
Der Weg durch die Gassen von Marrakesch ist verwirrend. Im Zickzackkurs geht es durch die malerische Altstadt. Dann öffnet sich inmitten einer unscheinbaren, fensterlosen Fassade mit abgeblättertem Putz eine Tür. Mit einem freundlichen Lächeln, einer kurzen Verbeugung und zwei ausgestreckten Armen, die ins Haus weisen, lädt Abdalim Chakour galant dazu ein, das geheimnisvoll anmutende Innere zu betreten. Der 50-jährige trägt einen blauen Djellaba, einen traditionellen, bodenlanger Kapuzenmantel, sowie einen roten Tarbusch, eine typisch marokkanische Kopfbedeckung, auch „Fes“ genannt.
Mit dezentem Nicken bittet Abdalim, ihm durch die z-förmigen, engen, spärlich beleuchteten Gänge zu folgen. Durch einen Türbogen geht es in einen prächtigen Innenhof mit riesigen, Schatten spendenden Bitterorangenbäumen und Brunnen. Hier legt der Riad ein völlig anderes Gesicht an den Tag und wuchert plötzlich mit dem Charme eines alt-ehrwürdigen Stadtpalastes, wie es ihn in Marrakesch gleich hundertfach gibt.
Kochschule unweit de Jemaa el Fna

„Typisch für einen Riad sind die blinden Wände“, erläutert Abdalim, dass die Außenwände der Paläste bewusst fensterlos gehalten wurden, damit das „einfache Volk“ nicht erahnte, welche Pracht und welcher Reichtum sich dahinter verbirgt. Die zwei- bis dreigeschossigen Riads würden, so Abdalim weiter, immer mehrere, begrünte Innenhöfe mit Brunnen besitzen.

Während viele Riads in der Altstadt von Marrakesch heute als luxuriöse Hotels dienen, hat in das prachtvolle Herrenhaus unweit des Jemaa el Fna, des berühmten Gauklerplatzes, im Herbst 2017 die Lotus School of Cooking Einzug gehalten. Zweimal täglich führt die Kochschule hier Interessierte aus aller Herren Länder in die Geheimnisse der marokkanischen Küche ein.
Tee als Symbol der Gastfreundschaft

„Marokkaner legen großen Wert auf Gastfreundschaft und gutes Essen“, unterstreicht Chefköchin Wafa Amagui gleich nach der Begrüßung. Derweil bereitet Abdalim vor den Augen der Kochschüler in einer großen, silbrig glänzenden Zinnkanne einen frischen Tee zu.

„Tee zu servieren, ist für uns Marokkaner eine protokollarische Pflicht“, erläutert Wafa, dass Minztee so etwas wie das Nationalgetränk Marokkos sei. Normalerweise sei es Aufgabe des Hausherrn, den Tee vor den Augen der Gäste zuzubereiten. In der Lotus School of Cooking obliegt dies Abdalim, der es sichtlich genießt, das Prozedere vor den Fotokameras der Gäste zu zelebrieren.
Zuckersüß

Nachdem er das Wasser in einem Kessel zum Kochen gebracht hat, spült er die Kanne zunächst mit heißem Wasser aus und befüllt sie mit etwas grünem Tee. Nun bricht Abdalim einen dicken Klumpen von einem Zuckerhut ab, wirft diesen in die Kanne, streut ein paar Blätter Minze hinein und füllt das Ganze mit heißem Wasser auf. So dann gießt sich der sympathische Marokkaner selber ein wenig Tee in ein Glas und probiert, ob ausreichend Zucker enthalten ist. Danach füllt er die Gläser der „Kochschüler“ elegant in einem hohen, schwungvollen Bogen.

