Herm-Burn am Muschelstrand – Entschleunigung auf Guernseys kleiner Schwesterinsel

Ein Traumstrand im Golf von St. Malo: der Shell Beach auf Herm. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ein Traumstrand im Golf von St. Malo: der Shell Beach auf Herm. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Dieses Jacke-an-Jacke-aus-Wetter ist irgendwie anstrengend und schön zugleich. Der Wind weiß auch nicht, was er will. Mal weht eine steife Brise, dann wiederum kaum mehr als ein laues Lüftchen. Wenn dann noch die Sonne hinter den Wolken hervorlugt, ist es schlagartig warm – richtig warm. Kein Wunder, dass auf dem kleinen Island im Golf von St. Malo tropische Pflanzen gedeihen. Doch auf Herm, der kleinen Nachbarinsel von Guernsey, unterliegt nicht nur das Wetter großen Schwankungen. Auch der Tidenhub ist in dieser Form außerhalb der Kanalinseln wohl nirgendwo in Europa so extrem. Bis zu zwölf Meter variiert der Wasserspiegel zwischen Ebbe und Flut.

„Ideale Bedingungen für meine kleine Austernzucht“, schwärmt Justin De Carteret. Das Spiel der Gezeiten und die dadurch bedingte Zirkulation des Wassers und der Nährstoffe würden sich, so der Hüne mit dem markanten Pferdeschwanz weiter, überaus positiv auf das Wachstum und den Geschmack der begehrten Schalentiere auswirken. Während in den meisten Regionen Europas Austern erst nach drei bis vier Jahren eine Größe von acht bis 14 Zentimetern, und damit „Handelsreife“ erreichen, sind die Muscheln in den Gewässern vor Herm binnen 18 Monaten reif für den Verzehr.

Gigantischer Tidenhub

„Unser Ziel ist es, hier bis zu 50 Tonnen an Austern pro Jahr zu produzieren“, fügt Justin De Carteret lachend hinzu, damit so etwas wie ein Großunternehmer auf Herm zu sein. Und dies mit nur zwei Mitarbeitern. Aber so ist das auf der mit einer Fläche von gerade einmal zwei Quadratkilometern kleinsten, bewohnten Kanalinsel. Nur 55 Menschen leben hier dauerhaft.

Der kleine Hafen auf Herm kann bei Ebbe nicht angelaufen werden. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Der kleine Hafen auf Herm kann bei Ebbe nicht angelaufen werden. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Aber Herm ist keine Insel zum Altwerden. Denn hier darf nur dauerhaft mit seiner Familie leben, wer auch einer geregelten Arbeit nachgeht. Ist das Rentenalter erreicht, müssen selbst diejenigen, die hier geboren wurden oder mehr oder weniger ihr ganzes Leben auf Herm verbracht haben, die Insel wieder verlassen.

„Das klingt hart, aber wer sich entscheidet, hier zu leben und zu arbeiten, akzeptiert damit auch die Rahmenbedingungen“, räumt Lesley Bailey ein. Seit Jahren lebt sie mit ihren Mann und den Kindern auf der malerischen Insel. Allerdings sieht sie den eigenen Nachwuchs meist nur am Wochenende. Zwar gibt es auf Sark eine kleine Grundschule mit derzeit sechs Kindern, doch sobald die Mädchen und Jungen auf eine weiterführende Schule gehen, reisen sie montags morgens mit dem ersten Boot nach Guernsey. Dort drücken sie dann die Schulbank und leben bei Gastfamilien, ehe es dann freitags nachmittags mit dem Boot zurück nach Herm geht.

Minischule mit nur sechs Mädchen und Jungen

Auf Herm finden sich kaum mehr als zwei Dutzend Häuser. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Auf Herm finden sich kaum mehr als zwei Dutzend Häuser. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Für die Kinder und Eltern ist dies anfangs wirklich hart, aber es geht nun mal nicht anders“, unterstreicht Lesley, das es natürlich keinen Sinn macht, für eine Hand voll Kinder weiterführende Schulen auf Herm zu unterhalten. Und da gerade im Herbst und Winter die See recht rau sein kann, sollen und können die jungen Schüler auch nicht täglich hin und her pendeln.

