Vallée de Joux – im Tal der komplizierten Uhren

Vallée de Joux
Das kleine Vallée de Joux im Schweizer Kanton Waadt ist Weltmarktführer in der Herstellung von Luxusuhren. – Foto Karsten-Thilo Raab

In der Schweiz ticken die Uhren anders. Nicht langsamer, sondern präziser. So ist es kein Zufall, dass die Alpenrepublik als die Mutter aller Chronografen gilt. Insbesondere im Vallée de Joux im malerischen Kanton Waadt wissen die meisten der knapp 7.000 Einwohner im wahrsten Sinne des Wortes, was die Stunde geschlagen hat. Denn ihre Vorfahren waren es, die mit jahrhundertelanger Präzisionsarbeit den Grundstein für das hoch geschätzte Uhrmacherhandwerk im Herzen des Waadtländer Juras legten.

Die Luxusuhren aus dem Kanton Waadt bestechen durch ihre Genauigkeit und exzellente Verarbeitung. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nicht von ungefähr erhob die UNESCO im Jahre 2020 das Uhrmacherhandwerk im Vallée de Joux zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Ein Ritterschlag, der das gerade einmal knapp 20 Kilometer lange und zwischen einem und fünf Kilometer breite Tal nicht nur auf die Reisekarte der Reichen, Schönen und Möchtegerne katapultierte.

Vallée de Joux
Der malerische Lac de Joux durchzieht das Vallée de Joux. – Foto Karsten-Thilo Raab

Lange Zeit war das Vallée de Joux fast ausschließlich landwirtschaftlich geprägt. Die Lage mit mehr als 1.000 Meter über dem Meeresspiegel erlaubte nur Holz- und Viehwirtschaft. In den bisweilen harschen Wintermonaten gab es für die Landwirte entsprechend wenig zu tun. Und so entwickelte im 17. Jahrhundert das Uhrenhandwerk in der Region.

Vallée de Joux
Das Vallée de Joux ist bis heutigen Tag landwirtschaftlich geprägt. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Die Bauern fertigten auf ihren Gehöften in mühsamer Kleinarbeit und nach genauen Vorgaben Einzelteile für Uhren, die in einer Manufaktur in Genf zusammengesetzt, eingeschalt und dekoriert wurden“, verweist Sonja Pousset auf die Tatsache, dass jeder Bauer dabei auf ein bestimmtes Teil spezialisiert war.

Uhren aus dem Kanton Waadt sind hochkomplexe Gebilde und setzen sich aus Hunderten von Teilen zusammen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die quirlige wie charmante Blondine fungiert als deutschsprachige Führerin im Musée Espace Horloger in Le Sentier. Das museale Kleinod präsentiert Uhren vom 16. bis 19. Jahrhundert und schlägt zudem den Bogen vom Schattenstab über die Sonnenuhr bis hin zu den heutigen Zeitmessern.

Teilansicht einer Uhr im Musée Espace Horloger. – Foto Karsten-Thilo Raab

Bereits im 13. Jahrhundert wurden, so Sonja Pousset weiter, erste Großuhren in Deutschland, Frankreich, Italien und England entwickelt. Diese waren jedoch massive Klötze, die gerne mal ein Volumen von zwei Kubikmetern ausfüllten. Erst mit der Erfindung der Zugfeder im 15. Jahrhundert schrumpften die Ausmaße der Uhren merklich, so dass die Zeitmesser nicht nur genauer, sondern auch tragbar wurden.

Vallée de Joux
Das Musée Espace Horloger in Le Sentier lädt zu einer Zeitreise vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts gingen die Bauern hier bei uns im Vallée de Joux ihrer Arbeit im Rhythmus der Jahreszeiten nach. Im Sommer kümmerten sie sich um das Vieh, brachten Heu ein, im Winter fertigten sich Uhrenteile“, fährt Sonja Pousset fort, wohl wissend, dass viele der Luxusuhren aus dem Vallée de Joux aus bis zu 1.000 mikroskopisch kleinen Einzelteilen bestehen.