„Wir Marokkaner haben einen extrem süßen Zahn und lieben viel Zucker“, so Wafa, deren geschultem Blick nicht entgangen ist, dass der Tee einigen Gäste doch entschieden zu süß ist. Lachend schiebt sie noch einen Ratschlag hinterher: „Die Minzeblätter sollten rechtzeitig entfernt werden, bevor der Tee zu bitter schmeckt!“
Verschiedene Kücheneinflüsse

Nach der kleinen Einführung beginnt der eigentliche Unterricht. In der zweiten Etage des Riads wartet ein modern eingerichtetes Kochstudio mit etwa zwei Dutzend Kochstellen. Neben einer Schürze und einem Handtuch liegen an jedem Arbeitsplatz eine Schneidebrett, verschiedene Messer, Löffel, Rührstäbe sowie Kräuter und Gewürze in kleinen Gefäßen bereit. Über dem Waschbecken eines jeden Arbeitsplatzes hängt ein Flachbildschirm. Über diesen können die Kochschüler stets ein Auge auf Wafa werfen, die jeden Schritt der Menüzubereitung an einem zentralen Platz langsam und detailliert vormacht.

„Unsere Küche ist von Arabern, Juden, Mauren und Römern geprägt worden und daher eine Mischung aus afrikanischen und mediterranen Einflüssen“, macht die 40-jährige deutlich. Gleichzeitig spricht sie allen noch einmal Mut zu, versichert dass auch diejenigen, die sonst selbst Wasser anbrennen lassen würden, mit ihrer Hilfe heute etwas Schmackhaftes zaubern würden.
Tagine – vielseitiger Schmortopf

Und schon geht es frisch ans Werk. Das bereit gelegte Gemüse muss zunächst gewaschen werden. Dann gilt es, Zwiebel, Paprika, Möhren, Zucchini, Tomaten, Kartoffeln, ein Stück Steckrübe, eine kleine Zitrone, Knoblauch und ein paar Oliven zu zerschneiden – einiges in Würfel, anderes in lange Streifen oder Scheiben. Mit etwas Pflanzenöl, einem kleinen Stückchen Butter, einem Teelöffel voll Zitronensaft, Pfeffer, Salz, Koriander und ein wenig Wasser wird eine Sauce angerührt.

Das Ganze wird dann zusammen in einen speziellen Topf gegeben. Tagine nennt sich das aus Lehm gebrannte Schmorgefäß mit spitzem Deckel (und auch die darin zubereiteten Gerichte heißen Tagine).

„So eine Tagine ist auf jedem Basar ab umgerechnet etwa zehn Euro zu kriegen“, verweist Wafa auf die Eigenart der Tagine, den Geschmack eines Gerichtes anzunehmen. Daher hat jeder marokkanische Haushalt in der Regel für jede Fleischsorte auch einen eigenen Topf.
Das Geheimnis liegt in der Sauce

Während das Gemüse auf einer Gasflamme in der Tagine vor sich hin köchelt, wird eine bereitgelegte Hühnerbrust in mundgerechte Stücke zerschnitten und ebenfalls mit hineingegeben.

„Essen ist bei uns meist simpel. Wichtig ist die richtige Mischung aus Gewürzen und Kräutern“, so Wafa, die einmal unter den Deckel einer jeder Tagine schaut und mit einem kleinen Löffel die Saucen probiert. Hier und da würzt sie etwas nach, bevor ein weiterer Gang vorbereitet wird. Hierzu werden zwei geschälte Möhren mit einer Reibe zerkleinert. Eine kleine Tasse Orangensaft, ein Löffelchen Zucker, etwas Zimt, eine Handvoll Rosinen sowie ein halber Teelöffel mit Orangenblütenwasser runden den erfrischenden Vitamindrink ab.
Marokkanischer Auberginen-Salat

Selbst für wenig geübte (Hobby-) Köche stellt die anschließende Zubereitung eines Tomaten-Gurken-Salats keine wirkliche Herausforderung dar. Tomaten, Gurken und Zwiebel werden in Würfel geschnitten und miteinander vermengt. Ein wenig Olivenöl, ein Schuss Zitronensaft, etwas Salz und Pfeffer sowie ein bisschen Petersilie runden das Ganze ab.

