Rijeka zwischen Turban und Torpedo

Rijeka
Eine der Landmarken in Rijeka ist das kroatische Nationaltheater. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Eigentlich wollte sich Rijeka im Jahre 2020 als Europas Kulturhauptstadt ins internationale Rampenlicht katapultieren. Trotz jahrelanger, akribischer Vorbereitung wurde das prestigeträchtige Vorhaben weitgehend vom Corona-Virus im Keim erstickt. Die pandemiebedingten Reisebeschränkungen sorgten dafür, dass sich die mit 125.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Kroatiens nicht wie erhofft, einem internationalen Publikum präsentieren konnte. Dabei hat die Hafenstadt am Nordende der inselreichen Kvarner-Bucht nicht nur für Kulturbeflissene durchaus einiges zu bieten.

Wie einst Berlin war Rijeka über Jahrzehnte eine geteilte Stadt. Jedoch ohne Mauer. Stattdessen bildete der Fluss der 125.000-Seelen-Gemeinde, der Rječina, lange Jahre eine Staatsgrenze inmitten der Stadt. Zwischen 1465 und 1918 gehörte St. Veit am Flaum oder Fiume, wie Rijeka die meiste Zeit genannt wurde, mit kurzen Unterbrechungen zur Habsburger Monarchie. Nach dem Ersten Weltkrieg genoss Fiume von 1920 bis 1924 den Status eines unabhängigen Freistaates, ehe es Italien zugeschlagen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Rijeka auf Geheiß der alliierten Siegermächte an die Volksrepublik Jugoslawien angegliedert, ehe es 1991 mit der Unabhängig von Jugoslawien Teil Kroatiens wurde.

Fünf Pässe im Laufe eines Lebens

Rijeka
In Rijeka finden sich zahlreiche imposante Prachtbauten. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Es ist schon verrückt. Hoch betagte Menschen besaßen im Laufe ihres Lebens fünf verschiedene Nationalitäten, ohne jemals die Stadt verlassen zu haben“, so Martina Spinčić mit Blick auf die bewegte Geschichte von Rijeka, das im Jahre 1750 bei einem schweren Erdbeben fast komplett zerstört wurde.

Nur wenig erinnert noch an das Kulturhauptstadtjahr. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Unter dem historischen Mäntelchen hat sich Rijeka zu einer pulsierenden Metropole mit zahlreichen Attraktionen entwickelt“, ergänzt die eloquente Stadtführerin mit dem blondbraunen Haar und der farblich fast identischen Bluse nicht ohne Stolz. Dabei ist Spinčić bewusst, dass das Stadtbild durchaus konträr ist.

Pisas wenig bekannte Konkurrenz

Rijeka
Geschäftiges Zentrum ist der Korzo mit dem augenfälligen Stadtturm. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Am Wasser dominieren imposante Paläste und Prachtbauten aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, während sich am Rande der Innenstadt nur bedingt ansehnliche Industriebauten sowie Plattenbauten und Hochhäuser aus der sozialistischen Tito-Ära in die Höhe strecken. Überragt wird die Rijeka von der mittelalterlichen Festung Trsat und dem angrenzenden Kloster, zu dem 561 Stufen hinauf führen. Von hier bietet sich ein herrlicher Panoramablick auf die Hafenstadt, die Kvarner-Bucht und das nahe gelegene Učka Gebirge.

Ungewöhnliche Skulptur auf dem Korzo. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Rijeka hat sogar seinen eigenen schiefen Turm. Da ist auch weniger Rummel als in Pisa“, nennt Martina Spinčić augenzwinkernd eine weitere Besonderheit. Ein paar Meter neben dem Mariendom, der mit seiner barocker Ausstattung punktet, erhebt sich das 33 Meter hohe Kalksteingemäuer, das sich gut sichtbar um 40 Zentimeter zur Seite neigt. Markantester Turm und Wahrzeichen der Stadt ist jedoch der Stadtturm im Herzen der Altstadt. Zu seinen Füßen breitet sich mit dem Korzo die wichtigste Flanier- und Einkaufsmeile Rijekas mit zahlreichen imposanten Prunkfassaden aus. Auffällig ist hier auch die hohe Zahl an Cafés mit Außengastronomie.

