Hotel Liberty – aus dem Alltag rein in den Knast

Liberty
Der Zellentrakt im Hotel Liberty zeugt noch heute von der einstigen Nutzung als Gefängnis.

Wuchtige Mauern, winzige Fenster, Türen so niedrig, man muss gebeugt in die Zelle eintreten. Ein echter Zweckbau, eine Haftanstalt, ein Knast – 160 Jahre lang der Albtraum für Gauner, Revolutionäre und politisch Verfolgte. Kann das ein Ort der Freiheit sein? Und wie! Im baden-württembergischen Offenburg wurde 2017 gezaubert: Aus einem in die Jahre gekommenen Stadtgefängnis wurde ein Designhotel, das die Freiheit feiert. Und im Gegensatz zu früher möchte diese Mauern heute niemand mehr verlassen. Das Spiel mit den Kontrasten wirkt – willkommen in der Freiheit, im Hotel Liberty.

„Kann ich einen Blick in meine alte Zelle werfen?“

Seine Vergangenheit kann und will das heutige designhotel nicht leugnen.

Geschäftsführer Heiko Hankel lässt es sich nicht nehmen, Gäste persönlich durchs Haus zu führen. „Ich bin im operativen Geschäft voll dabei, daher gibt es für mich keine Routine“, sagt er da, wo der Alltag so streng geregelt war, wie nirgends sonst in der Stadt. Hankel schöpft aus der Quelle eines Branchenkenners, der in 30 Jahren weltweit viel gesehen und geleitet hat. Seit 2018 koordiniert der gelernte Hotelfachmann nun hinter schwedischen Gardinen und kennt die Geschichten des imposanten Baus auch von früheren Insassen, die sich ein Herz fassten. Ob man wohl einen Blick in die alte Zelle werfen dürfe? Natürlich. Und so folgten oft emotionale Anekdoten aus der Zeit, als Häftlinge hier lebten und keine Gäste. Schon beim Umbau fanden Handwerker Überbleibsel aus 160 Jahren Knastalltag in den Wänden: eine Zeitung von Heiligabend 1915, Tabak und eine Stichwaffe.

Auch die Zimmerkarten verfügen über eine ganz eigene Note.

„Liberty is the key to feel free“ strahlen weiße Leuchtröhren heute in den alten Gefängnishof. Aus schmalen Zellen, wurden stylishe Räume, in denen die Geschichte weiterlebt – im Einklang mit dem Denkmalschutz. Und all das in einem beschaulichen Städtchen am Fuß des Schwarzwalds.

Eine Hymne und Gäste in Gefängniszellen

Sogar eine eigene Hymne ist dem Haus in Offenburg gewidmet.

Das historische Gefängnis war Teil der Stadt und bleibt es auch, nur in neuem Gewand. Am „Tag des offenen Denkmals“ wollten Tausende Besucher einen Blick hinter die berüchtigte Mauer werfen, hinter der sich die beiden Zellengebäude erheben. Ein gewaltiger Glaskubus überspannt den früheren Innenhof und verbindet die massiven Ziegelbauten. Offen, hoch und voller Licht. Im Inneren ist die Architektur einer Haftanstalt unverkennbar, geht aber auf im Top-Interieur aus Stein, Holz, Leder und Stahl. Gedeckte Farben, edle Grautöne: ein Guss. Unten der Empfang und das Restaurant „Wasser & Brot“, auf der Empore die exquisite Hotelbar und über allem schwebt ein gläserner Konferenzraum mit 60 Quadratmetern.

Die Zimmer im Liberty bestehen aus mehreren ehemaligen Zellen.

Vom Zweckbau zum Nonplusultra der Innenarchitektur – fünf Jahre Planung und anderthalb Jahre Umbau waren dafür nötig. Heute strotzt das ganze Gebäude vor Liebe zum Detail. Fenstergitter, Wandlampen in Form von Sanduhren, Fluchtseile schlängeln sich das Treppenhaus hinab und Leitern aus Leuchtröhren versprechen einen Ausweg. Es gibt sogar eine Hymne: „My Liberty“, aus der Feder des Opernsängers Niclas Oettermann, komponiert mit dem Multitalent Joanna Choi. Täglich um 21:30 Uhr stimmen die Mitarbeiter in die Hommage an „ihr“ Liberty ein. Es ist also kein Zufall, dass schon im ersten Jahr 120 Magazine über das Hotel berichteten und sich Influencer hier die Klinke in die Hand geben.

Geschäftsführer Heiko Hankel ist stolz auf die gelungene Umwandlung vom Knast zum Hotel.

