
Seit ein paar Jahren ist die Hauptstadt der malaiischen Insel Penang vor allem für eines bekannt: ihre einzigartige Street Art. Die dreidimensionalen und interaktiven Werke zieren die Wände der alten Kolonialgebäude in den Gassen der Stadt und machen den klassischen Sehenswürdigkeiten Konkurrenz.

Wie cool ist das denn? Da kann ich mich in ein Wandgemälde einfügen und neben Marilyn auf einer Bank sitzen, mich auf ein Glas Wein mit Mona Lisa verabreden, unter Beethovens kritischem Blick Klavier spielen, mich zu Mr. Bean aufs Fahrrad schwingen, oder einen Tiger hinter mir herziehen. Initiator der außergewöhnlichen Kunstwerke ist der litauische Künstler Ernest Zacharevic, der 2012 während des George Town Festivals im Auftrag der Stadt die ersten sechs Bilder auf Hauswände zauberte und dabei reale Gebrauchsgegenstände in fotorealistisch gemalte Alltagsszenen integrierte. Sein berühmtestes Werk „Little Children on a Bicycle“ in der schmalen Armenian Street zeigt ein Mädchen und einen Jungen, die lachend auf einem alten Fahrrad sitzen. Die beiden sind gemalt, das Fahrrad ist echt.
Schlange stehen für ein Selfie

„Die Kinder sind Tan Yi und ihr kleiner Bruder Tan Kern“, erzählt Rikscha-Fahrer Syed. „Zacharevic sah die beiden mit dem viel zu großen Fahrrad spielen, fotografierte sie und verewigte sie wenig später mit Genehmigung der Eltern auf der Hauswand“. Dank sozialer Netzwerke verbreitete sich das Foto des Murals in Windeseile um den Globus und machte Zacharevic zum Superstar der Szene und die Kinder zu Berühmtheiten in George Town. „Es gibt keinen Einwohner, der die beiden nicht kennt“, sagt Syed. Die BBC nannte den litauischen Künstler, der zeitweise auf Penang lebte, die Antwort Malaysias auf Banksy.

Die Schlangen vor dem berühmten Mural sind lang. Auf der einen Straßenseite warten Touristen in erbarmungsloser Hitze darauf, für die bloße Dauer eines Handykameraklicks den Platz zwischen Tan Yi und Tan Kern einzunehmen. Auf der anderen Seite stehen Freunde und Familienmitglieder Ersterer, die darauf warten, auf den Auslöser zu klicken.
Auf der Suche nach dem perfekten Insta-Motiv

Zwei junge Italienerinnen finden die richtige Pose nicht. Die eine setzt sich auf den Gepäckträger hinter dem Jungen, die andere auf den Sattel neben dem Mädchen. Beim Versuch, es so aussehen zu lassen, als würden die Kinder zwischen ihnen sitzen, verliert die Vordere das Gleichgewicht und fällt. „Ma che fai!“ (Aber was machst du?) schreit die Dritte im Bunde, die ihre beiden Freundinnen mit der iPhone-Kamera für Instagram festhalten soll. Ähnliche Szenen spielen sich in der Ah Quee Street vor dem Mural „Boy on a Motorcycle“ ab. Das Motorrad ist echt, der Motorradfahrer gemalt.

Von zwei Japanerinnen erfahre ich, dass sie allein wegen der einzigartigen Wandgemälde nach George Town gekommen sind. Sie setzen sich hinter den Jungen aufs Motorrad und werden so Teil der Szene, die ich auf ihre Bitte hin auf ihren Smartphone-Kameras festhalte.
Kunst für streunernde Katzen

Mehr als 25 Gemälde gibt es mittlerweile in verschiedenen Gassen der Stadt. Acht davon stammen von Zacharevic. Da die Wandbilder auf den abgeblätterten Fassaden der alten Bauten Wind und Wetter und den Händen von Touristen ausgesetzt sind und so mit der Zeit verblassen, lässt die Stadt sie regelmäßig auffrischen. Manche Murals sehen so real aus, dass man schon zweimal hinschauen muss um zu erkennen, dass es sich bei den Abbildungen um keine echten Szenen handelt.

Der Erfolg von Zacharevics Street Art führte beim Festival 2013 zum „101 Lost Kittens“-Projekt der Künstlergruppe ASA (Artists for stray animals). Hinter ASA stecken Natthaton Muangkliang aus Thailand und Tang Yeok Khang sowie Louise Low aus Malaysia. Die drei malten Katzen in allen Variationen und Situationen auf Hauswände und Mauern, um auf die zahlreichen streunenden Tiere auf der Insel aufmerksam zu machen. Die Katzen-Murals sind ebenso beliebt wie Zacharevics Bilder, denn auch sie lassen Besucher Teil der Szene werden. Weitere Informationen unter https://mypenang.gov.myhttps://mypenang.gov.my.

Cornelia Lohs
Die Journalistin und Reisebuchautorin lebt und schreibt in ihrer Heimatstadt Heidelberg, wenn sie nicht gerade irgendwo in der Welt unterwegs ist. Und das ist sie an über 100 Tagen im Jahr. Besonders angetan haben es ihr die nordischen Länder, Irland, Nord- und Lateinamerika.