
Den dichten Urwald Malaysias bevölkern wundersame Kreaturen. Auf dem Langkawi-Archipel kommen Naturfreunde abseits der beliebten Strände einigen von ihnen ganz nah – und entdecken beim Dschungelbaden ihren Lebensraum aus einer einzigartigen Perspektive.

Der Wald ist längst erwacht. Das aufgeregte Kreischen des Orienthornvogels dringt aus den Baumwipfeln. Im ersten Morgenlicht strahlt das Blattwerk des Bergregenwalds in unzähligen Grüntönen. Hin und wieder bringt das Gefieder bunter Dschungelvögel Farbe ins Blätterdach. Schwarznackenpirole, Scharlachmistelfresser und Türkisfeenvögel mischen Dottergelb, Rot und Azurblau ins Repertoire des Urwaldmorgens.

„Die Doppelhornvogel-Dame da drüben ist wohl eben erst aus ihrer Bruthöhle gekommen”, sagt Irshad Mobarak. Über ihn hinweg fliegt ein stattlicher Vogel mit übergroßem bananengelben Schnabel. „Man sieht es an ihrem noch ungepflegten Gefieder. Sie muss wohl noch Make-Up auflegen.” Wer dem einheimischen Naturführer in den Dschungel der Insel Langkawi folgt, lernt Außergewöhnliches über die zahlreichen Vogelarten Malaysias. So erfahren die Urwaldwanderer etwa, dass sich das Hornvogelweibchen von ihrem Gatten in einer Baumhöhle einmauern und durch einen schmalen Spalt füttern lässt. Damit will das Vogelpaar verhindern, dass Schlangen und andere ungebetene Gäste über die Brut in ihrer Gruft herfallen.
Zwischen Sandstrand und Dschungel

Ein aufgeregter Alarmruf lenkt von den Hornvögeln ab. Offensichtlich sind nicht nur gefiederte Wesen im Geäst unterwegs. „Ein Riesenhörnchen”, erklärt Mobarak, „gut möglich, dass es vor einer Schlange warnt.” Kaum jemand auf Langkawi kennt den Dschungel der Insel im Nordwesten Malaysias, unweit von der Grenze zu Thailand, besser als der 66-Jährige. Mobarak war an einigen Naturdokumentationen über den südostasiatischen Regenwald unter anderem für National Geographic und den Discovery Channel beteiligt. Seit vielen Jahren begleitet er nicht nur Film-Teams, sondern auch Touristen in den Dschungel.

Der Langkawi-Archipel gehört zu den beliebtesten Zielen für Flitterwöchner in Südostasien. Mit ihren weißen Sandstränden und steil aufragenden, dschungelüberwucherten Karstgebirgen bieten die Inseln spektakuläre Kulissen für eine romantische Robinsonade. Um die Hauptinsel herum verteilen sich etwa 100 meist winzige unbewohnte Eilande. Mit 478 Quadratkilometern ist der Archipel insgesamt gut halb so groß wie Rügen.
Miteinander der Religionen

Außer vielleicht für eine Bootsfahrt im UNESCO-geschützten Kilim-Geoforest-Park mit seinem bizarren Bergpanorama oder einer Seilbahn-Fahrt zur Langkawi-Sky-Bridge, die lange die längste freischwebende Hängebrücke der Welt war, verlassen viele nur selten ihre Strandhotels. Die meisten Touristenunterkünfte reihen sich vor allem entlang des Cenang-Strandes im Südwesten der Hauptinsel aneinander. Dabei gibt es hier einiges zu entdecken. Im Norden ist der Tanjung-Rhu-Strand mit seinen pittoresk vorgelagerten Felseninselchen ein beliebter Bade-Stopp.

Auf einer Inselrundfahrt können Interessierte neben mehreren Moscheen auch eine katholische Kirche, eine chinesische Pagode, einen buddhistischen Thai- und einen hinduistischen Tamilentempel besuchen – Zeugen des jahrhundertelangen Miteinanders der Religionen auf der Insel. Malaysia ist ein multireligiöses und multiethnisches Land. Traditionell leben hier Muslime, Christen, Buddhisten und Hindus friedlich miteinander. Die Mehrheit der Bevölkerung, mehr als 60 Prozent, sind Muslime, knapp 20 Prozent sind Buddhisten, etwa neun Prozent Christen und sechs Prozent Hindus. Weitere Gruppen gehören chinesischen und fernöstlichen Religionen an. Der konservative Islam hat in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen. In einigen Teilen des Landes haben auch die Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zugenommen.
Beeindruckendes Unterwasserkaleidoskop