Etwas anspruchsvoller ist da schon der „Zaalouk“, ein marokkanischer Auberginen-Salat. Dazu muss eine Aubergine geschält und anschließend in Würfel geschnitten werden. Das zerkleinerte Nachtschattengewächs wird dann zusammen mit einer Prise Salz und Knoblauch solange in Wasser gekocht, bis die Aubergine zart und weich ist. Nach dem Abtropfen wird die Aubergine zusammen mit dem Knoblauch, Olivenöl, Zitronensaft sowie ein paar Kräutern und Gewürzen vermengt und anschließend kalt gestellt.
Faszinierender Blick über Marrakesch

„Wer Menschen liebt, sollte auch gerne kochen“, verrät Wafa ihr eigenes Credo, während die Kochgruppe darauf wartet, bis die Tagine fertig ist. „Für die eigene Familie und Freunde gibt man sich gerne viel Mühe“, versucht die 40-jährige bei allen Kursteilnehmern die Kochleidenschaft zu entfachen.

Bis das Menü servierfähig ist, begibt sich das Löffelschwinger-Dutzend erst einmal auf das Dach des Riads. Von hier lässt sich ein herrlicher Blick auf die Altstadt von Marrakesch und auf die schneebedeckten Berge des nahen Atlas-Gebirges werfen. In einer Ecke des Flachdachs ist eine weitere Mitarbeiterin der Kochschule damit beschäftigt, frisches Brot zu backen. Denn in Marokko darf selbstgebackenes Brot eigentlich bei keiner Mahlzeit fehlen. Hoch in der Gunst der Nordafrikaner steht auch Couscous, ein Grieß aus Hartweizen, Gerste oder Hirse, der bei den meisten Familien mindestens einmal pro Woche auf den Tisch kommt.
Freiluft-Esszimmer im Innenhof

Während alle ein Stück des ofenwarmen Brotes kosten, erscheint Abdalim auf leisen Sohlen, bittet alle zu Tisch in dem großen Innenhof, der inzwischen zu einem Freiluft-Esszimmer umgebaut wurde. Ein jeder bekommt genau das, was er selber zubereitet hat, vorgesetzt. Und alle sind ob der eigenen Kochkünste überaus angetan – oder lassen es sich zumindest nicht anmerken, falls es nicht schmeckt.

Insbesondere die Tagine ist ein besonderer Genuss. Das Fleisch und das Gemüse sind so hauchzart, dass sie schon bei der bloßen Gabelberührung förmlich zerfallen. Auch der Zaalouk sorgt für ungewöhnliche Geschmackserlebnisse – getreu dem Motto „So schmeckt der Orient“.
Zertifizierte Hobbyköche

Der vierstündige Ausflug in die marokkanische Küche endet schließlich mit einem symbolischen Ritterschlag. Denn jeder Hobbykoch erhält neben einem Ausdruck aller Rezepte aus Händen von Wafa ein Zertifikat, das ihn als Meister in der Zubereitung traditionellen marokkanischer Gerichte adelt. Nur nachkochen kann es dann wohl kaum einer alleine zuhause – was nicht allein an der fehlenden Tagine liegen dürfte.
Wissenswertes in Kurzform

Informationen: Kochschule: Lotus School of Cooking 22 fhal Zefriti, quartier Ksour medina, Marrakech, Telefon 0212-524441406, http://lotuschefmarrakech.co. Die im Herbst 2017 eröffnete Kochschule bietet täglich von 10 bis 14 Uhr und von 15 bis 19 Uhr Kochkurse an. Die Kursgebühr liegt bei 550 Dirham.

Veranstalter: FTI bietet spezielle einwöchige City-Arrangements für Marrakesch mit Kochkurs inklusive Übernachtung, Frühstück und Flug ab 369 Euro pro Person sowie die achttägige Rundreise „Marokko-Kombi-Spezial – Genuss für Leib und Seele“ inklusive Flug, Übernachtung und Kochkurs ab 599 Euro pro Person an. Buchungen und weitere Informationen unter Telefon 089-710451498 beziehungsweise unter www.fti.de.

Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.