Nur schulterhoch und 120 Kilogramm schwer, unverfälscht mit Durchreiche sind die „Zimmertüren“. Niemand muss sich mehr durch die Zellentüren quetschen, aber sie flößen definitiv Respekt ein. Alle Zimmer bestehen aus mehreren Zellen. Eine einzige wäre nicht zumutbar – ihre Größe war auch für eine Haftanstalt nicht mehr zeitgemäß, als sich die Gefängnistore 2009 zum letzten Mal schlossen. Ganz anders 1845. Das Prestigeobjekt war der Stolz des Großherzogs. Kriminelle kettete man bis dato in Kellern und Stadttürmen an, doch damit sollte Schluss sein. Architekt Heinrich Hübsch wurde auf Weltreise in die USA geschickt, wo es bereits Haftanstalten gab, und entwarf daraufhin das Offenburger Gefängnis. Die Einwohner hatten schnell einen passenden Namen parat: „Villa Hübsch“.

Einsitzen mit Komfort

Die Zimmer sind komfortablen und mit Pfiff eingerichtet.

„Insassen“ von heute dürfen sich aufs „Einsitzen“ mit Stil und Luxus freuen. Holzbalkenwerk, dunkles Eichenparkett, freistehende Badewannen, handgefertigte Möbelunikate, Tablets und moderne Kunst bringen die Ästhetik eines edlen Lofts in die alten Mauern. Die beleuchtete Gewölbedecke zeigt die Umrisse der früheren Zellen. Dafür mussten viele Wände fallen und mit roher Kraft wurden den massiven Mauern Panorama-Fenster abgetrotzt. Als Diamant wartet unter dem Dach die Roof-Top-Suite zwischen 100 Jahre alten Dachbalken, die schon als Filmkulisse dienten. „Jedes Gefängnis hat seine Tierchen“ lächelt Hankel mit Blick auf eine Plüschratte auf dem Bett, „das hier können unsere Gäste als Andenken mitnehmen“. Vor echten Ratten muss sich heute niemand mehr fürchten, auch nicht vor den Geistern jener Insassen, die diese Mauern nicht lebend verließen. Selbst dafür ist gesorgt: „Vor der Eröffnung, hatten wir einen Schamanen im Haus, der das Gebäude beging, das beruhigt tatsächlich sehr viele Gäste“.

Im Bademantel durch den Stadtpark

Wasser & Brot heißt passenderweise das Hotel-Restaurant.

Mit 38 Zimmern ist das Liberty kein Riese, sondern baut auf edle Materialien, roughen Stil und Eleganz. 80 Prozent der Gäste verlassen nach Angaben des Liberty das Hotel während ihres Aufenthalts nicht. Und wenn, dann um durch den idyllischen Stadtpark in das neue Schwimmbad zu flanieren, das sie kostenfrei nutzen können. Den Anblick entspannter Menschen, die in Bademänteln aus der alten Haftanstalt schlendern, kennen die Offenburger inzwischen. Die amüsante Szene lässt sich entspannt von der Außenterrasse aus beobachten, die sich zum Park hin öffnet. Wo früher Tischtennis gegen Langeweile half, verbreiten heute 50 Sitzplätze das Flair einer Open-Air-Lounge. Innen wartet das „Wasser & Brot“ auf weitere 60 Genießer, während auch im Tasting-Room im Gewölbekeller Genießer und Feinschmecker „eingekerkert“ werden.

Selbst die Dachzimmer lassen Gemütlichkeit nicht vermissen. – Fotos Hotel Liberty/Meiko

Die Zeit der Einheitskost ist vorbei, vom Offen-Burger bis zum Côte de Boeuf wird jeder fündig. Fleisch und Gemüse aus der Region treffen auf Zutaten von Pariser Top-Zulieferern – Qualität ist Pflicht, Wasser und Brot gibt’s noch als Beilagen. Trotzdem hat es das Gefängnis sprichwörtlich auf die Karte geschafft: Die Bilder auf dem Einband stammen alle von den Wänden der Zellen. Erstklassig geht es auch in der White&Brown-Bar zu, dem kleinen Labor. Mit freier Sicht in den Innenhof werden hier tagsüber die Liköre für den Abend reduziert. Sechs edle Sorten Gin – White – treffen auf edle Whiskeys, Cognacs & Co: Brown. Genuss im Ledersessel, ein Klavier erzählt von den Abenden, an denen auf der Empore gejammt wird. Generell wird viel veranstaltet. Lesungen zum Beispiel, wie vom Tatort-Schauspieler Joe Bausch, stilecht im Zellentrakt. Weitere Informationen unter www.hotel-liberty.de.