totgeschwiegen“, unterstreicht Museumsgründer Valeri Gyurov, dass in seiner Heimat der Geschichtsunterricht in der Schule im Jahre 1945 endet. Auch im sehenswerten Nationalmuseum in Sofia etwa endet die Ausstellung zur Geschichte des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg. Die sozialistische Ära spielt hier keine Rolle. Genau dies wollen Valeri Gyurov und seine Mitstreiter ändern.

Auf dem Esstisch in der Küche laufen historische Sendungend es Staatssenders in Endlosschleife. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Obwohl der Kommunismus in den Staaten Osteuropas ab Ende der 1980er Jahre mehr und mehr verschwunden ist, haben gut viereinhalb Jahrzehnte deutliche Spuren in unserer Kultur und Denkweise hinterlassen“, will der gelernte Architekt das Seine dazu beitragen, mit Hilfe des Red Flats auch nachfolgenden Generationen einen Einblick in das Lebensgefühl während des Kalten Kriegs im Ostblock zu vermitteln.

Fotoalben mit historischen Bildern zeugen vom Leben der fiktiven Familie. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die „rote Wohnung“ wirkt tatsächlich ein wenig aus der Zeit gefallen. Sie ist ein kleine Fundgrube von Alltagsgegenständen aus der letzten Dekade des Kommunismus in Bulgarien. Erzählt wird die Geschichte der fiktiven Familie Petrovi, basierend auf realen Personen und deren Erfahrungsberichten. Die einzelnen Zimmer sind voll mit Möbeln, Dekoartikeln und Alltagsobjekten aus jenen Tagen. Auch persönliche Gegenstände wie Fotoalben oder Kleidung fehlen nicht. Und das Besondere: Anfassen ist ausdrücklich erlaubt.

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Wer mag, kann in die Klamotten aus dem Kleiderschrank im Red Flat schlüpfen. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Es gibt keine Grenze zwischen Besucher und Objekt“, verweist Valeri, der sein Studium im baden-württembergischen Stuttgart absolvierte und fließend Deutsch spricht, auf die Tatsache, dass im Red Flat jeder alles berühren und ausprobieren darf.

Im Kinderzimmer sorgen Spielzeug und das markante Fahrrad für Erinnerungen an längst vergangene Tage. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Die Gäste soll sich hier fühlen, als seien sie bei Oma und Opa zu Besuch“, betont der sympathische junge Bulgare das Eigenverständnis des kleinen Museums. Entsprechend können die Besucher in ihrem eigenen Tempo die einzelnen Räumlichkeiten Stück für Stück erkunden. Ein englischsprachiger Audioguide erläutert dabei an 46 Stationen die Besonderheiten der damaligen Lebensart.

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Ein Wandbild zeigt das vermeintliche Paar, das im Red Flat zu Hause ist. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die Aufnahmen spiegeln den Alltag, die Sogen, Nöte und Freuden des Ehepaars Elena und Plamen Petrovi und deren Sohn Boyan wider. Dabei müssen Frau und Kind gemäß der fiktiven Geschichte derzeit ohne den Herrn des Hauses auskommen. Denn Plamen versucht, den Lebensunterhalt im fernen Libyen zu verdienen.

Auf dem kleinen Wohnzimmertisch steht ein Kaffeeservice bereit. – Foto Karsten-Thilo Raab

Das komplett möblierte Red Flat besteht aus einem kleinen Flur mit Garderobe, einem Esszimmer und einem Wohnzimmer, in dem auch das Bett von Elena steht. Um etwas Privatsphäre zu genießen, kann sie einen Vorhang zwischen den beiden Räumen zuziehen. Im Wohnzimmer finden sich grüne Sessel mit gelbem Fell, ein kleiner Tisch mit einem Kaffeeservice, ein Fernseher, ein Radio und eine Schrankwand. Letztere ist eine wahre Fundgrube. Hier lagern Ausweispapiere, Verdienstmedaillen, Bücher, eine Schreibmaschine und vieles mehr.

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Auch die Küche im red Flat ist noch immer komplett eingerichtet. – Foto Karsten-Thilo Raab

Im Kinderzimmer lassen sich nicht nur ein Bonanza-Rad und diverse Spielzeuge in Augenschein nehmen. Hier wartet ein gefüllter Kleiderschrank auf die Inspektion. Wer mag, kann einmal in die Klamotten der 1980er Jahre schlüpfen und diese besondere Erfahrung auch mit einem Selfie festhalten.

