Genua als ein charmantes Hanghuhn

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Nicht nur in der Abendsonne stimmungsvoll und beeindruckend: Der Porto Antico in Genua. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Die Tageszeit ist hier ohne Hilfe einer Uhr nur schwer zu erahnen. In dem Gassengewirr, das prima auch als riesiges Labyrinth durchgehen könnte, dringt zwischen den sechs- bis achtstöckigen Häusern nur wenig Licht nach unten. Teilweise sind die Gassen kaum breiter als einen Meter. Die Hausdächer beiderseits der engen Sträßchen scheinen sich fast zu berühren. Und doch bilden die schmalen, verwinkelten Gassen, „Caruggi“ genannt, gemeinsam mit denn unzähligen kleinen Plätzen das Herzstück und die pulsierende Lebensader der italienischen Hafenmetropole Genua. In der vermeintlich größten Altstadt Europas drängen sich Cafés, Blumen- und Bücherlädchen dicht an dicht mit winzigen Schuhgeschäften, Boutiquen und Kneipen. Flohmarkt- sowie Gemüse- und Obststände konkurrieren mit kleinen Läden. Hier werden Fisch und Kunsthandwerk Tür an Tür feilgeboten.

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Matteo Timossi demonstriert mit einer historischen Lampe den Frischegrat seiner Eier. – Foto: Karsten-Thilo Raab

In der Polleria Anna & Sergio hält Matteo Timossi nur Geflügel und Geflügelprodukte vor. Auch Eier sind im Angebot. Deren Frischegrat demonstriert Matteo Timossi mit einer Hilfe einer mehr als 100 Jahre alten Speziallampe vor den Augen der Kunden. Nur einen Steinwurf entfernt bietet die Tripperia La Casana nichts außer frischen Pansen an. Der fransige Vormagen von Kühen wird mit Messern und einem Fleischwolfs zerkleinert und in der Regel für einen Eintopf verwendet, der zu den Leibspeisen vieler Genueser gehört.

Kathedrale als Stolz der Stadt

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Vom Portal der Kathedrale wirft der steinerne Löwe einen Blick auf die Piazza die San Lorenzo. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Einen jähen Kontrast zu dem gefliesten Pansen-Paradies bietet Romanengo. Hinter der fast 250 Jahre alten Ladeneinrichtung bietet das Süßwarengeschäft mittlerweile in siebter Generation neben kandierten Früchten und Bonbons feinste Pralinen und handgeschöpfte Schokoladen. Auf eine ähnlich lange Tradition kann der Stoffladen von Giovanni Rivara Fu Luigi blicken. Seit gut 200 Jahren wird hier handschriftlich genau Buch über die Einkäufe jedes einzelnen Stammkunden geführt. Und die dicken Lederbände lesen sich wie das „Who is who“ der einflussreichsten italienischen Familien; eine Einkaufsbibel voller großer Namen von Garibaldi bis Doria und Spinola.

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Kaum einer verbindet Christopher Kolumbus mit Genua, seiner Heimatstadt, wo dem Seefahrer ein Denkmal gesetzt wurde. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Nur einen Steinwurf entfernt und durch Luigis Fenster mit den bunten Auslagen zu sehen, erhebt sich Genuas Stolz, die Kathedrale. Das mächtige Gotteshaus, dem Heiligen Laurentius geweiht ist, besticht durch typisch ligurische schwarz-weiße Streifenmuster an der Fassade. Nicht nur auf der davor liegenden Piazza San Lorenzo flitzen Italiener mit Helm auf dem Kopf über das Kopfsteinpflaster. In der Regel haben diese ihren Roller an einer noch einigermaßen befahrbaren Stelle der Altstadt geparkt, um schnell etwas einzukaufen, einen Espresso zu trinken oder einfach nur, um ein Pläuschchen zu halten. So müssen sie zumindest nicht befürchten, dass ihnen ein Vogelgruß aus luftiger Höhe auf das Haupt prasselt.