Sicherlich auch aufgrund seiner langen Geschichte als Touristenziel, das Reisende aus verschiedenen Teilen der Welt anzieht, gilt Langkawi weithin als tolerant. Britinnen im Bikini neben Urlauberinnen vom Golf im Tschador und Inderinnen im Sari – auf dem Archipel, der als Freihandelszone auch etliche wirtschaftliche Freiheiten genießt, ist das kein ungewöhnlicher Anblick. Bei Strandurlaubern und Schnorchlern gleichermaßen beliebt ist ein Bootsausflug in den Pulau-Payar-Meerespark um vier entlegene Inselchen südlich des Hauptarchipels. An seinen Riffen kann man nach Meeresschildkröten Ausschau halten oder den Nachmittag im heißen Sand verschlafen. Als eines der meistbesuchten Ziele von Langawi kann es hier jedoch bisweilen aber auch voll werden.

„Die meisten Urlauber verbringen ihre Zeit auf Langkawi fast ausschließlich am Strand“, sagt Irshad Mobarak, „dabei ahnen sie nicht, dass ein Besuch des Dschungels mindestens genauso erholsam sein kann.“ An diesem Morgen will der Naturführer seinen Gästen nicht nur die Fauna und Flora des Urwalds auf Langkawi näherbringen, er möchte sie auch in ein geheimnisvolles Ritual der Malaien einführen.
Traditionelle Form des Waldbadens

„Früher gehörte Mandi Embun zum alltäglichen Tagesablauf vieler Malaien“, erklärt Mobarak, „lange praktizierten es nur noch ein paar Alte, doch langsam entdecken es auch junge Menschen wieder für sich.“ Beim „Baden im frühen Morgentau“ verbinden Waldbewohner traditionelle Dehn- und Atemübungen, eine Alternative zu Yoga, die hier Senaman Tua genannt wird, mit einem Eintauchen in das feuchte Blattwerk des Dschungels oder in einen Bergbach. Ähnlich wie die Japaner beim bekannteren Shinrin Yoku, glauben die Malaien, dass das Waldbaden nicht nur das Immunsystem stärkt, sondern auch die Langlebigkeit fördert.

Durch den längst erwachten Urwald führt Mobarak seine Gäste zu einem Gebirgsbach. Vorbei an dichtem Unterholz, freigelegten Baumwurzeln und hoch aufragenden Felsen strömt das klare Wasser hier bisweilen in sprudelnden Kaskaden dem nahen Ozean entgegen. Einzig das Vogelkonzert aus dem Blätterdach des Urwalds übertönt das Murmeln des Bachs. In einem Felsenpool unterhalb eines kleinen Wasserfalls tauchen die Dschungelwanderer ins kühle Wasser ein und lassen die verschwitzten Glieder mit Blick in die Baumkronen treiben.
Regenwald als Kulisse

„Schon Mat Kilau, ein in Malaysia verehrter Widerstandskämpfer gegen die britischen Kolonisatoren, soll so bis ins hohe Alter gesund geblieben sein“, erklärt Mobarak. Von dem legendäre Volksheld soll sich Jahrzehnte lang im Dschungel versteckt haben, bevor er 1970 im Alter von mehr als hundert Jahren wieder in der Öffentlichkeit auftauchte.

Inzwischen haben auch Hotels wie das luxuriöse Datai Langkawi in einer entlegenen Bucht im Nordwesten der Hauptinsel die traditionelle Form des Waldbadens für ihre Gäste entdeckt und binden es in ihr Wellness-Programm ein. Anders als die meisten Strandhotels setzt das Resort ganz auf den Regenwald als Kulisse für seine Urlauber. So reihen sich die meisten Unterkünfte nicht am Meer entlang, sondern sind von dichtem Dschungel umgeben. Zum angebotenen Programm gehören neben Strandaktivitäten auch Vogelbeobachtungen auf einem Baumwipfelpfad und Kajaktouren in die nahen Mangroven.
Fliegende Schlangen im Dschungel

„Wo sich der Wald und das Meer begegnen, leben besonders viele Tierarten“, erklärt Mohd Ridhwan Bin Mahali. Gerade hat der junge Tauchlehrer und Naturführer sein Kajak in einen schmalen Wasserarm hinter einen dschungelgesäumten Sandstrand gesteuert. Nun greifen die umliegenden Bäume mit ihren Luftwurzeln nach dem Malaysier und seinen Gästen, die hinter ihm herpaddeln. Ein Pärchen Halsbandlieste, entfernte Verwandte des heimischen Eisvogels mit azurblauen Flügeln und elfenbeinfarbener Brust, beobachtet, wie die Kajaks immer tiefer in den Urwald eindringen. Ein Mangrovereiher flüchtet vor den Kajakausflüglern.

