Kein wunderbarer Waschsalon – im Hamsterrad des Dhobi Ghat

Die Freiluftwäscherei Dhobi Ghat in Mumbai ist länsgt zu einer Touristenattraktion geworden. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Die Freiluftwäscherei Dhobi Ghat in Mumbai ist länsgt zu einer Touristenattraktion geworden. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

Diese Waschmaschine ist ein Hamsterrad. Das größte der Welt. Ein Hamsterrad, das von bis zu 10.000 Menschen mit ihrer Muskelkraft bewegt wird. Zu Spitzenzeiten wurden hier bis zu einer Million Wäschestücke am Tag gereinigt. Heute sind es nur noch halb so viele. Eine Massenabfertigung unter freiem Himmel, bei der vor allem der Schweiß in Strömen fließt. Dhobi Ghat heißt die gigantische Freiluftwäscherei inmitten der indischen Millionenmetropole Mumbai. Selbst an warmen Tagen steigen heiße Dampfwolken über dem zehn Hektar großen Areal unweit des Bahnhofs Mahalaxmi auf. Berge von Wäsche türmen sich neben den mehr als 800 Wasserbecken. Noch mehr Wäsche ist zum Trocknen auf Hunderten von Wäscheleinen aufgehängt. Hier herrscht das organisierte Chaos.

Täglich wird hier tonnenweise Wäsche vor allem aus Hotels und Krankenhäusern rangekarrt. Und trotz des scheinbaren Durcheinanders geht in den nie schrumpfen wollenden Wäschebergen kaum ein Stück verloren. Was sicher auch ein Grund dafür ist, dass die Großkunden dem Dhobi Ghat die Treue halten, während mehr und mehr wohlhabende Inder inzwischen eine eigene Waschmaschine besitzen und daher einen Bogen um diesen Teil von Mahalaxmi machen.

Im Dhobi Ghat finden sich Waschbecken und Wäsche soweit das Auge reicht. (Foto Karsten-Thilo raab)
Im Dhobi Ghat finden sich Waschbecken und Wäsche soweit das Auge reicht. (Foto Karsten-Thilo raab)

„Noch ist für alle genug zu tun“, lacht Siddbartha Ambani, eine der „menschlichen Waschmaschinen“ des Dhobi Ghat, während er mit den nackten Füßen in einem mit Seifenlauge gefüllten Betonbecken steht und unentwegt ein großes Laken auf den Betonrand schlägt. Eine schweißtreibende und Kraft zehrende Angelegenheit. Zeit, die Arbeit zu unterbrechen, hat er nicht.

„Wenn es gut läuft, schaffe ich zwischen einhundert und 120 Wäschestücke pro Tag“, erzählt der 42-jährige, während er gleichzeitig das nächste Wäschestück in der Lauge einweicht. Einen freien Tag oder gar Urlaub kann sich Siddbartha Ambani, der nur ein paar Shorts trägt und barfuss ist, nicht leisten. Schon morgens um 4.30 Uhr beginnt sein Arbeitstag. Um 19, 20 Uhr kann er dann langsam den kurzen Feierabend einläuten. Denn der Vater zweier Söhne und einer Tochter arbeitet sieben Tage die Woche jeweils 14, 15 Stunden – und dies seit seinem 14. Lebensjahr.

Das Trocknen und Ausspülen der Wäsche fordert vollen körperlichen Einsatz. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Das Trocknen und Ausspülen der Wäsche fordert vollen körperlichen Einsatz. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

„Schon mein Großvater und mein Vater haben hier gearbeitet“, gibt sich Siddbartha Ambani keinerlei Illusionen hin, das Hamsterrad je hinter sich zu lassen. Er lächelt. Das Lächeln wirkt aber eher gequält, während er ergänzt: „Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen in Mumbai habe ich Arbeit und ein Dach über dem Kopf und ich kann meine Familie zumindest einigermaßen ernähren.“

Rund 130 Rupien bekommt Siddbartha Ambani pro Tag. Das sind knapp 1,68 Euro. Das zwei Quadratmeter große Waschbecken kostet ihn 300 Rupien im Monat – etwa 3,88 Euro. Klingt wenig, ist aber viel, wenn man bedenkt, dass Siddbartha Ambani im Mittel nur gut 80 Euro im Monat verdient. Eine Summe, die kaum reicht, um die Familie zu ernähren, geschweige denn, um sich eine Kranken- oder gar Rentenversicherung leisten zu können.

