Rügen zwischen Seebrücke und Welterbe

Rügen
Die markante Seebrücke ist das Wahrzeichen des Seebads Sellin auf Rügen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Mit genau 2.831 Metern Länge ist die Querung des Strelasunds nicht nur die Verbindungsachse zwischen dem Festland und Deutschlands größter Insel. Vielmehr symbolisiert der im wahrsten Sinne des Wortes gelungene Brückenschlag den kürzesten Weg zwischen zwei Welterbestätten: Der historischen und überaus imposanten Altstadt der Hansestadt Stralsund auf der einen Seite, den unter dem Schutz der UNESCO stehenden Buchenwäldern in der Stubnitz auf Rügen auf der anderen Seite. Hier im Herzen des Nationalparks Jasmund stehen noch die letzten Reste alter unversehrter Wälder Europas – unberührt, allein dem natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen unterworfen.

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Beeindrucksvoll sind die Kreidefelsen im Jasmund Nationalpark. – Foto Karsten-Thilo Raab

Der dichte Baumbestand reicht bis an die Steilküste von Rügen mit ihren berühmten Kreidefelsen. Ein gut ausgebautes Netz an Wanderpfaden mit zum Teil spektakulären Aussichtspunkten führt an der Küste entlang. Allen voran der Hochufer-Weg, der zwischen den Bäumen hindurch immer wieder einen Blick auf die Ostsee und die bisweilen schneeweißen Kreidefelsen erlaubt. Auffällig ist hier die große Zahl an Mehlschwalben, die an den Hängen der Kreidekliffs in zahllosen Kolonien heimisch sind.

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Das UNESCO Weltnaturerbe Alte Buchenwälder im Jasmund Nationalpark lädt zu entspannten Wanderungen ein. – Foto Karsten-Thilo Raab

Am südlichen Rand des Nationalparks liegt eingekeilt zwischen Wald und Meer mit Sassnitz die mit 9.200 Einwohnern zweitgrößte Stadt der Insel. Lange Zeit gaben sich hier die Schönen und Reichen, die Adeligen, Mächtigen und Gefönten ein Stelldichein. Der Bogen der illustren Gäste spannt sich von Theodor Fontane über Johannes Brahms bis hin zu Kaiserin Auguste Viktoria, die dereinst in der Villa „Martha“ in der heutigen Rosa-Luxemburg-Straße residierte.

An der Prommenade in Sassnitz auf Rügen ist die Bäderarchitektur allgegenwärtig. – Foto Karsten-Thilo Raab

Geprägt wird das Bild der Hafenstadt ansonsten durch einen Mix aus alten Fischer- und Bauernkaten, klassizistischen Prachtbauten, herrschaftlichen Villen aus dem 19. Jahrhunderts, aber auch durch moderne Betonbauten wie der „Kurmuschel“ von Ulrich Müther (1934-2007) an der Promenade.

Auch im Seebad Binz kann sich niemand der beeindruckenden Bäderarchitektur entziehen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Der Binzer Baumeister war ein Architekt von Weltruf, berühmt für seine ebenso extravaganten wie filigranen Bauten aus vorgegossenem Beton wie den Planetarien in Helsinki, Tripolis und Kuwait. Auch in seiner Geburtsstadt Binz hinterließ er seine Spuren: 1981 wurde direkt am Strand nach Plänen von Müther eine Hyparschalen-Konstruktion errichtet, die an ein gelandetes „Ufo“ erinnert.

Imposant: Das Müther „Ufo“ am Strand von Binz. – Foto Karsten-Thilo Raab

Als größtes Seebad auf Rügen besticht Binz ansonsten durch seine wohl einzigartige Bäderarchitektur. Im späten 19. Jahrhundert erlebte die Sommerfrische hier einen Höhepunkt, als vor allem gut betuchte Städter sich in einem Stilmix aus Klassizismus, Neobarock und Jugendstil zum Teil überaus prachtvolle Feriendomizile und Logierhäuser bauen ließen. Typisch für die mondänen Villen sind insbesondere die Loggien, Erker, offenen Balkone, Türmchen und filigranen Veranden.

Einfach prachtvoll ist die Wilhelmstraße in Sellin. – Foto Karsten-Thilo Raab

Elemente, die auch im benachbarten Seebad Sellin zu finden sind: Die dortige Wilhelmstraße avanciert zu einem von Bäumen gesäumten Prachtboulevard, an dem sich eine schmucke Villa an die nächste reiht. Selbst die wenigen Gebäude neueren Datums fügen sich nahtlos ins Bild ein. Rügens Vorzeigestraße Nummer 1 mündet oberhalb des feinen Sandstrandes und gibt den Blick auf eine weitere architektonische Besonderheit frei: die famose Seebrücke, das stolze Wahrzeichen der 2.500-Seelen-Gemeinde, das gut 500 Meter in die Ostsee hinausragt.