Straßen-Philosophen

Rijeka
Ein absoluter Blickfang: Das Kapuzinerkirche Maria Lourdes. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Wenn wir Kaffee trinken, sind wir alle Hobby-Politiker und Philosophen – vor allem unter freiem Himmel“, plaudert Martina Spinčić ein wenig aus der Seele der lediglich noch gut 125.000 Einwohner. Dann wird die Blondine für einen Moment ganz ruhig. Nachdenklich bilanziert sie, dass kaum eine andere Stadt in Kroatien in den letzten Jahrzehnten einen größeren Einwohnerverlust zu beklagen hatte als Rijeka.

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Ungewöhnliche Einblicke vermittelt das Tunnelsystem unter der Altstadt. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Die Industrie ist weitgehend verschwunden. Die ehemals staatlichen Unternehmen konnten nach dem Zusammenbruch des Sozialismus nicht mehr wirtschaftlich agieren“, erläutert die gertenschlanke Gästeführerin, um sich dann wieder den Besonderheiten ihrer Heimatstadt zu widmen. Dazu gehören etwa das römische Portal Rimski Luk aus dem 4. Jahrhundert, der Palast des Industriellen Hannibal Ploech, die imposante Marineakademie oder die gut einhundert Jahre alte Kapuzinerkirche Maria Lourdes. Nicht zu vergessen, der runde Kirchenbau Sv. Vid mit seiner mächtigen Kuppel.

Geburtsstätte des Torpedos

Kirche Sv. Vid besticht durch ihre Rundbauweise. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Während in den Mauern des barocken Gotteshauses eine Kanonenkugel als stummer Zeuge an einer kriegerische Auseinandersetzung zwischen den französischen Besatzern und den Engländern prangert, geht es nur wenige Meter entfernt hinab in Rijekas Unterwelt. Angelegt wurde das Tunnelsystem unter der Altstadt zum Schutze der Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs. Noch heute lässt sich in dem 350 Meter lange Gangsystem der Hauch der Geschichte einatmen.

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Schmucke kleine Läden finden sich in der Altstadt von Rijeka. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Ganz eng ist Rijekas Historie auch mit der Kriegsmaschinerie verknüpft. Denn der einheimische Ingenieur Giovanni Luppis (Kroatisch: Ivan Lupis-Vukić) entwickelte um das Jahr 1860 den ersten schraubenbetriebenen Torpedo der Welt und veränderte so die Kriegsführung in den Weltmeeren entscheidend. Der englische Ingenieur und Geschäftsmann Robert Whitehead gründete schließlich 1873 in Fiume eine erste Torpedofabrik. Deren (Test-) Abschussrampe kann noch heute in Augenschein genommen werden.

Turban als Glückssymbol

Die Cafés auf dem Korzo erfreuen sich großer Beliebtheit. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Die Brücke zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt wird zudem eindrucksvoll auf dem Benčić-Gelände geschlagen. Das ehemalige Fabrikgelände avanciert nach Investitionen in Millionenhöhe heute zur kulturellen Drehscheibe von Rijeka. Neben der Stadtbibliothek sind hier ein Kreativzentrum für Kinder, ein Kunstkino, ein Puppentheater, das Stadtmuseum sowie das Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst (MMSU) angesiedelt.

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Ein Morčić-Mosaik an einer Altstadt-Fassade. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Ein Symbol für die bewegte Vergangenheit Rijekas ist der morčić, ein schwarzer Kopf mit Turban, der an vielen Ecken der Stadt zu finden ist“, erzählt Martina Spinčić mit Blick auf ein geschichtsträchtiges Ereignis, das noch heute allgegenwertig ist: Der Legende nach wollten die Türken die Stadt erobern, wurden aber von einigen Wagemutigen mit Steinen vertrieben. Auf der Flucht sollen sie ihre Turbane verloren haben. Seither gilt die Kopfbedeckung als Glückssymbol in Rijeka.

In Winnetous Schatten

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Im Stadtmuseum in der ehemaligen Zuckerfabrik wird auch das Thema Auswanderung thematisiert. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Ein wenig sonnt sich die auf fünf Hügeln errichtete Hafenstadt zudem in filmischen Ruhm. Schließlich wurden die legendären Winnetou-Filme im Speckgürtel von Rijeka abgedreht.

