Die Legende lebt weiter in Gretna Green

Gretna
Auf dem Amboss wurde in Gretna Green das Eheversprechen geschmiedet. – Foto Karsten-Thilo Raab

Für ganze Generationen galt der Name Gretna Green als Synonym für Hoffnung, Freiheit und Unabhängigkeit, wurde im wahrsten Sinne des Wortes automatisch mit dem Tor zur trauten Zweisamkeit gleichgesetzt. Das beschauliche im Südwesten Schottlands unweit der Grenze zu England wurde zwischen 1754 und 1940 zur Pilgerstätte für junge Liebespärchen und Ausreißer. Denn in der dortigen Dorfschmiede konnten sich aufgrund einer Lücke in der schottischen Rechtsprechung Minderjährige ohne das Wissen beziehungsweise die Zustimmung der Eltern das Jawort geben.

Dass Gretna Green überhaupt Kultstatus erlangte, verdankte das eher kleine Dörfchen seiner geographischen Lage an der  (einstigen) Hauptverbindungsstrecke zwischen London und Schottland sowie der Tatsache, dass im Jahre 1754 im benachbarten England ein neues Hochzeitsgesetz erlassen wurde. Mit in Kraft treten des „Lord Hardwicke’s Marriage Act“ wurde jungen Engländern untersagt, zu heiraten, sofern nicht einer der potentiellen Ehepartner mindestens das 21. Lebensjahr vollendet hatte.

Dorfschmied als Standesbeamter

Die alte Dorschmiede unweit der englischen Grenze genießt noch immer Kultstatus. – Foto Karsten-Thilo Raab

Anders war die Situation in Schottland. Bei den so genannten „Gretna marriages“ genügte eine einfache Absichtserklärung in Gegenwart zweier Zeugen, um in den Hafen der Ehe einzulaufen – vorausgesetzt beide Partner waren mindestens 16 Jahre alt. Als Standesbeamter fungierte der hiesige Dorfschmied, der zugleich als Friedensrichter eingesetzt war. Und die Ehen, die er schmiedete, sollen – so die Legende – genauso solide gewesen sein, wie der Amboß, auf den er schlug, um den Lebensbund zu besiegeln. Tatsächlich wurden die Ehen aber nicht nur in der alten Dorfschmiede geschlossen, sondern auch in den zahlreichen Hotels und Inns, die in Gretna Green zu finden waren. Denn das Dorf befand sich an der Kreuzung von fünf wichtigen Kutschenstraßen, besser bekannt als „Headless Cross“.

Nicht nur den benachbarten Engländern, auch der Kirche waren die Trauungen ein Dorn im Auge. Sie setzen alle Hebel in Bewegung, um dem Hochzeitsboom – und damit auch der lukrativen Einnahmequelle Gretna Greens – ein Ende zu setzen. 1856 schließlich wurde mit Lord Brougham’s Marriage Act eine neue Verordnung verabschiedet, die Hochzeiten nur dann gestattet, wenn wenigstens einer der künftigen Ehepaare für 21 Tage vor der Hochzeit seinen Wohnsitz in Schottland hatte. Kurzum machten nicht viele aus der Not eine Tugend und zogen die Flitterwochen einfach vor.

Gegen den Willen der Eltern

Bei schottischen Hochzeiten trägt der Bräutigam gerne Kilt. – Foto Katharina Büttel

Im Jahre 1940 untersagte dann ein neues Gesetz dem Dorfschmied jegliche standesamtliche Tätigkeit, nahm ihm so ein überaus lukratives Zubrot und vielen frisch verliebten Teenagern die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft gegen den Willen der Eltern. Doch wieder einmal fanden die Heiratswilligen einen Ausweg. Die Hochzeiten wurden schlichtweg in das hiesige Standesamt verlegt und mit einer anschließenden Zeremonie in der alten Dorfschmiede abgerundet – mit Erfolg. Denn der Boom blieb ungebrochen.

Allein Richard Rennison, der als letzter „Anvil Priest“, Amboss-Priester, 1962 sein Amt niederlegte, traute in den nun folgenden Jahren 5.147 Paare. 1979 schließlich wurden in Schottland die bisherigen Heiratsbestimmungen aufgehoben und ein neues Gesetz verabschiedet. Dieses sieht vor, dass jeder an jedem Ort seiner Wahl in den Hafen der Ehe einlaufen kann, solange er einen Standesbeamten findet, der die Trauung durchführt.

Auch Joschka Fischer traute sich hier

Das Dörfchen Gretna Green besitzt noch heute Kultstatus unter Liebenden. – Foto Karsten-Thilo Raab

Und so werden in der Dorfschmiede, die heute wie damals den Mittelpunkt des dörflichen Lebens darstellt, wieder Trauungen vollzogen. Obwohl „Runaway marriages“ von Teenagern mittlerweile ehe eine Seltenheit sind, vermitteln Hochzeiten in Gretna Green noch immer einen Hauch von Abenteuer und Exklusivität. Nicht von ungefähr werden hier jährlich sage und schreibe 4.000 Paare getraut. Dies entspricht rund 13 Prozent aller Hochzeiten in Schottland. Sogar der frühere deutsche Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer gab seiner ersten Frau hier im April 1967 das Jawort.

Fest steht: Mehr als zweieinhalb Jahrhunderte hat Gretna Green nichts an Attraktivität eingebüßt und etwas von dem Zauber, der das Dörfchen umgibt, bewahrt. Nahezu jeder Schottlandreisende lässt sich – vielleicht sogar auf den Spuren seiner Väter und Ahnen – von der Atmosphäre bezaubern und nimmt die Klänge der alten Dorfschmiede, die soviel erlebt hat und erzählen kann, in sich auf. Denn noch immer werden beim Betreten des legendären Gemäuers und des angrenzenden Museums automatisch Erinnerungen und Phantasien wach. Da werden die Geschichten von Verzweifelten, von Liebenden, von Eifersüchtigen, aber auch von wüte-den Vätern, die sogar notfalls mit Gewalt die Hochzeit verhindern wollten, wieder lebendig. Kaum verwunderlich daher, dass die Original-Heiratsurkunden im benachbarten Andenkenshop zu den Verkaufsschlagern zählen. Weitere Informationen unter www.gretnagreen.com.