Er spartanisch wirkt die Spüle in der kleinen Wohnung. – Foto Karsten-Thilo Raab

In der kleinen Küche laufen in einem Fernseher – ebenso wie in dem TV-Gerät im Wohnzimmer – Archivaufnahmen des nationalen Fernsehsenders in einer Dauerschleife. Da ist mal der „sozialistische Bruder“ Erich Honecker zu hören und zu sehen, mal mit Todor Zhivkov der einstige Staatschef und Erste Sekretär der Bulgarischen Kommunistischen Partei.

Die Küchenschränke sind weiter voll bestückt. – Foto Karsten-Thilo raab

Wer mag, kann auch auf dem Plattenspieler bulgarische Musik der 1980er Jahre abspielen. Ungewöhnliche Unterhaltung bietet zudem das Telefon. Wer den Hörer abnimmt, kann – wie es in den 1980er Jahren bei bulgarischen Kindern üblich war – einigen Märchen am sprechenden Knochen lauschen. Noch rustikaler ist es, auf der kleinen Toilette einen Blick in die Tageszeitung von damals zu werfen.

Pässe und andere Dokumente zeugen von längst verganger Zeit. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die Küchenschränke sind selbstverständlich komplett bestückt mit Geschirr, Töpfen und Kochutensilien, aber auch mit (abgelaufenen) Konserven und Vorräten für den Winter. Obschon im Red Flat alles angefasst und ausprobiert werden kann, empfiehlt es sich, unbedingt auf eine Kostprobe zu verzichten. Dies gilt auch für das mehr als 40 Jahre alte Pleven-Bier im Kühlschrank und die nicht minder alten BT-Zigaretten.

Via Telefon lässt sich im Red Flat alten Märchen lauschen. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Ich glaube, anschaulicher lässt sich der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft in Bulgarien nicht vermitteln“, betont Valeri nicht ohne Stolz. Gleichzeitig verrät der Architekt, noch weitere Projekte in der Pipeline zu haben. Denn er hat im Laufe der Jahre rund 5.000 Plakate aus der kommunistischen Zeit zusammengetragen. Auch diese möchte er der geneigten Öffentlichkeit in einer (Dauer-) Ausstellung zugänglich machen. Allerdings mangelt es aktuell noch an geeigneten Räumlichkeiten. Vielleicht wird ja bald in dem unscheinbaren Haus an der Tsar Asen Straße noch ein anderes Apartment frei…

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Beim Blick auf die Wandmalerei ahnt kaum jemand, welches Kleinod in der Tsar Asen Straße in Sofia schlummert. – Foto Karsten-Thilo Raab

Allgemeine Informationen: www.bulgariatravel.org/de/

Red Flat: 12 Tsar Asen Straße, Bulgarien, Sofia, info@redflatsofia.com, https://redflatsofia.com. Tickets sind in der Querstraße (24 Ivan Denkoglu) im Geschäft „Gifted“ erhältlich. Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18 Uhr

Völlig unscheinbar wirkt das Haus, in dem das Red Flat liegt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Eintritt: 18 Bulgarische Lew (BGN). Dies entspricht 9 Euro.

Essen & Trinken: Wer den Hauch des Kommunismus auch beim Essen verspüren möchte, dem sei der Besuch des Raketa ((Boulevard Yanko Sakazov 17, 1527 Sofia Center, Sofia, Bulgarien, Tel. 00359-2444-6111, http://raketarakiabar.bg) empfohlen. Das populäre Restaurant am Rande des Saimow Parks ist vollgestopft mit Devotionalien aus der Ära zwischen 1945 und 1990.

Weder an der Klingel noch im Treppenhaus deutet irgendetwas auf das kleine Museum hin. – Foto Karsten-Thilo Raab

Tipp: Kostenlose Stadtrundgänge bietet Free Sofia Tour zu verschiedenen Themen in Englisch an. Startpunkt ist täglich um 11 Uhr am Justizpalast. Um Spenden wird am Ende der Tour gebeten. Informationen unter Tel. 00359-988-920461, info@freesofiatour.com, www.freesofiatour.com