Auf Rügen finden sich nicht nur feine Sandstrände, sondern auch Kiesstrände wie hier bei Glowe. – Foto Karsten-Thilo Raab

Rügen hat, auch das gehört zur Wahrheit, aber nicht nur architektonische Perlen zu bieten. In Prora finden sich als wenig ansehnliches Erbe der Nazi-Herrschaft die gleichnamige „Kraft durch Freude“-Siedlung mit fünf gigantischen, jeweils 500 Meter (!) langen, sechsstöckigen Betonklötzen. Bis zu 20.000 Menschen sollten in der gigantischen Bebauung gleichzeitig urlauben können. Und in Sagard wird in tristen Plattenbauten zumindest optisch die alte DDR-Vergangenheit lebendig.

Mit feinem Humor macht Glowe Appetit auf den fast zehn Kilometer langen Sandstrand. – Foto Karsten-Thilo Raab

Unabhängig davon hat Rügen, das mit einer Fläche von rund 930 Quadratkilometern sechsmal so groß ist wie das Fürstentum Liechtenstein, abseits des Trubels der Seebäder auch wohltuende Einsamkeit zu bieten. So erstreckt sich zwischen Juliusruh und Glowe ein fast zehn Kilometer langer Strand, der für jeden – vom Sonnenanbeter über den Sandburgenbauer bis hin zum FKK-Jünger oder Hundebesitzer – Platz satt für entspannte Tage garantiert. In Glowe findet sich übrigens mit der Ostseeperle ein weitere Meisterwerk von Ulrich Müther. Die Stahl-Glas-Konstruktion an der Promenade, in der ein populäres Restaurant untergebracht ist, gemahnt optisch an eine eckige Konzertmuschel.

Perfekt für Selfies: Das Erinnerungsschild am Kap Arkona. – Foto Karsten-Thilo Raab

Von Glowe und Juliusruh aus fällt der Blick auf die Klippen des Kap Arkona, das mit seinen stolzen Leuchttürmen beinahe den nördlichsten Punkt auf Rügen markiert. Nur das weniger bekannte Kap Gellort liegt etwas weiter im Norden. Rund einen Kilometer südlich verzaubert das Fischerdorf Vitt mit seinen Reet gedeckten Häusern durch eine urige Atmosphäre. In der dortigen Dorfschenke soll es früher immer nur so viele Stühle wie Dorfbewohner gegeben haben. Erblickte ein Neugeborenes das Licht der Welt oder musste jemand das Zeitliche segnen, wurde die Zahl der Stühle entsprechend angepasst.

Stolz ragen die Leuchttürme am Kap Arkona in den Himmel. – Foto Karsten-Thilo Raab

Diese Zeiten sind längst vorbei. Mit Blick auf den Strand können alle großen und kleinen Inselforscher hier entspannt darüber nachdenken, welchen Winkel der von der Sönne verwöhnten Insel als nächstes angesteuert werden soll. Schließlich punktet Rügen gleichermaßen mit verträumten Fischerdörfern und quirligen Seebädern, mit einer abwechslungsreicher Landschaft aus sanften Hügelketten, Boddengewässern, imposanten Steilküsten und feinen Sandstränden. Was bleibt, ist die Qual der Wahl. Mehr Insel gibt es in Deutschland nirgendwo.

Ein Kleinod mit Reet gedeckten Häusern ist das Dörfchen Vitt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Allgemeine Informationen: www.ruegen.de

Sehenswert: Im Nationalpark-Zentrum Königsstuhl erfahren Interessierte mehr über die Buchenwälder und den Nationalpark.

Klare Bo(o)tschaft auf einem Schiff im Hafen von Glowe. – Foto Karsten-Thilo Raab

Essen & Trinken: Auf Rügen ist der Genuss von fangfrischem Fisch fast schon ein Muss. Auch der „Zitrone des Nordens“, wie der Sanddorn liebevoll genannt wird, kann sich niemand wirklich entziehen. Die „Vitamin-C-Bomben“ werden in Likören, Bonbons, Konfitüren und Teeprodukten überall auf der Insel feilgeboten.

Die alten Buchenwälder im Jasmund Nationalpark stehen als Weltnaturerbe unter dem Schutz der UNESCO. – Foto Karsten-Thilo Raab

Restaurants: Fischerhus, Hauptstraße 60, 18551 Glowe, Tel. 038302-5235. Der Name ist Programm. Empfehlenswert ist die Fischpfanne mit vier verschieden fangfrischen Fischsorten.

Ostseeperle, Hauptstraße 42, 18551 Glowe, Tel. 038302-5638, www.ostseeperle-restaurant.de. In Müthers architektonischen Meisterwerk an der Strandpromenade kommen italienische Speisen und leckere Cocktails auf den Tisch.

Für alle, die gerne Selbstgespräche führen: Das Arkona-Telefon am Strand von Vitt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Übernachten: Nixe, Strandpromenade 10, 18609 Binz, Tel. 038393-666200, www.nixe-hotel.de. Kleines Boutiquehotel in bester Strandlage mit nur 16 stilvollen Zimmern.

Villa Elisabeth, Wilhelmstraße 40, 18586 Sellin, Tel. 038303-87044, www.hotel-elisabeth-sellin.de. Direkt an Sellins Prachtmeile gelegenes Hotel mit geräumigen Zimmern.