
Mittags Ankunft auf dem Prager Hauptbahnhof. Aus den Lautsprechern plätschert Klaviermusik mit Smetana-Melodien, angenehm. „Es ist mittlerweile Tradition, unsere Gäste mit Musik zu begrüßen“, erklärt die tschechische Reiseleiterin Jana. „An zentralen Punkten der Stadt stehen Pianos zu jedermanns Gebrauch. Aber uns zieht ja das Vergnügen an all den Herrlichkeiten im böhmischen Land“.

Über mehrere Tage genießen wir den Charme barocker Kleinstädte in Tschechien, schlurfen in Filzpantoffeln über die Parkette prachtvoller Schlösser, stehen vor Schaufenstern voller Bleikristall, trinken kräftiges Bier und erdigen Landwein zu deftiger böhmischer Küche.

Ganz „pomalu“ – auf deutsch: immer mit der Ruhe – lassen wir uns von Marktplatz zu Marktplatz treiben, von Gotik zu Barock, von Renaissance zu Jugendstil und retour. Bald rasten wir auf dem Mauerwerk verfallener Burgen, bald an den Ufern von Elbe und Moldau. So viele Schlachten, Verschwörungen, Klostergründungen, Adelshochzeiten, Verbannungen, Abschädelungen!

Relativ wenige ausländische Autos. Übersehen die Touristen wirklich diese unglaubliche mitteleuropäische Kulturlandschaft, übergehen sie sie trotz günstiger Preise und ordentlicher Infrastruktur? Hat nie jemand etwas von böhmischen Knödeln und Pilsener Bier gehört?

Die barocken Schätze zu entdecken, führt eine Rundtour mit diversen Abstechern von Prag über Kuks, Hradec Králové (Königsgrätz), Kutnà Hora (Kuttenberg), Loucen, Litomerice (Leitmeritz), Jiretín pod Jedlovou (Sankt Georgenthal), Rumburk und Decín (Tetschen) zurück an die Moldau.

Anlaufen könnte man auch noch die Schokoladenstadt Pardubice oder Sedlec oder ein Bauerndorf im sogenannten „Böhmischen Paradies“.

Herausragend sind natürlich die Prachtstädte Kutná Hora oder Hradec Králové, von deren bürgerlicher Schönheit alle Reiseführer schwärmen. Jene ist reich geworden durch Silbererz und stolz auf ihren barockgotischen Dom und die Kathedrale, die zusammen mit dem altertümlichen Stadtkern Unesco-Weltkulturerbe sind.

Diese, Königsgrätz, an Adler und Elbe, ist die Stadt der böhmischen Königinnen mit einer Bischofsresidenz in italienischem Barock und bemerkenswerten Profanbauten. Die meisten erstrahlen heute in frischem, bunten Glanz – erst recht nach dem dritten Budweiser in einem der Straßencafés am Marktplatz. Hradec Králové, „Salon der Republik“! schwärmen sie heute.

Vielerorts wird Geschichte in Geschichten, Historie in Histörchen lebendig. So in Kuks, das sich gern – wenngleich unpassend – als „Böhmisches Florenz“ vorstellt. Sein Initiator Franz Anton Sporck – 1662 bis 1738 – aus niederem westfälischen Adel kultivierte allerhöchste Ambitionen. Im Tal links und rechts der noch mageren Elbe erschuf er sich seine Welt vom prallen Leben von der Jugend bis zum Tod.

Ein barockes Utopia aus Schloss, Gruftkapelle, einem Altersheim nur für Männer, aus Rennbahn, Lustgärten, Philosophenhaus und einem Andachtsweg zwischen Tugenden und Lastern – Steinfiguren des Meisters Matthias Bernhard Braun aus Tirol vom Anfang des 18. Jahrhunderts. Sie gelten als Höhepunkt der Bildhauerei in Böhmen.

Geschichten – und Superlative – auch um das älteste Großgestüt der Welt, Kladruby, unweit von Pardubice. Es beherbergt die berühmten weißen Altkladruber Pferde der Kaiser und Könige, 400 an der Zahl. Die Zucht geht gut 400 Jahre zurück auf Kaiser Rudolf II., der ja auch böhmischer König war und auf dem Prager Hradschin residierte.

Ein Schloss ließ er sich bauen auf dem Gestüt, der Kaiser Franz Joseph, und kam immer mal wieder aus Wien mit seiner Sissi – Pferdeliebhaber und begeisterte Zuschauer bei den großen Rennen, die auch heute noch viele anziehen. Hochgeschätzt sind die edlen Warmblüter immer noch bei den europäischen Royals: die dänische Königin Margarete II. lässt sich in ihrer Staatskarosse von sechs Kladrubern durch Kopenhagen „ziehen“; in Schweden sitzen die königlichen Trompeter auf den Pferden und bei offiziellen Zeremonien sieht man sie im Prager Schloss. Beim Abschied möchte man mit dem alten Kaiser Franz Joseph sagen: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“.