Einige der Luxusuhren aus dem Vallée de Joux wechseln für Millionenbeträge den Besitzer. – Foto Karsten-Thilo Raab

Für die Bauern war dies ein überlebenswichtiges Zubrot; für die Hersteller aus dem Tal wichtigste Voraussetzung, um die kleinen Wunderwerke der mechanischen Uhrmacherei überhaupt in den gewünschten Mengen und der gewünschten Qualität produzieren zu können. Meist hatten die Bauern für ihre Kleinarbeit ein kleines Atelier unter dem Dach ihres Gehöfte eingerichtet. Mit dem 20. Jahrhundert brach auch im Uhrenhandwerk die Industrialisierung an. Mehr und mehr Bauern verließen im Winter ihre Höfe, um in den Fabriken im Tal zu arbeiten. Viele gaben schließlich die Landwirtschaft komplett auf und wurden zu Vollzeit- Uhrmachern.

Typischer Arbeitsplatz eines Uhrmacher-Bauerns im Musée Espace Horloger. – Foto Karsten-Thilo Raab

Als stumme Zeugen für diese Entwicklung finden sich noch heute rund um den knapp zehn Quadratkilometer großen Lac de Joux 26 sogenannte Uhrmacher-Bauernhöfe. Wichtigster Arbeitgeber im Vallée de Joux ist nach wie vor die Uhrenindustrie. Fast zwei Dutzend Uhrenfirmen sind hier angesiedelt – darunter Luxusmarken wie Breguet, Blancpain und Jaeger-LeCoultre.
„Schweizer Uhren haben weltweit einen Marktanteil von gerade einmal fünf Prozent, generieren jedoch 50 Prozent des globalen Gesamtumsatzes“, nennt Sonja Pousset weitere beeindruckende Fakten.

Die präzisen Uhren werden bis heute in mühevoller Kleinarbeit erstellt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nicht nur im Musée Espace Horloger wird die Geschichte des immateriellen Welterbes eindrucksvoll aufgearbeitet, sondern auch knapp sechs Kilometer weiter südwestlich in Le Brassus. In dem kleinen Dörfchen eröffnete im Sommer 2020 das Musée Atelier Audemars Piguet. Erzählt wird hier die gut 150 Jahre alte Geschichte des Traditionsunternehmens, das das Uhrwerk der legendären Omega-Uhr, die bei der ersten Mondlandung zum Einsatz kam, herstellte.

Eine der ersten Adressen für Luxusuhren: Audemars Piguet in Le Brassus. – Foto Karsten-Thilo Raab

Berühmt ist Audemars Piguet auch für einen Chronographen, der im Auftrag von Michael Schumacher entwickelt wurde. Eigens für den siebenfachen Formel-Eins-Weltmeister wurde eine Uh entwickelt, der mehrere aufeinander folgende Rundenzeiten bei einem Rennen aufzeichnen kann.

Ultramodern präsentiert das Musée Atelier Audemars Piguet seine beeindruckende Sammlung. – Foto Karsten-Thilo Raab

Zu den weiteren Besonderheiten des hypermodernen Museums zählt neben ikonischen Modellen wie der achteckigen „Royal Oak“ auch die „Universelle“. Merkmal dieser seit 1899 bis heute gefertigten Uhr sind sage und schreibe 21 unterschiedliche Funktionen sowie 13 Zeiger. Zusammengesetzt ist das Meisterwerk aus exakt 1.168 Uhrwerksteilen. Luxus, den sich nur wenige leisten können. Eine „Gran Complication“ beispielsweise kostet rund 700.000 Euro. Andere, mit Diamanten besetzte Einzelstücke wechselten für ein Million Euro den Besitzer und eine Sonderedition mit Marvel-Motiv wurde gar für fünf Millionen Euro versteigert.