Entlang des Küstenpfads beiten sich herrliche An- und Aussichten. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Entlang des Küstenpfads beiten sich herrliche An- und Aussichten. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Dafür leben wir hier wie im Paradies“, ist nicht nur Lesley davon überzeugt, tausendfach für die vermeintlichen Entbehrungen entschädigt zu sein. Denn Herm ist eine Oase der Ruhe, eine Insel der Entschleunigung. Ohne Hektik, ohne Lärm und ohne großen Luxus. Die Insel ist autofrei – und auch Fahrrad fahren ist hier verboten. Nur ein paar Traktoren helfen bei der Landwirtschaft und beim Transport sperriger Güter.

Das Leben ist hart und entbehrungsreich; die Zahl der Freizeitaktivitäten überschaubar. Lediglich zwei Pubs sorgen für Zerstreuung. Richtig einkaufen lässt sich hier auch nicht. Der kleine Inselshop hält neben Souvenirs nur wenig Ess- und Trinkbares vor – und dies auch nur während der touristischen Saison von Ostern bis Oktober. In der kalten Jahreszeit können sich die Insulaner dann nur im Pub mit frischer Milch und Brot eindecken.

Gleichwohl ist Herm für viele ein Stück Paradies mitten in Europa – ein Inseltraum mit acht weitgehend unberührte Stränden, romantischen Buchten, wilden Klippen, türkisblauem Wasser und karibischem Flair. Dank des milden Klimas gedeihen hier Palmen und andere tropische Pflanzen, aber auch wilder Ginster, Bärlauch und die lila-blauen Atlantischen Hasenglöckchen in Hülle und Fülle.

Insel-Umrundung in anderthalb Stunden

Ohne große Mühe lässt sich die kleine Insel im Golf von St. Malo in anderthalb Stunden umrunden. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ohne große Mühe lässt sich die kleine Insel im Golf von St. Malo in anderthalb Stunden umrunden. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Bei gerade einmal 2,4 Kilometern Länge und einer Breite von 800 Metern lässt sich die herrlich grüne Insel bequem in anderthalb Stunden umrunden. Auf den schmalen Pfaden entlang der Strände und Klippen lassen sich immer mal wieder Kaninchen und Fasane blicken, während sich in den Gewässern vor Herm reihenweise Robben und Delfine tummeln. Unter den mehr als 100 Vogelarten, die hier jahreszeitlich bedingt anzutreffen sind, erfreuen sich besonders von März bis Juni die putzigen Papageientaucher an der so genannten Puffin Bay im Südosten der Insel großer Beliebtheit.

Der Shell Beach am nordöstlichen Ende der Insel ist bekannt für seine farbenfrohen Muschelfragmente, aber auch für die intensive Sonneneinstrahlung. Und so endet ein unvorsichtiges Sonnenbad an dem schneeweißen Sandstrand nicht selten mit einem fiesen Sonnenbrand, dem „Herm-Burn“. Mit dem erhitzten Körper ließe es sich natürlich wunderbar in den sanften Fluten am Shell Beach eintauchen. Allein wäre dies ein Bad der Extreme.

Einer von acht traumhaften Stränden: der Belvoir Bay Beach. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Einer von acht traumhaften Stränden: der Belvoir Bay Beach. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Das Wasser erwärmt sich selbst in heißen Sommern auf kaum mehr als 17, 18 Grad Celsius“, weiß Lesley zu berichten. Die Powerfrau selber kann dies nicht schocken. Im Gegenteil. Sie stürzt sich mindestens zweimal pro Woche in die Fluten, um dann, nur im Badeanzug bekleidet, einen Sprint bergauf zu ihrem warmen, kleinen Cottage zurückzulegen.

