Massenauflauf am Mount Everest

Die Mutter aller Berge, der Mount Everest, von Tibet aus gesehen. (Foto: Luca Galuzzi)
Die Mutter aller Berge, der Mount Everest, von Tibet aus gesehen. (Foto: Luca Galuzzi)

Das ist der Gipfel, der absolute Gipfel. Und alle wollen hin. Vielleicht weil er der Größte ist. Und was wäre großartiger, als den Größten zu bezwingen? 8.848 Meter hoch ragt der Mount Everest in den Himmel auf. Für jeden Höhenmeter scheinen sich kilometerlange Schlangen von Menschen zu bilden, die sich als Gipfelstürmer üben wollen – wohl auch, um dem Himmel auf Erden zu Fuß ein gutes Stück näher zu kommen. Teilweise ist das Gedränge so groß, dass selbst die Autobahnen A8 und A1 zu Ferienbeginn fast schön verödet anmuten. Der Stau am Fuße des Mount Everest ist größer als der obligatorische Freitagsstau am berüchtigten Kamener Kreuz.

Los getreten wurde die Menschenlawine vor sechs Jahrzehnten, als es dem Briten Edmund Hillary am 29. Mai 1953 zusammen mit dem Sherpa Tenzing Norgay gelang, die Mutter aller Berge zu erklimmen. Am 8. Mai 1978 waren es dann Reinhold Messner und Peter Habeler, die den Gipfel erstmals ohne zusätzlichen Sauerstoff erreichen sollten. Seither verfolgen wir atemlos, wie immer mehr Menschen ihre eigene Erstbesteigung zelebrieren wollen, was an sich schon der Gipfel ist. Der Andrang ist bisweilen so groß, dass ernsthaft überlegt werden sollte, den Mount Everest wegen Überfüllung zu schließen.

Nicht wenige fragen sich, wann endlich die sonst so kleinlichen Ordnungsbehörden eingreifen und – wie bei allen Versammlungsstätten – bauordnungsrechtliche Vorschriften durchsetzen? So mangelt es überall am Mount Everest an Notausgängen und Fluchttreppen. Für die Einsatzkräfte der Feuerwehr fehlt es nicht nur an einer geeigneten Zufahrt, sondern auch an Hydranten und Wasserentnahmestellen, um etwaige Großbrände zu löschen. Wobei Flächenbrände hier zumeist entstehen, wenn einer aus der langen, sich schneckenmäßig bewegenden Hobby-Bergziegen-Reihe zum Überholen ausschert. Was automatische Schererreihen hervorruft.

Auch Umweltschützer heben warnend die Steigeisen, wird doch die Bergewelt  des Mount Everest mehr und mehr zugemüllt. Was auch an dem mangelnden Entsorgungskonzept und der fehlenden Mülltrennung liegt. Nirgendwo stehen ordentliche Mülleimer, Altglascontainer oder Papiersammelstellen. Stattdessen liegen überall Speisereste, Verletzte und teilweise sogar Tote rum. Was unter Marketinggesichtpunkten überaus geschäftsschädigend ist. Was wirft das denn für ein Licht auf einen Besuchermagneten wie den Mount Everest, wenn hier verletzte Bergsteiger einfach so in abgelegenen Schluchten vor sich hin vegetieren, nur weil die Rettungskräfte dort nicht hingelangen?

Es wird Zeit, dass hier ein generelles Absturzverbot für Bergsteiger verfügt wird. Sonst kommt es noch soweit, dass auf dem Weg zum Gipfel auch noch Berge mit menschlichen Überresten erklommen werden müssen. Und wie enttäuschend muss es sein, wenn man den Gipfel dann doch irgendwann erreicht hat, und feststellen muss, dass man nicht der erste Rothaarige, Einbeinige, Laktoseintolerante oder FDP-Wähler ist, der es hier hoch geschafft hat.

Thekenbrust-CoverAllen, die derartige Enttäuschung vermeiden wollen, sei daher angeraten, sich statt in ungeahnte Höhen, in die Tiefen des Erdballs aufzumachen. Zum Beispiel in den 11.034 Meter tiefen Marianengraben im Pazifik. Da unten war noch niemand. Da lässt sich noch echter Pioniergeist erleben. Dort herrschen keine drangvolle Enge und kein Andrang.

Man muss nicht ständig Angst haben, abzustürzen und dort ist es – anders als am Mount Everest – auch egal, ob es gerade mal nebelig ist. Und die Betreiber des Marianengrabens müssten sich keine Sorgen um Verletzte oder Tote machen. Die werden von Haien und anderen Meeresbewohnern umweltfreundlich entsorgt oder einfach mit der nächsten Welle weggespült.

Buchtipps: Karsten-Thilo Raab: Thekenbrust & Zackendruse, Westflügel Verlag, ISBN 978-3-939408-11-6, 12,50 Euro. Erhältlich ist das Buch im Buchhandel oder direkt beim Verlag.

Karsten-Thilo Raab: San Diego Waldfried,  (ISBN: 978-84-9015-620-9). Erhältlich ist der Kolumnenband im Buchhandel, direkt beim Verlag oder online zum Preis von 20,90 Euro. 

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