Lautlos durch Florida – Auf Segway-Tour in St. Petersburg

Der Weg führt direkt ins Museum. Genauer gesagt ins Museum of History. Doch das Interesse gilt weniger der hier aufgearbeiteten Geschichte von St. Petersburg und der Pinellas Halbinsel, als einem neuartigem Gefährt: dem Segway. Denn das Museum am Segelhafen von St. Petersburg an der Westküste Floridas ist Startpunkt für die Stadtrundfahrten der anderen Art. Typisch Amerikanisch denkt manch einer beim Anblick der Segways. Die ungewöhnlichen Gefährte sehen aus wie ein Roller mit parallel stehenden, überdimensionalen Rädern, bei dem die Lenkstange mittig auf die kurze Trittfläche montiert ist. Nur werden die Segways nicht durch das Abstoßen mit dem Fuß, sondern elektrisch angetrieben. Fast lautlos gleiten sie dahin, erreichen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 20 Stundenkilometern.

„Eine Bremse gibt es nicht. Die Geschwindigkeit lässt sich allein durch Vor- und Zurückbeugen kontrollieren“, beschreibt Alan Dobrzeniecki mit kurzen knackigen Worten die wichtigsten Fahreigenschaften des silbergrauen Zweirads, das auf den ersten Blick ein bisschen wie ein Fahrzeug aus einem Science-Fiction-Film anmutet. Das Tragen eines Helmes ist obligatorisch. Und schon werden Zweifel wach, ob es eine normale Standrundfahrt im Kleinbus nicht auch getan hätte? Irgendwie scheint es unvorstellbar, mit dem Segway nicht bereits nach drei Sekunden umzufallen. Unweigerlich drängt sich das Bild vom Bären im Zirkus auf, der mit einem Brett auf einem Ball balancieren muss.

Scheinbar kann Alan Dobrzeniecki Gedanken lesen: „Ein eingebauter Kreisel hält automatisch die Balance und verhindert so ein Umkippen. Das ist quasi eine Art elektronischer Gleichgewichtssinn“, klärt der 54-jährige auf. Der ehemalige Werkzeugmacher aus St. Petersburg wurde nach 25 Jahren arbeitslos. Während er darüber nachdachte, wie er von nun an seinen Lebensunterhalt bestreiten sollte, sah er im Fernsehen einen Beitrag über Segways. Schon war die Idee geboren, sich mit Segway-Touren selbständig zu machen. Doch mit der Willensbekundung und dem Kauf von sieben Segways, in die fast seine gesamte Abfindung floss, war es nicht getan. Zunächst galt es die Verwaltung und Politik seiner Heimatstadt von seinem Vorhaben zu überzeugen und eine Sondergenehmigung zu erlangen. Die größte Hürde waren jedoch in den klagefreudigen USA die Versicherungsbestimmungen – und dies ist auch der alleinige Grund, warum das Tragen der Helme obligatorisch ist. Denn wirklich umfallen kann man mit dem ulkigen Zweirad nicht.

Zwei Stunden müssen die 5.000 Dollar teuren Gefährte an der Steckdose laden, bevor sie für ebenso lange Ausfahrten genutzt werden können. Zunächst gilt es erste vorsichtige Fahrversuche in einem kleinen Kreisverkehr auf dem Parkplatz des Museums of History zu absolvieren. Wie das Erklimmen einer doppelten Stufe mutet der Schritt auf das Trittbrett des Segways an. Alan Dobrzeniecki passt die Halte- und Steuerstange der jeweiligen Größe des Fahrers an und im Schatten der Floating Chapel, einer schwimmenden Kirche, werden die ersten Meter zurückgelegt. Ein leichtes Vorbeugen des Oberkörpers und schon gleitet der Segway fast völlig lautlos vorwärts. „Scottie, beam me up!“ schießt unweigerlich nicht nur Liebhabern von „Raumschiff Enterprise“ durch den Kopf. Ja, so oder so ähnlich muss es sich anfüllen, durch Raum und Zeit zu schweben. Gesteuert wird mit dem sanften Drehen des Handgriffs an der linken Seite.

„Vorsicht! Die Lenkung ist sehr direkt und reagiert umso sensibler, je höher die Geschwindigkeit ist“, gibt Alan Dobrzeniecki letzte Regieanweisung, bevor die Gruppe im Entenmarsch hinter ihm her über den Fußgängerweg am Ufer des Segelhafens entlang fährt. Die Konzentration ist so groß, das kaum einer einen Blick auf die Skyline von St. Petersburg, den farbenfrohen Pier oder das mondäne Venoy Renaissance Hotel wirft, das zu den markantesten Gebäuden der 240.000-Einwohner-Stadt zählt. Nach knapp zehn Minuten erfolgt der erste Stopp im großzügig angelegten Venoy Park.

„Na, glühen die Füße?“, fragt Alan Dobrzeniecki, wohl wissend, dass dies ein ganz normaler Vorgang sei. Denn in der Regel sind die Segway-Neulinge leicht nervös und angespannt, was sich bis in die Fußsohlen überträgt. Der Geschwindigkeitschip wird ausgetaucht. Statt mit knapp zehn Stundenkilometer düsen wir nun mit 15 Stundenkilometern weiter zum North Shore Beach, einem beliebten Strand am Rande der Stadt. Einige scheinen den Segway mit einem Fahrrad zu verwechseln, zeigen jeden Richtungswechsel mit ausgestrecktem Arm an. Nun folgt der Moment, auf den alle gewartet haben: Alan Dobrzeniecki schaltet auf Höchstgeschwindigkeit um. Mit Vollgas geht es quer über eine riesige Rasenfläche Richtung Coffee Pot Bay. Die Bucht ist nicht nur ein Tummelplatz für Pelikane, sondern auch für Manatees. Die mächtige Seekühe künden ihr Auftauchen mit einem laut vernehmlichen Prusten an und gemahnen auf den ersten Blick an dicke graue Klumpen, was bei bis zu 900 Kilogramm Körpergewicht nicht wirklich verwunderlich ist.

Plötzlich schießt ein graues Eichhörnchen achtlos über die „Fahrbahn“. Dem lebensmüden Nager scheint es egal zu sein, das Segways keine Bremsen haben. Es hat offensichtlich nur das Sammeln von Eicheln im Kopf, obwohl es bei durchschnittlich 361 Sonnentagen pro Jahr in St. Petersburg nicht ernsthaft Vorräte für den Winter anlegen muss. Geistesgegenwärtig schnellt der Oberkörper zurück. Fast scheint es, als ob die Schultern den Boden berühren. Der akkubetriebene Roller kommt für einen Moment zum Stillstand, um sich dann rückwärts in Bewegung zu setzen.
Das Kamikaze-Eichhörnchen holt die Segway-Raser abrupt wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Den Rest der kurzweiligen Stadttour dominiert ein gemäßigtes Tempo. Und endlich haben alle die Gelegenheit, sich im Vorbeifahren ein Bild von der mit Sonne verwöhnten Stadt an der Clearwater Bay zu verschaffen und die neugierigen Blicke zu genießen, die Segway-Fahrer noch immer auf sich ziehen.

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Weitere Informationen zu St. Petersburg unter www.visitstpeteclearwater.com, zu den Segway-Touren, die für 90 Minuten 50 US-Dollar kosten,  unter www.gyroglides.com.


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Karsten-Thilo Raab

berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.