Dass die Salisbury Plain eines der größten militärischen Übungsgelände in Europa beheimatet, ist wohl den wenigsten bekannt. Ganz im Gegenteil, die mehr als eine Million Besucher, die sich jährlich auf den Weg in das dünn besiedelte Hügelland machen, interessieren sich vor allem für ein Meisterwerk vorgeschichtlicher Baukunst: den magischen Steinkreis von Stonehenge. Europas berühmtestes prähistorisches Monument ist bis zum heutigen Tag zu einem Symbol für die Mysterien einer unergründlichen Epoche geworden. Hier in der südenglischen Grafschaft Wiltshire ist plötzlich die Steinzeit zum Greifen nahe.
Der Name der „hängenden Steine“ soll sich von Trilithen, Denkmal aus drei Steinen, ableiten. Ursprünglich sollen in Stonehenge 30 dieser Trilithen zu finden gewesen sein, heute sind es lediglich noch 17, von denen sechs noch Oberschwellensteine tragen. Mehr als 4.500 Jahre alt dürfte Stonehenge, das ab 2.800 vor Christus in verschiedenen Phasen errichtet worden sein soll, inzwischen sein. Trotz intensiver Forschungsarbeiten tappt die Wissenschaft bezogen auf das genaue Entstehungsalter jedoch weitgehend im Dunkeln.
Auch über die Frage, wie die gewaltigen Quader aus Wiltshire und den mehr als 300 Kilometern entfernten walisischen Preseli Hills hierher transportiert wurden, konnte trotz einiger plausibler Erklärungsversuche bislang nur spekuliert werden. Möglicherweise wurden die mächtigen Klötze mit Hilfe von kleinen runden Steinen, die als eine Art Kugellager dienten, vorwärts bewegt, indem stabile Stangen als Hebel unter die Sandsteinblöcke gebracht wurden. Denkbar ist auch, dass die Sarsen, die Sandstein-Findlinge, auf Schlitten von bis zu 250 Mann über hügeliges Land, an Berghängen sogar von bis zu 1000 Mann fortbewegt wurden. Derweil sollen die Oberschwellensteine, die durch Nut und Zapfen mit den stehenden Steinen verbunden sind, durch langsames Aufschichten eines Holzgerüstes an ihren Platz gebracht worden sein.
Stonehenge besteht aus vier konzentrischen Steinkreisen. Der Äußere hat einen Durchmesser von 30 Metern und wird von rechteckigen Sandsteinblöcken gebildet. Die gesamte Anlage ist von einem kreisförmigen Graben mit einem Durchmesser von 104 Metern umgeben. An seiner Innenseite erhebt sich ein Erdwall, in dem sich ein Ring von 56 Löchern befindet, die nach ihrem Entdecker, dem Altertumsforscher John Aubrey, als Aubrey-Holes bezeichnet werden und für die Feuerbestattung benutzt wurden.
Breiten Raum für Spekulationen bietet auch die Frage, zu welchem Zweck Stonehenge, das als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESO steht, errichtet wurde. Der magische Steinkreis könnte eine Kult- oder Versammlungsstätte gewesen sein, aber auch eine heilige Grabstätte, ein religiöser Treffpunkt oder eine Sternwarte. Stonehenge könnte dazu benutzt worden sein, die Sommer- und Wintersonnenwende, das Frühlings- und Herbstäquinoktium (Tagundnachtgleiche) sowie Sonnen- und Mondfinsternis vorauszusagen. Vielleicht hat es auch zur Vorhersage der verschiedenen Stellungen von Sonne und Mond zur Erde und damit zur Vorhersage der Jahreszeiten gedient, war also eine Art Kalender.
Aber auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen die Besucher zwischen den majestätisch wirkenden Steine umher spazieren konnten, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, wie hier die Menschen in grauer Vorzeit die Sonne anbeteten, vielleicht auch Opfer darbrachten. Verstärkt wird diese Vorstellung nun durch fünf neolithische Behausungen, die in Stonehenge originalgetreu nachgebaut wurden.
Die schlichten, aber unerwartet großflächigen Häuser bestehen jeweils aus einem einzigen Raum mit gekalkten Wänden. Der Boden war so hergerichtet, dass er sowohl das Sonnenlicht reflektierte, als auch die Wärme des obligatorischen Feuers im Raum zu speichern vermochte, während der Rauch durch das Strohdach abzog. Auch einfaches Mobiliar wie Betten und Sitzgelegenheiten fanden sich in den Ur-Hütten.
„Die Häuser tragen dazu bei, dass die Besucher die Geschichte der Steine im Kontext mit den Menschen, die hier lebten, verstehen“, unterstreicht Kate Davies, Leiterin des Welterbes von Stonehenge und fügt ergänzend hinzu. „Mit dem Betreten der Häuser können die Besucher sich ein Bild davon machen, wie die Lebensbedingungen in jener Zeit waren, als Stonehenge entstand.“
Komplettiert wird das neu eröffnete Areal unweit des erst Anfang 2014 eröffneten, interaktiven Besucherzentrum mit Imitationen neolithischer Äxte, Werkzeuge, Krüge und Töpfe. Laiendarsteller demonstrieren in den Häusern, wie vor längst vergangener Zeit Getreide gemahlen oder Seile gefertigt wurde.
Ein Heer aus 60 Helfern hatte im Auftrag von English Heritage, dem Gralshüter der englischen Geschichte, die Häuser in mühsamer Kleinarbeit errichtet. Allein 20 Tonnen Kreide wurde herangekarrt, um die Wände zu verzieren, und rund 5.000 Haselruten waren notwendig, um die Dachkonstruktion der fünf Häuser originalgetreu herzustellen. Zum Decken der Dächer wurden dann noch einmal drei Tonnen Stroh verwandt.
Errichtet wurden die Häuser übrigens basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die gewonnen werden konnten, nachdem bei Ausgrabungsarbeiten in den Jahren 2006 und 2007 rund 1,5 Kilometer nordöstlich von Stonehenge die Reste neolithischer Häuser entdeckt wurden. Wobei die Wissenschaftler davon ausgehen, dass die Bewohner dieser Häuser möglicherweise in einer engen Verbindung mit dem Bau und den in Stonehenge abgehaltenen Feierlichkeiten standen. Aber dies ist – wie vieles in der langen Geschichte von Stonehenge – auch immer ein gutes Stück weit Spekulation.
Informationen: Stonehenge, Nr Amesbury, Wiltshire SP4 7DE, Telefon 0044-(0)8703330604, www.english-heritage.org.uk/stonehenge.
Eintritt: Der Eintritt beträgt 13,90 Britische Pfund(etwa 17,40 Euro) für Erwachsene, 8,30 Britische Pfund (etwa 10,40 Euro) für Kinder, ermäßigt 12,50 Britische Pfund (15,65 Euro)
Öffnungszeiten: Von Juni bis August täglich 9 bis 20 Uhr, September bis 15. Oktober täglich 9.30 bis 19 Uhr, 16. Oktober bis 15. März täglich 9.30 bis 17 Uhr, 16. bis 31. März 9.30 bis 19 Uhr.
Buchtipp: Ulrike Katrin Peters, Karsten-Thilo Raab: Reisehandbuch Südengland, ISBN 978-3-939408-15-4. Erhältlich ist der Titel für 12,95 Euro im Buchhandel oder direkt beim Westflügel Verlag.
{google_map}Stonehenge{/google_map}
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.