Ruhrgebiet – Halden-Hopping im Land der künstlichen Berge

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Zu den Landmarken auf den Halden des Ruhrgebiets gehört die „Himmelstreppe“ auf der Halde Rheinpreußen in Gelsenkirchen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Das „schwarze Gold“ wird im Kohlenpott schon lange nicht mehr gefördert, auch wenn mit Prosper-Haniel in Bottrop die letzte Zeche erst im Jahre 2018 endgültig geschlossen wurde. Gleichwohl kann und will das Ruhrgebiet seine Bergbauvergangenheit nicht leugnen. Das zeigt sich im UNESCO-Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen, im faszinierenden Landschaftspark Duisburg-Nord, aber auch in den unzähligen alten Fördergerüsten und Bergarbeitersiedlungen, die heute noch im „Pott“ zu finden sind. Eine besondere Rolle nehmen zudem die vielen begrünten Halden ein, die das Ruhrgebiet zum „Land der künstlichen Berge“ haben werden lassen.

Der Abraum der ehemaligen Zechen war oft über Jahrzehnte aufgeschüttet worden. Nach dem Ende des Bergbaus wurden die Flächen verdichtet und begrünt. Mehr noch wurden viele Halden, die vielfach längst zu Freizeitarealen mit ausgedehnten Rad- und Wanderwegen und vielfältigen Freizeitmöglichkeiten avancieren, mit besonderen Kunstobjekten und Installationen verziert. Nachfolgend findet sich eine Übersicht über einige der faszinierendsten „Haldenzeichen“:

Tetraeder – ein Hauch von Gizeh über Bottrop

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Weithin sichtbare Pyramide: Der Tetraeder in Bottrop. – Foto Karsten-Thilo Raab

Sie ist ein Stück sichtbare und begehbare Mathematik und doch hat niemand damit gerechnet, dass von der Errichtung der 50 Meter hohen, dreiseitigen Pyramide dereinst eine Magnetwirkung ausgehen würde – und dies im doppelten Sinne. Zum einen lockt der Tetraeder Menschen aus Nah und Fern zur Halde an der Beckstraße in Bottrop, zum anderen war er Vorreiter für viele weitere Halden im Ruhrgebiet, die begrünt und mit markanten Landmarken versehen wurden.

Offiziell trägt das rund 1,2 Millionen Euro teure Stahlrohr- und Gussknoten-Gebilde den Namen „Haldenereignis Emscherblick“, auch wenn dieser kaum geläufig ist. Mathematisch versierte Besucher erkennen in dem von Wolfgang Christ entworfenen Tetraeder gleich die Struktur des dreidimensionalen Analogon zum Sierpinski-Dreieck. Frei geformte Treppen- und Aussichtsplattformen machen das 210 Tonnen schwere Kunstwerk begehbar, lassen aber nicht nur diejenigen, die nicht schwindelfrei sind, und Besucher mit Höhenangst ein wenig blass um die Nase werden. Denn zum einen geben die Gitter der mittels von Drahtseilen gehaltenen Treppen permanent den Blick nach unten frei, zum anderen schwankt das Konstrukt im Wind. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die oberste der drei Aussichtsplattformen in 38 Metern Höhe noch um acht Grad geneigt ist.

Tiger & Turtle – Spaziergang auf der Achterbahn

Begehbare Achterbahn: Die Installation Tiger & Turtle Turtle in Duisburg. – Foto Karsten-Thilo Raab

Der Angerpark in Duisburg ist längst von einer Industriebrache zu einem Ort des Vergnügens geworden. Wobei als Spaßgarant eine auf 17 Stützen montierte Großskulptur fungiert. „Tiger & Turtle” sind 90 Tonnen geschwungener Stahl mit Erlebnischarakter. Denn allein auf Schusters Rappen geht es hier über eine 220 Meter lange Achterbahn. Allerdings wird der Looping ausgespart. Dieser ist zwar eingebaut, doch eine Sperre verhindert das Weiterlaufen mit dem Kopf nach unten. Wobei der Tiger & Turtle – Magic Mountain eigentlich keine Achterbahn ist, sondern nur optisch an eine solche gemahnt.