Prachtvolle Paläste und Herrenhäuser

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Eine der vielen prächtigen Stadtpaläste in Genua: Der Palazzo Reale, der heute als Museum dient. – Foto: Karsten-Thilo Raab

In dem Gassengewirr von Genua verstecken sich aber nicht nur historische und ganz individuelle Geschäfte, sondern auch eine Reihe an stolzen Palästen und Herrenhäusern. Gleich 42 dieser teils immer noch privaten Stadtpaläste aus dem 16. und 17. Jahrhundert stehen seit 2006 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Dabei repräsentieren die „Palazzi dei Rolli” eine historische, genuesische Besonderheit: sie waren ein System von Übernachtungsstätten in drei Kategorien, in den die Schönen und Reichen, Gekrönten und Geföhnten zur Zeiten der Republik Genua vom Geldadel der Stadt beherbergt und beköstigt wurden. Die Bezeichnung „dei Rolli“ leitet sich von „Rollo“ ab, was zu Deutsch „Liste“ bedeutet. In diesen Listen waren die Paläste eingetragen. Per Losentscheid wurde abwechselnd eine Adelsfamilie ausgesucht, um die Staatsgäste angemessen zu empfangen. Wobei die Kategorien auch den Stellenwert der Gäste widerspiegelten.

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Prächtige Deckenmalerei im Palazzo Rosso. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Einige der prächtigsten Stadtpaläste finden sich entlang der Via Garibaldi. Heute beherbergen die mehr als ein Dutzend Paläste Museen, Banken, das Rathaus und die Handelskammer. Hinter den strengen Fassaden verbergen sich vornehme Innenhöfe, liebevoll angelegte Terrassengärten und prachtvoll ausgeschmückte Räume. Zu den bekanntesten Herrenhäusern gehören der Palazzo Bianco und der Palazzo Rosso, die gemeinsam mit dem Palazzo Doria Tursi als Musei di Strada Nuova fungieren. Im Inneren sind bedeutsame Kunstsammlungen mit Werken von Veronese, Rubens, Van Dyck, Guido Reni oder Caravaggio, aber auch Exponate der barocken Schule Genuas zu bewundern.

Gigantischer Wasserzoo

Blick auf die Piazza de Ferrari im Herzen von Genua. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Derweil fungiert der nahe gelegene Palazzo Ducale als einstiger Regierungssitz heute als vielseitiges Kulturzentrum mit prächtigen Säulenhöfen, reich verzierten Sälen, einer barocken Kapelle bis hin zu Bar und Restaurant. Und in der Galleria Nazionale di Palazzo Spinola sorgen Portraits des genuesischen Adels, die von Rubens und Van Dyck gemalt wurden, für besondere Blickfänge.

Ein faszinierende Unterwasserwelt zeigt das Aquarium. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Kaum minder attraktiv gestaltet sich der Porto Antico. Der ehemalige Industriehafen wurde in den 1990er Jahren unter Federführung des genuesischen Stararchitekten Renzo Piano komplett umstrukturiert. Größter Besuchermagnet ist hier das weltweit größte, überdachte Aquarium, dessen Form in Teilen an ein Containerschiff, das im Hafen vor Anker liegt, erinnert. Mehr als 22 Millionen stimmten seit der Eröffnung im Jahre 1992 mit den Füßen ab. Der Wasserzoo ist so angelegt, dass die Besucher die Haie, Seekühe, Robben, Delfine sowie die verschiedenen Fisch- und Pflanzenarten aus Glastunneln und von verschiedenen Ebenen und Perspektiven aus beobachten können.

Faszinierendes Hafenviertel

Blick vom Palazzo Rooso auf den Hafen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Im Schatten der riesigen Kreuzfahrtschiffe, die in Genua vor Anker gehen, bereitet das Galata Museo del Mare in einer interaktiven Ausstellung die maritime Vergangenheit der einstigen Seerepublik Genua anschaulich auf und erzählt vom teilweise traurigen Schicksal der italienischen Auswanderer in Amerika.

Das Galata Museo del Mare erzählt aus der Geschichte der Seefahrt. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Wer nach so viel Kunstgenuss einfach mal etwas Höhenluft schnuppern möchte, kann mit dem Bigo, einen kreisrunden, futuristischen Fahrstuhl, hoch über dem Hafen schweben. Alternativ bietet sich ein kurzer Abstecher mit dem Fahrstuhl von Portello in den höher gelegenen Stadtteil Castelletto an: Bei beiden breitet sich La Superba, die Stolze, wie Genua genannt wird, in ihrer ganz Pracht unter einem aus. Und man stimmt fast unweigerlich Richard Wagner zu, der einmal so treffend konstatierte: „Genua ist unbeschreiblich schön, prächtig, charakteristisch.“

Informationen: www.visitgenoa.it, www.tourimoinliguria.it