Auch architektonisch weiß das Musée Atelier Audemars Piguet zu begeistern. – Foto Karsten-Thilo Raab

Auch architektonisch weiß das Museum, das an die Werkstatt der Gründerväter angebaut ist, Akzente zu setzen: Es besteht aus einer Gras bewachsenen Spirale mit gebogenem Glas. Ein 470 Tonnen schweres Konstrukt mit tollen Panoramablicken auf das Vallée de Joux.

Auch die Gründer von Audemars Piguet sind im Museum gegenwärtig. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Besuchern unser Erbe, unser Savoir-faire, unseren kulturellen Ursprung und unsere Weltoffenheit näherzubringen. Dafür benötigen wir ein Gebäude, das sowohl unsere Wurzeln als auch unsere fortschrittliche Philosophie verdeutlicht“, unterstreicht die Vorstandsvorsitzende Jasmine Audemars, dass es gleichzeitig der Anspruch sei, die Uhrmacher und Kunsthandwerker zu würdigen.

Die Uhrmacher lassen sich im Musée Atelier Audemars Piguet bereitwillig über die Schulter schauen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Und so sind in das Museum geschickt einige Arbeitsplätze integriert. Uhrmacher, Graveure und Restauratoren lassen sich hier bereitwillig bei ihrer filigranen Arbeit über die Schulter schauen. Näher lässt sich ein faszinierendes Welterbe wohl nicht in Augenschein nehmen.

Vallée de Joux
Die Uhren bei Audemars Piguet sind echte Handarbeit. – Foto Karsten-Thilo Raab

Allgemeine Informationen: Office du Tourisme du Canton de Vaud, Avenue d’Ouchy 60, 1001 Lausanne, Schweiz, Tel. 0041-(0)21-6132626, www.genferseegebiet.ch

Vallée der Joux: Vallée de Joux Tourisme 1347 Le Sentier, Tel. 0041-(0)21 8451777, www.myvalleedejoux.ch

Corona-Info und Regelungen für die Schweiz: www.bag.admin.ch

Tolle Einblicke in die Welt der Uhrenherstellung vermitteln die Museen im Kanton Waadt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Uhrenmuseen: Musée Espace Horloger, Grand Rue 2, 1347 Le Sentier, Schweiz, Tel. 0041-(0)21-8457545, www.espacehorloger.ch

Musée Atelier Audemars Piguet, Route du Brassus 18, 1348 Le Brassus, Schweiz, Tel. 0041-(0)21-6423900, www.museeatelier-audemarspiguet.com. Das Museum ist ausschließlich im Rahmen geführter Touren nach vorherigen Anmeldung zu besichtigen. Der Eintritt beträgt 30 CHF.

Vallée de Joux
Die Käsespezialitäten aus dem Vallée de Joux sind ein Genuss. – Foto Karsten-Thilo Raab

Essen & Trinken: Le Chalottet, 1343 Les Charbonnières, Schweiz, Tel. 0041-(0)79-4711748, www.lechalottet.ch. Urgemütliches Restaurant inmitten einer Alpweide oberhalb des Lac de Joux. Spezialität sind Rösti-Varianten.

Hotel du Marchairuz, Col du Marchairuz, 1348 Le Brassus, Tel. 0041-(0)21-8452530, www.hotel-marchairuz.ch

Vallée de Joux
Blick vom Hotel Bellevue Le Rocheray auf den Lac de Joux. – Foto Karsten-Thilo Raab

Übernachten: Hotel Bellevue Le Rocheray, Le Rocheray 23, 1347 Le Sentier, Schweiz. Tel. 0041-(0)21-8455720, www.rocheray.ch. Das direkt am Lac de Joux gelegenes Drei-Sterne-Hotel mit großräumigen Zimmern bietet Übernachtungen im Doppelzimmer ab 110 CHF an.

ValPass: Der ValPass, den jeder Gast bei Übernachtung im Hotel, in einer Ferienwohnung oder auf der Campingplatz erhält, ermöglicht die kostenfreie Nutzung von Bus, Zug und Schiff im Vallée de Joux und bietet ermäßigte Eintritte für die Sehenswürdigkeiten der Region.