Auf ein schaumiges Bier nach Pilsen

Pilsen
Die Keller der Brauerei von Pilsen ziehen nicht nur Bierliebhaber in ihren Bann. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Pastellfarbene Häuser mit prachtvollen Giebeln dominieren das Straßenbild in der Innenstadt von Plzeň, wie Pilsen auf Tschechisch heißt. Eigentlich müsste man wie ein Hans-guck-in-die-Luft durch die kopfsteingepflasterte Altstadt flanieren, um nicht die vielen liebevollen Details an den Häuserfassaden zu übersehen. Überall gibt es kleine Verzierungen, hübsche Statuen und Mosaike zu bestaunen. Insbesondere rund um Platz der Republik, dem Náměstí Republiky. Auf dem 139 mal 193 Meter großen Marktplatz erhebt sich die St.-Bartholomäus-Kathedrale, die sich rühmen darf, über den mit 102,6 Metern höchsten Kirchturm in Tschechien zu verfügen. Gesäumt wird der Vorzeigeplatz in Europas Kulturhauptstadt des Jahres 2015 vom Rathaus von 1559, dem historische Kaiserhaus sowie der vergoldeten Pestsäule von 1681.

Pilsen
Das Pilsener Keller-Labyrinth verläuft weitgehend unter der historischen Altstadt. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Kaum jemand ahnt, dass sich unter dem zentralen Platz ein riesiges unterirdisches Labyrinth befindet. Das stark verzweigte Ganggewirr misst eine Länge von nicht weniger als 13 Kilometern und ist eng verknüpft mir der Pilsener Biertradition. Zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert ließen die wohlhabenderen Bürger der Stadt zahllose Keller anlegen, um in Zeiten, in denen Kühlschränke noch lange nicht erfunden waren, Lebensmittel einlagern zu können. Dazu wurden Teile der Räume in den Wintermonaten mit Eisschollen, die aus den umliegenden Flüssen Mies, Radbusa, Úhlava und Úslava gebrochen wurden, aufgefüllt.

Bürgerhäuser mit Braurecht

Kaum jemand ahnt, dass sich unter dem Platz der Republik ein weitläufiges Kellerlabyrinth befindet. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Das eigentliche Kellerlabyrinth, dessen Eingang sich direkt am Brauereimuseum in der Altstadt befindet, entstand erst unter dem sozialistischen Regime im 20. Jahrhundert. Damals wurde die Idee geboren, die einzelnen Keller miteinander zu verbinden, um den Verkehr aus der Stadt zu halten und die heute viertgrößte Metropole des Landes quasi von unten zu versorgen. Doch dies blieb graue Theorie, obschon die in Teilen gerade einmal 1,80 Meter hohen Gänge mühevoll angelegt wurden.

Pilsen
Eine der Landmarken in Pilsen ist die Große Synagoge. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Aber zurück zum Bier: Bereits im Jahre 1296 verlieh der böhmische König rund 260 Bürgerhäusern in Pilsen das Braurecht. Das Privileg gestattete dem Hausherren, eigenes Bier zu brauen. Obschon die Qualität der zumeist obergärigen Biere nur selten für positive Geschmackserlebnisse sorgte, spielten die acht bis zehn Grad Celsius warmen Kellerräume mit ihrer bis zu 95-prozentigen Luftfeuchtigkeit eine wichtige Rolle, um das Gesöff haltbarer zu machen.

Steigbügelhalter aus Bayern

Das Brauereimuseum lädt zu einer Zeitreise durch die Biergeschichte. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Doch gerade die mittelalterliche Braukunst verdiente in der heutigen böhmischen Biermetropole ihren Namen absolut nicht. Jeder braute, wie er wollte. Sogar Fäkalien von Hunden und Knochen von Gefangenen wurden verwendet, um mit dem Trunk vermeintlich magische Kräfte zu entfachen. Entsprechend hielt sich die Begeisterung bei den Abnehmern in Grenzen. Das Ganze gipfelt schließlich 1838 in einer Protestaktion. Rund drei Dutzend Bierfässer wurde vor dem Rathaus ausgeschüttet. Ein symbolischer Akt, der in der heutigen 175.000-Seelen-Gemeinde zu einem Umdenken führte.