Badespaß für Hartgesottene

Ihr Wohnhaus liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Manor House, dem Stammsitz der Inselpächter fast in der Mitte von Herm. Gleich nebenan findet sich mit der St. Tuguals Kapelle ein kleines Gotteshaus aus dem 11. Jahrhundert. Ein Kleinod ist auch das winzige Gefängnis, das sich unweit des Hafens halb versteckt zwischen dem Tennisplatz des White Houses Hotels und dem vorgelagerten kleinen Strand unter Palmen duckt. Der im 18. Jahrhundert fertig gestellte Rundbau aus Bruchstein gemahnt optisch an einen zu groß geratenen Bienenstock und bietet völlig luxusbefreit Platz für maximal einen Gefangenen.

Die vielen Muscheln und Muschelfragmente gaben dem Shell Beach seinen Namen. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Die vielen Muscheln und Muschelfragmente gaben dem Shell Beach seinen Namen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Ich kann mich nicht erinnern, wann das Gefängnis zum letzten Mal genutzt wurde“, so Lesley, mit Blick auf die Tatsache, dass Herm wohl zu den wenigen Orten der Welt gehört, auf denen Kriminalität wie ein Fremdwort anmutet. Dazu passt auch, dass drei Insulaner abwechselnd ehrenamtlich als Hilfs-Polizisten fungieren. Wobei die Hobby-Staatsmacht in der Regel nicht viel zu tun hat. Fast scheint es, das einzige denkbare Verbrecher wäre, Herm nicht bezaubernd schön zu finden – was es nämlich tatsächlich ist.

Wissenswertes zu Herm

Allgemeine Informationen: www.herm.com und www.visitguernsey.com/deutsch

Allgemeines: Herm ist die kleinste bewohnte Kanalinsel und gehört zur Vogtei (Bailiwick) Guernsey. Herm ist wie die übrigen Kanalinseln weder Teil des Vereinigten Königreichs noch eine Kronkolonie, sondern als Kronbesitz direkt der britischen Krone unterstellt und auch kein EU-Mitglied.

Der Sand am Strand am White House Hotel ist farbtechnisch eine kleine Inselbesonderheit. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Der Sand am Strand am White House Hotel ist farbtechnisch eine kleine Inselbesonderheit. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Lage: Herm liegt rund 130 Kilometer südlich von England und 40 Kilometer nördlich der französischen Küste im Golf von St. Malo. Rund fünf Kilometer Luftlinie sind es bis nach Guernsey.

Ein Kleinod: das an einen Bienenstock gemahnedne Gefängnis auf Herm. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Ein Kleinod: das an einen Bienenstock gemahnedne Gefängnis auf Herm. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Anreise: Von Mai bis Oktober bietet Airberlin Direktflüge von Düsseldorf und Stuttgart nach Guernsey an. Alternativ empfiehlt sich die Anreise mit British Airways nach London Gatwick oder London City Airport und von dort weiter mit Aurigny. Von Guernsey aus ist Herm bequem mit dem Boot zu erreichen.

Fähre: Die Bootsfahrt von Guernsey nach Herm dauert rund 20 Minuten und kostet 13 Guernsey Pounds. Weitere Informationen unter Telefon 0044-(0)1481-7211379 und unter www.traveltrident.com.

Währung: Zahlungsmittel ist das Britische beziehungsweise das gleichwertige Guernsey Pfund. Ein Pfund entspricht etwa 1,26 Euro, ein Euro etwa 0,78 Guernsey Pfund.

Übernachten: White House Hotel, Herm, Guernsey GY1 3HR, Telefon 0044-(0)1481-750000, www.herm.com. Das einzige Hotel auf Herm ist von Ostern bis Oktober geöffnet und verfügt über 40 Zimmer. Das Vier-Stern-Hotel hält in den Zimmern weder einen Fernseher noch ein Telefon bereit. Aber es gibt Wifi. Übernachtungen mit Halbpension beginnen bei 107 Pfund.

Die Insel verfügt auch über einen Zeltplatz. Außerdem stehen 20 Miet-Cottages zur Verfügung. Informationen unter Telefon 0044-(0)1481-750000.

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