Das Stadtmuseum lädt zu einem Streifzug durch die Geschichte von Rijeka. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Wenn man bei den Filmen genau hinschaut, soll man angeblich unsere typisch orangen Busse als Reflektion sehen können“, beteuert Martina Spinčić, um gleich den Bogen zu einer weiteren Besonderheit zu schlagen. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts war Rijeka für Hunderttausende verzweifelter Menschen Startpunkt für die Auswanderung nach Amerika. Ab 1903 gab es eine Direktverbindung nach New York. Im Jahre 1906 erlebte die Emigration einen Höhepunkt, als sich fast 50.000 Auswanderer von Rijeka nach Amerika einschifften. Und irgendwie scheint es, als würde die 1,7 Kilometer lange Hafenmole symbolisch für die Sehnsüchte der Auswanderer stehen.

Theaterglanz und Markttreiben

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Beliebter Einkaufstreff sind die historischen Markthallen. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Nur einen Steinwurf entfernt weiß das kroatische Nationaltheater seit 1885 die Kulturbeflissen und Besserverdienenden in seinen Bann zu ziehen. Direkt gegenüber tummelt sich derweil Otto-Normal-Verbraucher, um sich in den drei historischen Markthallen täglich mit frischen Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch einzudecken. Und wie überall in Rijeka liegen auch hier das Gestern und das Morgen eng beieinander.

Wissenswertes zu Rijeka in Kurzform

Rijeka
Zahlreiche Bauten aus der Habsburger-Zeit prägen den Korzo. – Foto: Karsten-Thilo Rraab

Informationen: www.visitrijeka.eu und www.kvarner.hr

Anreise: Eurowings bietet von vielen deutschen Flughäfen ab 29,99 Euro Direktflüge nach Rijeka und Zagreb an; von Zürich ab 109,99 Euro. Austrian Airlines bietet Direktflüge nach Zagreb ab 99 Euro an.

Leibliche Genüsse

Kukuriku
Das Restaurant des Kukuriku wird gehobenen Ansprüchen überaus gerecht. – Foto Karsten-Thilo Raab

Essen & Trinken: Kukuriku, Trg Lokvina 3, 51215 Kastav, Kroatien, Tel. 00385-(0)51- 691519, www.kukuriku.hr. Slow Food Genuss im verträumten Bergstädtchen Kastav. Aromen und Geschmäcker von Fisch und Meeresfrüchten stehen im Mittelpunkt, bereichert durch Produkte aus den nahen Berg- und Naturparks des Hinterlandes. Klassiker sind die Carpaccios und Risottos.

Restaurant Konoba Nada, Glavača 22, 51516, Vrbnik, Kroatien, Tel. 00385- (0)51-857065, www.nada-vrbnik.hr. Genuss typisch kroatischer Gerichte mit Blick auf die Kvarner Bucht.

Sich entspannt betten

Miramar
Das Miramar Hotel liegt direkt an der Opatija Riviera und bietet entsprechenden Zugang zur Adria. – Foto Karsten-Thilo Raab

Übernachten: Miramar, Ive Kaline 11, 51410 Opatija, Kroatien, Tel. 00385-(0)51-280000, www.hotel-miramar.info. Das Vier-Sterne-Superior-Hotel direkt an der Adria bietet Doppelzimmer ab 110 Euro pro Nacht an.

Hotel Kvarner Palace, Ul. Bráce Dr. Sobol 1, 51260 Crikvenica, Tel. 00385-(0)51-380000, www.kvarnerpalace.info. Die Hotel-Ikone mit dem Charme der k.u.k. Monarchie bietet Doppelzimmer ab 95 Euro pro Nacht an.

Badevergnügen und närrisches Treiben

Glasklares Wasser prägten die Badeplätze in der Kvarner-Bucht. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Baden: Wer nach einem Marsch hinauf zur Trsat-Festung ein bisschen Abkühlung braucht, dem seien die Strände der Stadt ans Herz gelegt. Der „Bivio“ ist eine Bademeile mit unterschiedlichen Abschnitten: Fels, Kies, ein betonierter und ein barrierefreier Abschnitt. Auch am „Pećine“ herrscht quirliges Strandleben mit zahlreichen Bars.

Wissenswertes: Seit 1982 findet in Rijeka der Karneval statt. Jährlich besuchen über 120.000 Zuschauer den Karneval, der von Mitte Januar bis Ende Februar stattfindet. Am Umzug nehmen über 10.000 Aktive teil, die in ca. 150 Gruppen organisiert sind.