Pilsen
Der markante Torbogen markiert den Eingang zum Brauereigelände. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Im Jahre 1839 wurde schließlich das Bürgerliche Brauhaus, das Plzeňský Prazdroj, aus der Taufe gehoben, mit dem Ziel, ein schmackhaftes wie genießbares Bier zu brauen. Allein, es fehlte den Pilsenern an der notwendigen Expertise. Und so machten sie aus der Not eine Tugend und nahmen den bayerischen Braumeister Josef Groll unter Vertrag. Am 5. Oktober 1842 setzte er den ersten Sud des untergärigen Lagerbiers an. Mit seiner Rezeptur aus weichem Wasser, hellem Malz und dem markant bitteren Hopfen aus Žatec (Saaz) schuf der Braumeister aus Vilshofen ein Bier, das sich von den bisherigen Sorten wohltuend unterschied und fortan seinen Siegeszug rund um die Welt antrat.

Ein Schluck aus dem Eichenfass

Die Pilsener Brauerei gewährt einen Einblick in die Herstellungsprozesse. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Korrekterweise trug das helle Bier ursprünglich den Beinamen „nach bayerischer Brauart“. Erster später wurde dieser Begriff durch die Bezeichnung „nach Pilsener Brauart“ abgeändert. Zu diesem Zeitpunkt war Groll schon lange nicht mehr in Amt und Würden. Denn, nachdem, wie böse Zungen behaupten, „der Mohr seine Schuldigkeit getan hatte“, wurde der Vertrag mit dem Braumeister bereits Ende April 1845 aufgehoben. Groll ging – vermutlich im Groll, seine Rezeptur wurde behalten und ist bis heute unverändert. Längst avanciert Pilsener Urquell mit einem Ausstoß von elf Millionen Hektolitern pro Jahr zur mit Abstand größten Brauerei in Tschechien.

Pilsen
Auch ungewöhnliche Blickfänge wie dieses umgebaute Motorrad finden sich in der Brauerei. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Als einer der wichtigsten Besuchermagneten des Landes kann die Brauerei am Rande der Pilsener Altstadt natürlich im Rahmen von geführten Touren besichtigt werden. Dabei wird nicht nur ein Blick in die Sudhäuser mit ihren beeindruckenden Kupferkesseln gewährt, sondern auch in die Abfüllanlage, wo 120.000 Flaschen pro Stunde vom Fließband laufen. Wie die Stadt selber, verfügt die Brauerei über ein neun Kilometer langes, unterirdisches Gangsystem, das in Teilen bis heute als Lagerstätte genutzt wird. Hier dürfen Gerstensaftliebhaber als abschließenden Höhepunkt der kurzweiligen Tour das unpasteurisierte Pilsener Urquell direkt aus dem Eichenfass probieren.

Entspannt im Bier baden

Im Stadtteil Černice lässt sich sogar entspannt im Bier baden. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Noch mehr Biergenuss wartet im wahrsten Sinne des Wortes beim Bierbad in der Purkmistr Brauerei im Stadtteil Černice. Hier können Wellnessjünger und Bierliebhaber in einer aus dem hauseigenen Biersud, Bierwürze, Hefe und einigen geheimen Zutaten gefüllten Lärchenwanne Platz nehmen. Bei wohlig warmen 35 bis 37 Grad Celsius soll das Bierbad vitalisierend wirken. Gleichzeitig regeneriert es die Haut und regt den Stoffwechsel an. Ergänzend zur äußerlichen „Anwendung“ kommt auch das innere Wohlbefinden nicht zu kurz. Denn neben jeder Wanne steht ein gefülltes Fass, an dem nach Belieben während des Wannenbads ein Bier gezapft werden darf.