„Genau hier haben wir gestern noch einen Python beim Sonnenbad beobachtet“, erzählt der Guide, während er unter einem tief über das Fahrwasser ragenden Baumstamm gleitet. „Netzpythons gehören zu den längsten Schlangen der Welt, sind für Menschen aber meist harmlos.“ Nur äußerst selten sehe er auf seinen Dschungeltouren auch Königskobras oder Mangrovenottern. Mit sehr viel Glück könne man hier jedoch auch Schmuckbaumnattern beobachten, die man auch „Fliegende Schlangen“ nennt. Sie sind bekannt dafür, dass sie bis zu zehn Meter im Gleitflug von Baum zu Baum überwinden. Dafür sind sie in der Lage, ihre Rippen so zu spreizen, dass sich ihre Unterseite als Tragfläche verdoppelt.
Leben in den Baumkronen

Einen weiteren ungewöhnlichen Flieger entdecken die Urwaldausflügler bestens getarnt an einem Baumstamm verharrend. Das unscheinbare Reptil klettert bis in die höchsten Wipfel und ist in der Lage aus der Baumkrone sogar bis zu 60 Meter weit zu segeln. „Hierfür breitet er seine verlängerten Rippen an den Flanken zu einer Tragfläche aus und kann Feinden und Rivalen in Sekundenschnelle entkommen“, erklärt Bin Mahali.

„Der Himmel über dem Dschungel ist hier nicht allein den Vögeln und Insekten vorbehalten“, sagt der Guide, „hier haben sogar Säugetiere gelernt, sich perfekt an das Leben in den Baumkronen anzupassen. Baumhörnchen und Affen wie Langschwanzmakaken und Brillenlanguren gehören dabei bei weitem noch nicht einmal zu den begnadetsten Flugakrobaten. Das Riesengleithörnchen schafft Distanzen von 75 Metern im Flug zu überwinden.
Wertschätzung für den Regenwald

Der Malaien-Gleitflieger, auch „Fliegender Lemur“ genannt, kann seine Flughaut zwischen den Vor- und Hinterbeinen sowie dem Schwanz sogar zu einer Tragfläche mit einer Spannweite von über einem Meter ausweiten und damit mehr als hundert Meter weit segeln. Nach der Kajaktour entdecken die Ausflügler eines der Tiere in einem Baumspalt. Es verschläft den Tag mit offenen Augen, bis es in der Dämmerung den Stamm hinaufklettert und sich auf die Suche nach Blüten, Blättern und Knospen macht.

„All den Tieren ist gemein, dass ihr Lebensraum, der südostasiatische Regenwald, auch heute noch verschwindet“, sagt Bin Mahali. „In Sabah auf Borneo, wo ich herkomme, habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie viel Wald verschwunden ist, seit ich ein Kind war.“ Gerade auch deswegen ist es ihm ein Anliegen, dass Langkawi-Besucher ihren Inselurlaub nicht allein am Strand verschlummern. „Ein Besuch im Regenwald hier ist für viele wie eine Initialzündung“, sagt der Guide. „Manche beginnen erst hier, sich wirklich mit seiner Bedrohung zu befassen und sich für seinen Schutz einzusetzen.“
Wissenswertes in Kurzform

Informationen: www.malaysia.travel
Anreise: Mit Lufthansa oder mit Singapore Airlines nonstop nach Singapur. Von dort bieten Air Asia und Scoot Direktflüge nach Langkawi an.

Übernachten: The Datai Langkawi gehört zu den luxuriösesten Hotels Malaysias. Seine Suiten, Villen und der weiträumige Spa sind in den Regenwald nahe einer abgeschiedenen Bucht eingebettet. Den Gästen werden zahlreiche Aktivitäten zur Erkundung der Natur angeboten.
Veranstalter: Als Spezialist für individuelle Privatreisen nach Asien stellt Tischler Reisen auch Routen durch Malaysia wahlweise mit Stationen auf Langkawi zusammen.


Win Schumacher
schreibt als freier Journalist für Zeitungen, Nachrichtenseiten und Magazine in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Italien. Immer wieder berichtet er über Naturreiseziele und Artenschutz-Projekte in aller Welt. Seine Reportagen wurden u.a. mit dem Columbus-Preis für junge Autoren, dem Meridian- und Karibik-Journalistenpreis ausgezeichnet.
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