Die 2011 eröffnete Großskulptur des Künstlerduos Heike Mutter und Ulrich Genth thront mit einer Höhe von 20 Metern auf der 63 Meter hohen Heinrich Hildebrand Höhe im Süden von Duisburg. Mit jedem Schritt über die Gitterböden der weithin sichtbaren Landmarke die spiralförmigen Windungen hinauf, eröffnen sich neue Perspektiven auf die Montanstadt, den Rhein und die umliegende Landschaft bis hin zum Düsseldorfer Fernsehturm und dem Gasometer in Oberhausen.

Leuchtende Montankunst – Halde Rheinpreußen

Das Geleucht auf der Halde Rheinpreußen in Moers wird abends prachtvoll illuminiert. – Foto Karsten-Thilo Raab

In Moers haben sie im wahrsten Sinne des Wortes allabendlich die Lampe mächtig an. Was nicht bedeutet, dass das Gros der 105.000 Einwohner volltrunken durch die Gegend torkelt. Vielmehr sehen die Bewohner rot – zumindest, wenn sie Richtung Halde Rheinpreußen blicken. Allabendlich wird der mit dem Abraum der Zeche gleichen Namens aufgeschüttete, 75 Meter hohe Berg spektakulär illuminiert. Dabei wird neben einem 8.000 Quadratmeter großen Ausleuchtungsfeld mit 35 Leuchtmasten die von Otto Piene geschaffene Skulptur „Das Geleucht“ besonders ins Licht gerückt. Die knapp 30 Meter hohe, begehbare Stahlkonstruktion hat einen Durchmesser von 6,5 Metern und verfügt in 9,5 Metern Höhe über eine Aussichtsplattform. Von hier bietet sich ein 360-Grad-Rundumblick auf den Niederrhein und bei klarer Sicht bis in die benachbarten Niederlande.

Optisch ist „Das Geleucht“, das weltweit größte Montankunstwerk gilt, der Davy-Lampe nachempfunden. Dieses Utensil, benannt nach dessen Erfinder, dem Engländer Sir Humphry Davy, hatte bei seiner Einführung die Sicherheitslage unter Tage im frühen 19. Jahrhundert revolutioniert. Zuvor arbeiteten die Bergleute im Licht offener Flammen, was die Gefahr von Schlagwetterexplosionen beim Austreten der Grubengase immens erhöhte. Davy fand heraus, dass ein hochexplosives Methan-Luftgemisch sich in engen Röhren mit weniger als 3,5 Millimetern Durchmesser und einem Drahtnetz mit ausreichend feinen Maschen nicht entzündet.

Halde Rheinelbe – dem Himmel so nah

Die Himmelstreppe reicht zumindest optisch bis in den Himmel. – Foto Karsten-Thilo Raab

Im Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf an der Stadtgrenze zu Bochum-Wattenscheid erhebt sich die gut 19 Hektar große Halde Rheinelbe 106 Meter in die Höhe. An ihrem höchsten Punkt errichtete Künstler Herman Prigann eine mit Silberlack besprühte, zehn Meter hohe Skulptur. Als eine der markantesten Landmarken im Ruhrgebiet besteht die sogenannte „Himmelstreppe“ aus mächtigen Betonblöcken der Kokerei Königsborn, die in der Form einer Treppe aufgestapelt wurden und förmlich in den Himmel ragt.

Schurenbachhalde – bizarre Mondlandschaft

Die Bramme auf der Schurenbachhalde in Essen könnte Kulisse für ein Weltraumabenteuer sein. – Foto Karsten-Thilo Raab

Das Plateau der 50 Meter hohen Schurenbachhalde in Essen erinnert optisch ein wenig an ein Mondpanorama ohne Krater. Die Fläche ist völlig baum- und strauchlos. Sieht man einmal von dem einen oder anderen Wildwuchs hier ab. Einziger Fixpunkt in der Weite dieser fast flachen Bergkuppe ist eine mächtige Walzstahlplatte, die sich senkrecht aus der Mitte der Schurenbachhalde erhebt. Die überaus minimalistische Plastik wurde vom Amerikaner Richard Serra entworfen und trägt den Namen „Bramme für das Ruhrgebiet“. Aufgrund seiner exponierten Lage hat das 14,5 Meter hohe Stahlmonstrum fast schon eine magnetische Anziehungskraft und scheint mit jedem Schritt, dem man den Kunstwerk näher kommt, ein wenig zu wachsen. 67 Tonnen schwer ist die exakt in Ost-West-Richtung ausgerichtete Landmarke, dabei 4,2 Meter breit und mit 13,5 Zentimeter kaum dicker als ein guter Roman.