Loucen: Histörchen um die Thurn und Taxis böhmischer Linie und ihr romantisches Barockschloss aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts. „Fürst und Fürstin sind gerade verreist, darf ich Ihnen ihr Schloss zeigen?“, fragt “Zofe Josephine“ die Besucher mit einem Augenzwinkern. Mit Schwung und vielen Anekdoten erzählt sie bei der beliebten Märchenführung aus dem Leben der letzten Schlossherren, Alexander und Marie von Thurn und Taxis. Bis 1945 residierte man auf Loucen. Dann kamen die Sowjets und die Fürstenfamilie wurde evakuiert – zurück kehrten sie nie. Nach umfangreicher Restaurierung und der Neuanlage von 11 Labyrinthen und Irrgärten ist das Schloss heute ein echtes Erlebnisschloss!

Aus Mcely, dem verwunschenen Barockschlösschen auf einem Hügel in einem englischen Landschaftspark, die Love-Story: amerikanischer Millionär verliebt sich in junge, schöne Tschechin. Zur Hochzeit macht er ihr, echter Kavalier, das einstige Jagdschloss zum Geschenk. Sie sanieren das ruinöse Bauwerk mit Feingefühl und Sinn für Farben und Formen. Seit 2006 empfangen sie nun in ihrem schmucken „Chateau Mcely“ Hotelgäste. Die schätzen ganz besonders die Speisekarte mit Menüs, die der Chefkoch nach Rezepten der ehemaligen Besitzer, der Thurn und Taxis, gekonnt modern interpretiert.

„Durch Böhmens Hain und Flur“, Smetanas „Vaterland“: weite Landschaften mit leuchtendgelben Rapsfeldern und sattgrünen Waldstücken. Steinbilder erinnern an geschichtliche Ereignisse. Pulsierender Mittelpunkt Nordböhmens ist Litomerice an Elbe und Eger. Fröhlich und jung ist das Weinstädtchen, den Friedensplatz säumen schöne Bürgerhäuser. Cafés und Bistros brummen, kleine Geschäfte machen den Marktplatz lebendig.

In der Ferne liegt Decín, ehemals Tetschen. Das mächtige barock-klassizistische Schloss thront auf einem Felsvorsprung über der Elbe. Bedeutender Schlossherr im 19. Jahrhundert war Graf Franz Anton von Thun-Hohenstein, der die Region politisch, wirtschaftlich und sozial voranbrachte. Herrscher und Künstler gingen auf dem prunkvollen Adelssitz ein und aus. Allen voran die junge Kaiserin Sissi. Frédéric Chopin komponierte hier seinen Tetschener Walzer, den „Tetschener Altar“/„Das Kreuz im Gebirge“ von Caspar David Friedrich ließ sich der Graf übers Bett hängen. Leider hauste bis 1991 die sowjetische Armee in den 150 Schlossräumen. Bis heute ist man dabei, die Baulichkeiten innen und außen Stück für Stück zu restaurieren. Text: Katharina Büttel

Näheres: CzechTourism, Wilhelmstr. 4, 10117 Berlin; Telefon 030-204 47 70; berlin@czechtourism.com; www.czechtourism.com
Anreise: Mit der Bahn oder dem Flugzeug bis Prag, weiter am besten mit einem Mietauto. Der Elbradweg ist inzwischen auch sehr gut ausgebaut und mit Hinweisschildern versehen.

Straßen: Die Straßen in Tschechien sind durchweg gut bis sehr gut, Wegweiser klar.
Sprache: Mit Deutsch und Englisch kommt man gut durch. Bei Besichtigungen erhält man meist deutsche Texte, in besseren Restaurants deutsche Speisekarten.
Fahrradverleih: In Decín nahe der böhmischen Schweiz und an der Grenze zur Sächsischen Schweiz: „enthusia“ mit Hotelanlieferung; Inhaber Sven Czastka spricht perfekt Deutsch, sven.czastka@enthusia.cz, www.enthusia.cz
Unterkünfte: Es gibt alle verschiedenen Hotelkategorien und Privatzimmer. Die Preise sind noch verhältnismäßig günstig. Zum Beispiel in Hradec Kralové Hotel Nové Adalbertinum; Boutiquehotel Chateau Mcely; in Decín Hotel Ceská Koruna auf dem historischen Marktplatz.
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Katharina Büttel
lebt und arbeitet als freie Reisejournalistin in Berlin. Über 30 Jahre reist sie für ihre Reportagen und Fotos um die Welt – seit vielen Jahren veröffentlicht sie auch im Mortimer-Reisemagazin.