Prachtvoll sind die Fassaden vieler Häuser in der Pilsener Altstadt verziert. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Und tatsächlich macht die hopfige Duftnote des wohlig warmen Wassers fast unweigerlich Durst. Vielleicht liegt es daran, dass die Badezeit auf 20 Minuten begrenzt ist und mancher etwas Zeitdruck verspürt. Auf jeden Fall aber strömt beim Bierspa munter das Bier – erst ins Glas und dann die Kehle herunter. Dabei entspannt das Pils nicht nur die Muskeln, sondern lockert auch die Zunge. Entsprechend schnattern die Badegäste fröhlich aufgeregt vor sich hin. Entspannterer Biergenuss geht wohl kaum…

Wissenswertes über Pilsen

Das böhmische Pilsen aus der Vogelperspektive.

Informationen: www.visitpilsen.eu und www.visitczechrepublic.com

Pilsener Urquell (Brauereitour): U. Prazdroje 64/7, 30100 Pilsen, Telefon 00420-377062888, www.prazdrojvisit.cz/de/

Pislen
Das Brauereimuseum erzählt anschaulich die Geschichte der Bierherstellung in der böhmischen Stadt. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Brauereimuseum, Veleslavina 58/6, 30100 Pilsen, Telefon 00420-377062888, www.prazdrojvisit.cz/de/. Das kleine Museum spannt den Bogen vom Mittelalter bis in die Neuzeit und präsentiert u.a. eine gotische Mälzerei.

Bierspa: Pilsen Beer Spa & Wellness Hotel Purkmistr, Selská náves, 32600 Pilsen-Černice, Telefon 00420-377994311, www.purkmistr.cz. Das Bierspa kostet pro Anwendung 1.100 Tschechische Kronen (etwa 45 Euro).

Nützliches Bierwissen

Das Pilsener Urquell gibt es in verschiedenen Varianten. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Kleine Bierkunde: Das tschechische Wort „Pivo“ für Bier stammt aus dem altslawischen und bedeutet „das gewöhnlichste und meist verbreitete Getränk“. Pro Kopf und Jahr werden in Tschechien nicht weniger als 143 Liter Bier konsumiert. Bei frisch gezapftem Bier ist ein „Hladinka“, ein großes Bier mit einer hohen Schaumkrone bis zum Glasrand, der Klassiker. „Šnyt“ (Schnitt) hingegen ist ein kleines Bier im großen Glas, wobei mindestens die Hälfte aus Schaum besteht. Sehr beliebt, insbesondere bei weniger Trinkfesten, ist „Mlíko“ (Milch), wo das Glas komplett mit Schaum gefüllt wird.

Tipp: Immer am ersten Oktoberwochenende findet auf dem Brauereigelände das Pilsener Fest mit jeder Menge Bier, Livemusik und Begleitprogramm statt. Informationen unter www.pilsnerfest.cz.

Ess- und Schlafgenuss in Pilsen

Pilsen
In der Gaststätte Na Parkánu kommt neben frisch gezapftem Bier vorwiegend Deftiges auf den Tisch. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Essen & Trinken: Seit dem Jahre 1295 wird in Pilsen gebraut. Die süffigen Biersorten passen perfekt zur deftigen böhmischen Küche. Typisch sind Kulajda, eine Suppe mit Kartoffeln, Schmand und Dill; Gulasch im Brotlaib; Bratwürste mit Kraut und Knödeln. Zum Kaffee gibt es Apfelstrudel und Hefegebäck.

Restaurants: Original tschechische Küche und eine gute Bierauswahl gibt es im Na Parkánu Senk, Veleslavinova 59/4, 30100 Pilsen, Telefon 00420-377324485. www.naparkanu.com

Courtyard
Das moderne Hotel liegt in Gehweite nahezu aller Sehenswürdigkeiten der Biermetropole. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Übernachten: Courtyard Bonvoy Pilsen, Sady 5. kvetna 57, 30100 Pilsen, Telefon 00420-(0)373-370100, www.courtyardpilsen.com. Gut ausgestattetes Stadthotel in perfekter Lage am Rande der Altstadt. Doppelzimmer werden ab umgerechnet 85 Euro angeboten.