Spurwerkturm – Haldenzeichen mit Weitblick

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Der Spurwerkturm auf der Halde Brockenscheidt in Waltrop ist aus alten Bergbaumaterialien gefertigt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Direkt angrenzend an das ehemalige Gelände der prachtvoll hergerichteten Zeche Waltrop liegt der Halde Brockenscheidt. Auf ihr thront mit dem Spurwerkturm ein ebenfalls weithin sichtbares Haldenzeichen. Künstler Jan Bormann errichtete im Jahre 2000 aus rund 1.000 Metern Spurlatten, also mit jenen Hartholzbalken, mit denen die Fahrkörbe in den Bergbauschächte in der Spur gehalten wurden, die begehbare Turmkonstruktion mit einer Gesamthöhe von 20 Metern. Von der Aussichtplattform eröffnet sich ein Rundumblick über die Zeche und Waltrop bis hin nach Castrop-Rauxel, Lünen und Dortmund.

Halde Hoheward – Sonne im Blick

Das Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward in Herten eröffnet ganz neue Perspektiven. – Foto Karsten-Thilo Raab

Aus Aufschüttungen der Zechen Recklinghausen II, Ewald und General Blumenthal-Haard entstand zwischen Herten und Recklinghausen mit der Halde Hoheward eine rund 150 Meter hohe Berghalde. Wahrzeichen der riesig großen Halde, die über ein weitläufiges System an Wegen, Aufgängen, Stiegen und Aussichtspunkten verfügt, sind eine fast 3.000 Quadratmeter große Sonnenuhr mit Obelisk sowie das Horizontalobservatorium. Letzteres besteht aus einer kreisrunden, ebenen Fläche mit 88 Metern Durchmesser, einem abgesenkten Forum in der Mitte und zwei Bögen mit einem Radius von knapp 45 Metern. Das Horizontobservatorium soll eine moderne Version prähistorischer Steinkreise darstellen. Aus der Mitte der Skulptur breitet sich das Plateau der Halde in alle Richtungen wie ein künstlicher Horizont aus und mit Hilfe einiger Peilmarken können der Auf- und Untergang der Sonne zur Sommersonnenwende oder Wintersonnenwende perfekt beobachtet werden.

Halde Haniel – Totems und Papst-Gedenken

Die Totems setzen farbige Tupfer auf der Halde Haniel in Bottrop. – Foto Karsten-Thilo Raab

159 Meter hoch türmt sich die Halde Haniel in Form zweier Spiralen an der Stadtgrenze zwischen Bottrop und Oberhausen-Königshardt auf. Auf der sichelförmigen Anhöhe, die zugleich den höchsten Punkt des künstlichen Berges markiert, sorgen seit dem Jahr 2000 mehr als einhundert senkrecht im Boden verankerte und farbig gestaltetet Eisenbahnschwellen für einen ungewöhnlichen Blickfang. Die „Totems“, wie die Installation des Spaniers Agustín Ibarrola offiziell genannt wird, sollen die Gegensätze von Industrieraum und Natur wiederspiegeln.
An der Südseite der Halde befindet sich ein Gipfelkreuz, das anlässlich des Besuches von Papst Johannes Paul II. im Jahre 1987 aus Spurlatten des nahen Bergwerks angefertigt wurde. Es ist Teil eines Kreuzwegs mit 15 Stationen, der in Form eines Lehrpfades mit Maschinen und Geräten aus dem Bergbau gestaltet wurde.

Weitere Informationen unter www.route-industriekultur.de.