Ein Hoffnungsschimmer sind hier die Touristen, die sich für 100 Rupien durch den Dhobi Ghat führen lassen können. Die Erlöse sollen angeblich dazu beitragen, die Dhobiwallahs, die Wäschewäscher, im Krankheitsfalle oder bei einem Unfall finanziell zu unterstützen; auch wenn Siddbartha Ambani niemanden kennt, der bis dato in den Genuss einer solchen Geldspritze gekommen ist.

Die runden Holzzuber werden mit Holz geheizt, um die Wäsche kochen zu können. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Die runden Holzzuber werden mit Holz geheizt, um die Wäsche kochen zu können. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

„Aber ich war glücklicherweise auch noch nie ernsthaft krank“, sagt Siddbartha Ambani. Von den deutlich sichtbaren Verätzungen an den Händen und Füßen mag er nicht reden. Dies gehört scheinbar für ihn zum Beruf des Dhobiwallah hinzu. Denn häufig werden im Dhobi Ghat bei der Wäsche Bleichmittel und andere giftige Chemikalien eingesetzt. Und Schutzkleidung kann sich hier niemand leisten. Ebenso wenig wie Privatsphäre. Denn die Freiluftwäscherei, die vor rund 140 Jahren von den damaligen britischen Besatzern eingerichtet wurde, ist für viele Wäschewäscher Arbeitsplatz und Wohnort zugleich.

Am Rande der Waschbecken finden sich einfache Hütten, oft mit Blechdächern und Holzwänden. Bis zu zwei Dutzend Dhobiwallahs teilen sich hier eine spartanische Unterkunft – auch um Miete zu sparen. Hauptspeise ist für die meisten Dal, ein Brei aus Linsen und Reis, der relativ preiswert herzustellen ist. Dazu gibt es dann allenfalls ein Tässchen Tee oder etwas Wasser.

Mehr als 800 Waschplätze gibt es im vor 140 Jahren eröffneten Dhobi Ghat. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Mehr als 800 Waschplätze gibt es im vor 140 Jahren eröffneten Dhobi Ghat. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

Vor der Arbeit geht es für die gläubigen Dhobiwallahs noch kurz in den Tempel am Rande des Waschplatzes. Dann läuft das Hamsterrad an. Im Morgengrauen werden die Wäscheberge aus Hotels, Krankenhäusern oder Restaurants angeliefert. Jedes Wäschestück wird mit einem Anhänger markiert, um Verwechslungen zu vermeiden. Dann werden die Laken, Tischdecken, Handtücher, Hemden, Hosen, Uniformen oder Saris immer wieder in Seifenlauge eingeweicht, gebürstet und auf den Beckenrand geschlagen, bis das Wasser den Schmutz ausgespült hat. Die Bettwäsche und Handtücher der Krankenhäuser und Hotels werden zudem aus Hygienegründen in der Regel zwei Stunden lang in einem mit Holz geheizten Kessel ausgekocht.

Gespeist werden die Waschbecken aus zwei verschiedenen Leitungssystemen: da sind die offiziellen Rohre der Stadt, die aber nur zu bestimmten Zeiten am Tage Wasser liefern, und da sind illegale Wasserleitungen, an denen sich der eine oder andere Beamte, der zufällig wegschaut, eine goldene Nase verdienen dürfte.

Die begehrten Arbeitsplätze als Wäschewäscher im Dhobi Ghat werden oft vom Vater an den Sohn weitergegeben. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Die begehrten Arbeitsplätze als Wäschewäscher im Dhobi Ghat werden oft vom Vater an den Sohn weitergegeben. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

Zum Trocknen wird die Wäsche überall, wo Platz ist, ausgebreitet oder auf eine der unzähligen Wäscheleinen gehängt. Während des Monsuns wird das Gros der gereinigten Sachen wegen der dann hohen Luftfeuchtigkeit nass ausgeliefert und die Kunden müssen dann selber sehen, wie sie die Wäsche am besten trocknen. Gleichwohl gibt es auch einige wenige Wäschetrockner im Viertel. Doch die reichen bei weitem nicht aus, um die anfallenden Wäschemengen zu bewältigen.

Um die Bügelwäsche kümmern sich in der Regel Frauen. Obschon es im Dhobi Ghat durchaus elektrischen Strom gibt, nutzen die meisten noch immer Bügeleisen, die mit glühender Kohle geheizt werden.

„Das ist ein echt harter Job“, hat Siddbartha Ambani irgendwie Mitleid mit den Frauen. Dabei ist seine Arbeit auch nicht gerade ein Zuckerschlecken. Denn für die Dhobiwallahs in Mumbai ist nach dem Laken immer automatisch vor dem Laken. Schließlich darf das Hamsterrad nicht still stehen. Schon allein, damit Siddbartha Ambani & Co ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen haben.